One Battle After Another – Kritik

Gesichtsmuskeln machen Überstunden, Politsignale führen ins Nirgendwo und auf der Tonspur macht sich musikalischer Dauerhagel breit: P.T. Andersons Pynchon-Paraphrase One Battle After Another ist ein Film, der vieles kann, aber längst nicht so crazy ist, wie er es gerne wäre.

Eine Stadt an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, der dort hochgezogene Grenzwall, ein Lager, in das Migranten eingesperrt sind. Eine Gruppe von Vigilantes, die sich French 75 nennt, schreitet zu deren Befreiung. Vorne dran Bob „Rocket Man“ Ferguson (Leonardo Di Caprio), der mit Raketenzauber für Ablenkung sorgt. Und noch vorner dran: Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor), schwarze Anführerin der Truppe, unerschrocken Waffen schwingend, bei den Befreiungs/Terror-Aktionen zwischendurch zu Sex mit Bob immer allzu bereit. Und nicht nur mit Bob, wodurch sie sich einen unguten Typen namens Steven J. Lockjaw (Sean Penn) einfängt, einen White-Supremacist-Colonel, dessen Libido nicht tut, was sie suprematiemäßig soll. Bei der ersten Begegnung, noch beim Grenzüberfall, bekommt er eine enorme Erektion auf Perfidias Kommando, von der er sich nicht mehr erholt. Sean Penn, der eine Karikatur aus dem Colonel macht, hat die Haare schön (für Lockjaws Begriffe), mahlt mit dem Mund und appliziert dem Mann einen muskulösen Körper und einen breitbeinig eiernden Gang, der aussieht, als würde er diese Erektion nie wieder los.

Auch P.T. Anderson hat sich mit Lockjaw als Nemesis jemanden eingefangen, den er nicht wieder loswird. Den grotesken Ton, den er setzt, schleppt er durchweg mit, was manchem, das folgt, merkwürdige Schlagseiten gibt. Seine Perfidia-Heldin dagegen spuckt der Film auf erstaunlich rüde Art ziemlich schnell wieder aus: Sie bekommt eine Tochter mit Bob, will anders als er nicht komplett von Weltrevolution auf Care-Arbeit umschwenken, wird erwischt und verhaftet, verrät den Rest der Truppe, kommt in ein Zeugenschutzprogramm und macht sich davon, aus dem Programm und den Leben von Bob, Lockjaw und auch aus dem Film.

Seltsamer Wechselbalg

An dieser Stelle macht und bekommt One Battle After Another einen entscheidenden Sprung. Und zwar in ein Präsens, das sechzehn Jahre nach den mit sichtlicher Freude ausgemalten revolutionären Umtrieben liegt. So erstaunlich gegenwärtig und für P.T. Andersons Verhältisse auch erstaunlich politisch einem der Einstieg vorkommen kann, so sehr holt den Film nun seine Vorlage ein. Thomas Pynchons „Vineland“, auf dem das Drehbuch ziemlich lose, aber doch erkennbar beruht, ist Anfang der neunziger Jahre erschienen. Angesiedelt ist das Buch im Jahr von Ronald Reagans Wiederwahl 1984, es ist ein von Rückblenden durchsetzter Abgesang auf die revolutionären Umtriebe der sechziger und siebziger Jahre. Perfidia ist der Romanfigur Frenesi Gates nachgebildet, Bob Ferguson ähnelt auf den ersten Blick durchaus Pynchons Protagonisten Zoyd Wheeler, Lockjaw ist und ist nicht dessen Gegenspieler Brock Vond, die veränderten, wenngleich ihrerseits pynchonisierenden Namen signalisieren die Distanz zum Roman, aus dem Andersons Drehbuch nur die Kernkonstellationen nimmt und verschiebt.

Nur dass es sechzehn Jahre vor unserer Zeit in den USA keine nennenswerte Ambition in Richtung linke Weltrevolution, keinen kommunistischen Untergrund, keine militanten Filmkollektive, keinen terroristischen Widerstand gab. Was die Frage aufwirft, in welcher Gegenwart das, was dann als Plot von One Battle After Another mit großem Aufwand in Gang gesetzt wird, eigentlich spielt. Oder ob das Ergebnis nicht ein seltsamer Wechselbalg ist, der mehr schlecht als recht zueinander passende Genres und Töne, Pynchon-Hippie-Groteske und P.T. Anderson-Drama mit viel Studiogeld zu etwas verknüpft, das trotz diverser Signale in Richtung Politikkommentar über ein allgemeines gefährliches Irresein der Verhältnisse hinaus wenig Spezifisches an der Gegenwart zu fassen bekommt.

