Parthenope – Kritik

Schönheit, Jugend und Neapel: In Parthenope vereinen sich drei Obsessionen des für seine Hochglanzästhetik bekannten italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino. Leider verkommt dabei die weibliche Hauptfigur zum leeren Mythos.

Parthenope, das ist in Homers „Odyssee“ eine Sirene:ein weibliches Wesen, das Männern durch Gesang und Schönheit den Kopf verdreht und sie schlussendlich in den Tod führt. Nachdem Odysseus und seine Mannschaft ihren Gesang ignorieren, stürzt sie sich ins Meer: Wie könnte sie nicht Selbstmord begehen, nachdem ein Mann, noch dazu so ein stattlicher wie der Held Odysseus, sich ihren Reizen verwehren konnte? Ihr Leichnam wird in Neapel angeschwemmt, das sie zur Stadtgöttin erklärt. Die Figur der Sirene ist paradigmatisch für das Frauenbild des neuesten Films des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino, der – nach seiner ersten Neapel-Hommage Hand of God – aufs Neue seiner Heimstadt ein Denkmal setzen möchte.

Es beginnt mit der − wie könnte es bei einer Sirene anders sein − Wassergeburt der Protagonistin Parthenope (Celeste Dalla Porta). Ihr Leben als Kind des 20. Jahrhunderts wird als Coming-of-Age-Geschichte chronologisch in Vignetten erzählt. Der Fokus liegt auf den Jahren zwischen 1968 und 1982; in diese Zeit fällt auch ihr Anthropologiestudium.

Drei Obsessionen des Regisseurs vereinen sich in seiner Hauptperson: Schönheit, Jugend und Neapel. Parthenopes Schönheit ist jedoch keine herkömmliche, sondern eine mythologische, disruptive, wie alle in dem Film nicht müde werden zu betonen. Vor allem die Männer sind besessen davon: Sandrino, der Sohn des Dienstmädchens, der nie so ganz den Status des festen Freundes erlangt… ein Multimillionär, der seinen Helikopter mitten in der Luft zum Anhalten bringt, um Parthenope nach einem Date zu fragen… jemand aus der neapolitanischen Mafia… ein betrügerischer Priester… und, wie könnte es anders sein: ihr eigener Bruder (da bei Verweisen auf griechische Mythologie Inzestanspielungen scheinbar nie fehlen dürfen).

Eine zerstückelte Statue, ganz dem Begehren der Männer ausgeliefert

Parthenope ist also schön, unnahbar und enigmatisch. Doch hinter der mysteriösen Fassade enthüllt sich keine Komplexität; der Film interessiert sich nicht für seine weibliche Figur. Ihre Schönheit wird als axiomatisch angenommen und dann müssen sich alle anderen dazu positionieren bzw. verhalten. So verkommt sie zum bloßen Symbol und Mittel zum Zweck − und dieser scheint nicht mehr zu sein als der, eine spezifische Art von Männerfantasie zum Leben zu erwecken: die der unnahbaren Schönheit, die nur existiert, um begehrt zu werden. Diese Fantasie ist besonders unangenehm, weil sie vorgibt, die Frau zu erhöhen, während sie sie tatsächlich auf ihren Körper reduziert und ihre Handlungsmacht nur über das Begehren der Männer konstituiert wird. Dass der Film seine wiederholt von Männern an Parthenope gestellte Frage „Woran denkst du gerade?“ nicht beantwortet, liegt augenscheinlich nicht daran, dass er absichtlich vage bleiben will. Vielmehr scheint er so sehr damit beschäftigt, sich an Parthenopes Körper zu ergötzen, dass er sich nicht auch noch empathisch in ihre Situation versetzen kann. Die Kamera verfolgt Parthenope mit langsamen, schwebenden Bewegungen, zerlegt ihren Körper in fragile Partien – ein Halsansatz hier, eine Schulterkontur dort. Gleichzeitig fehlt den Ganzkörper-Aufnahmen jegliche Dynamik. Parthenope steht oder liegt oftmals im Bild, beinahe bewegungslos, einer griechischen Statue gleich, ihre Silhouette von einem fast überirdischen Leuchten umgeben. Sie bleibt (ein)gefangen von einer Kamera, die lediglich den begehrenden männlichen Blick doppelt und uns jeden Zugang zu Parthenopes Innerlichkeit verweigert.