Angezottelt dauerverpeilt

Die Lage, 16 Jahre später, ist diese: Bob Ferguson lebt mit seiner Teenager-Tochter Willa (Chase Infiniti) als dauerbekiffter Stoner in einem Häuschen im südkalifornischen Wald und sieht auf Befehl des Drehbuchs in der Glotze als Reminiszenz an frühere Zeiten Gillo Pontecorvos Algerienkrieg-Klassiker The Battle of Algiers. Die revolutionäre Vergangenheit hat Bob, in mehr als einer Hinsicht out of it, buchstäblich halb vergessen, was zu Komplikationen führt, als er, von der Vergangenheit aufgespürt, die alten Verbindungen und damit auch Code-Wörter reaktivieren soll. Di Caprio spielt diese Figur angezottelt dauerverpeilt und dauerverschlurft, im karierten Morgenmantel auf der Flucht. Sehr dick aufgetragene Komik. Und wenig darunter.

Die Tochter wird dagegen mit Präsens-Signalen staffiert: lernt Kampfsport bei einem hispanischen Sensei (Benicio del Toro), der für den weiteren Fortgang noch dringend gebraucht wird. Sie hat, obwohl vom Vater strikt untersagt, natürlich ein Handy, bringt außerdem eine*n nonbinäre*n beste*n Freund*in zur Hütte im Wald und verdreht nur die Augen, weil Papa nicht einfach „they“ sagen kann. Dass dann ausgerechnet die nonbinäre Figur, über die man sonst gar nichts erfährt, Verrat an Willa begehen wird, ist vielleicht doch etwas seltsam.

Willa wird sich am Ende als so tough und kampf- und schussbereit wie ihre Mutter erweisen, womit einerseits zu rechnen war. Andererseits sind die Lobeshymnen der Kritik auf Infiniti Chase sehr verdient: Sie bekommt den stahlharten Kern und die gegenwartsnahe Gelenkigkeit ihrer Figur auf eine Weise zusammen, die sie ein gutes Stück über das Klischee, das auch sie verkörpert, hinausragen lässt. Das unterscheidet ihr Spiel stark von dem, was Leonardo Di Caprio und Sean Penn mit ihrer Lust an der Charge und leider mit rapide sinkendem Grenznutzen treiben.

Unreife Plotfrucht

Das Potenzial zur Entwicklung seiner Figuren schneidet sich Anderson mit der Entscheidung für die Groteske von Anfang an ziemlich grundsätzlich ab. Das führt dazu, dass er ständig abstruse Situationen kreieren, Running Gags perpetuieren und weiteres, dann jeweils schnell verbrauchtes Material heranschaffen muss: einen Club weißer Suprematisten, dessen Absurdität gegen die der horrenden US-Trump-Wirklichkeit nicht anstinken kann (wie sollte er auch); ein Kloster Marihuana anbauender schwarzer Nonnen in den Bergen, das kaum aus den Augen auch gleich aus dem Sinn ist; Benicio del Toros unüberschaubare Hispano-Truppe; einen halbindigenen und einen kaltblütigen weißen Killer, die als Plotfrucht so unreif wie schnell hinüber sind.

Für diese Form des Hopplahopp ist Anderson aber seinem ganzen Regisseurswesen nach nicht trashfreudig, nicht frei und nicht crazy genug. Auch der alles andere als überhörbare musikalische Beitrag Johnny Greenwoods bleibt sehr ambivalent. Anfangs drückt er laut auf die Tube, später ist die Musik allgegenwärtig, geht aber gegen den Strich der Stimmung vieler Szenen. So werden ganz musikunbedürftige Dialoge mit enervierendem musikalischem Dauerhagel malträtiert. Das ist so gewollt, es ist auch gekonnt. Wie im Detail überhaupt vieles gekonnt ist, am gekonntesten die Autoverfolgung in welliger Landschaft so ziemlich am Ende. Aber die harte Arbeit am Soundtrack, die Überstunden der Gesichtsmuskulatur bei Sean Penn, das ständige Bemühen um Witz und Groteske, das Gefuchtel mit Politsignalen, das nirgends recht hinführt: One Battle After Another ist ein Film, der sich zweieinhalb Stunden lang sehr anstrengt, wild, cool und verrückt rüberzukommen. Statt es zu sein.

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