Auch die Coming-of-Age-Geschichte widmet sich nicht dem Schicksal einer realen Jugendlichen, sondern dem Thema Jugend als reinem Abstraktum − eine Obsession, der etwas Possessives und Zerstörerisches eingeschrieben ist. Es herrscht eine vampirische Gerontokratie, die Parthenope um ihre Jugend beneidet und sie ihr gleichzeitig vorwirft. Man nimmt Parthenope nicht ernst, und in jeder Betonung ihrer Jugend schwingt die Häme mit, dass diese nicht für immer andauern werde. Die Männer wollen Parthenope wie eine Büste auf ihrem Bücherregal aufstellen, um diese dann in einem Anflug von Zorn gegen die Wand schmettern zu können.

Einige der Männer scheinen zunächst anders zu sein. Gary Oldman, in einem unauffälligen Kurzauftritt als Autor John Cheever, spricht davon, Parthenope nicht ihre Jugend stehlen zu wollen − vergeudet ihre Zeit dann aber mit Aphorismen wie: „Beauty is like war, it opens doors.“ Ihr Anthropologieprofessor (Silvio Orlando) interessiert sich weder für ihre Jugend noch für ihre Schönheit; er bewundert sie für ihren Intellekt. Doch auch hier entsteht unser Zugang zu Parthenope nur über die Doppelung einer männlichen Figur: Der Professor sieht Parthenope als Erweiterung seiner selbst und bietet ihr an, seine Nachfolgerin an der Universität zu werden.

Unverbindliche Bummelei durch die Geschichte Neapels

Immer wieder sind in den Film historische Ereignisse eingestreut: Es gibt ästhetische Slow-Motion-Aufnahmen der Studentenproteste der 60er und die Cholera-Epidemie der 70er wird anhand einer Kamerafahrt über einen an einen Oktopus erinnernden Wagen dargestellt, der Desinfektionsmittel auf Straßen und Trottoirs sprüht. Doch diese kurzen Szenen dienen mehr einer chronologischen Orientierung als einer historischen Aufarbeitung. In einer Sequenz wandert Parthenope mit einem Gangster durch das Armutsviertel der Stadt. Immer wieder lenkt die Kamera dabei den Blick auf Lebensbedingungen der BewohnerInnen. Doch das bleibt wie Schaufensterbummeln − ein kurzer Blick auf die feilgebotene Ware, aber kein Interesse das Geschäft zu betreten. Stattdessen wird die Stadt zur pittoresken Kulisse reduziert, ähnlich wie Parthenope zur dekorativen Figur. Die wenigen historischen Ereignisse, die der Film streift, wirken wie touristische Stationen auf einer oberflächlichen Besichtigungstour, die Tiefe verspricht ohne sie zu liefern.

Paolo Sorrentinos Hochglanzästhetik und seine Auseinandersetzung mit der Oberfläche und dem Oberflächlichen funktionieren nur, wenn es dabei, wie z.B. in seinem Film La Grande Bellezza, zu einer Doppelung oder Verschmelzung von Form und Inhalt kommt. In jenem Film war die prunkvolle Oberflächlichkeit selbst das Thema – die leere Schönheit Roms spiegelte sich in den leeren Leben seiner Charaktere wider, während die virtuose Kameraarbeit diesen Exzess sowohl feierte als auch kritisch reflektierte. Bei Parthenope hingegen wird die formale Brillanz zum Selbstzweck. Der Film nutzt seine ästhetischen Mittel, um Parthenope zu objektifizieren, anstatt diesen Impuls zur Objektifizierung selbst wiederum zu untersuchen. Schlussendlich scheint sich der Film weder für seine weibliche Hauptfigur noch für ihre Stadt Neapel wirklich zu interessieren.

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