Old – Kritik
Die Schönheit des bedrohlichen Ahnens: In Old werden Menschen an einen Strand verbannt, um im Schnelldurchlauf zu altern. M. Night Shyamalan erweist sich mal wieder als hemmungsloser Entzauberer, der die Paranoia ebenso liebt wie das Triviale.

In Old landet eine Handvoll Urlauber an einem Strand, an dem sie rapide altern. Versuche zu entkommen enden tödlich. Es hat sie nicht zufällig dorthin verschlagen, der Chef ihres Urlaubsressorts lud sie dorthin ein. In jeder der vier Familien – drei Ehepaare, drei Kinder, ein Liebespaar, eine Großmutter und ein Hund – gibt es einen Fall einer physischen oder psychischen Krankheit, sie scheinen also nicht zufällig ausgewählt worden zu sein. Zudem zeigt uns der Film regelmäßig, dass die Gestrandeten aus der Ferne beobachtet werden und das auch bemerken. Warum sie in ihre Lage gebracht wurden, wird nicht zum Gegenstand einer Überlegung vor Ort und – bis kurz vor Schluss – auch nicht des Films.
Die Nutzung unserer Zeit auf Erden

Old ist ein Film von M. Night Shyamalan, also enthält er einen Twist. Wobei es sich dieses Mal eher um eine Coda handelt. Diese wird uns den Grund des Geschehens liefern: wer was mit der Auslieferung der Beteiligten an den beschleunigten Alterungsprozess bezweckte. Dramaturgisch wie emotional baut diese nachgereichte Aufdeckung aber kaum eine Verbindung zum eigentlichen Film auf, der im Grunde schon auserzählt war. Und gar nicht an der profanen Situation vor Ort interessiert, sondern an einem existenziellen Thema: wie wir unsere Zeit auf Erden nutzen. Das rasche Altern liefert uns Leben und Beziehungen im Schnelldurchlauf, die Kürze des Lebens wird an diesem Strand noch mehr verknappt.

Chrystal (Abbey Lee), eine oberflächliche Schönheit, die ihrer kleinen Tochter erklärt, dass sie aufrecht sitzen müsse, damit sie schön ist und anderen gefällt, wird ins Purgatorium ihres körperlichen Verfalls geschickt. Psychologin Patricia (Nikki Amuka-Bird) möchte – im fortgeschrittenen Alter – unbedingt vom Strand herunter, weil sie sich noch mit ihrer Schwester versöhnen will, wo jetzt der Grund für ihre Fehde nur noch banal wirkt. Arzt Charles (Rufus Sewell) verrennt sich zunehmend in seinen Vorurteilen und Wahnvorstellungen, weil er den Stress seines Berufs sowie seines gesamten Daseins nicht verarbeiten kann. Guy (Gael García Bernal) und Prisca (Vicky Krieps) durchleben eine Ehekrise, bei der sie ihm vorwirft, nur in der Zukunft zu leben, und er ihr, nur für die Vergangenheit zu existieren. Kara und Trent, die als Kleinkinder an den Strand gelangen, müssen den Verlust ihres eigenen Kindes verarbeiten, obwohl sie kaum begriffen haben, dass sie selbst keine mehr sind.
Mittelfinger an den Schöpfergott

Die Marker des Subtextes – immer und immer wieder geht es um Zeit und wie man mit ihr umgeht – sind ebenso wenig dezent wie der Umgang mit dem Escape Room, den der Strand bildet. Alles, was irgendwie Erwähnung findet und dem Zuschauer gezeigt wird – Geheimschriften, Essensvorräte, rostige Messer –, wird nutzbar gemacht. Der Aufbau von Old ist dergestalt ziemlich hölzern und aufdringlich. Wir sollen doch bitte im Moment leben, so lautet der Allgemeinplatz, auf den Shyamalan mit Neonschrift hinsteuert. Und alles – noch das unscheinbarste Bild eines Kindes, das in einem Gewässer voller Fische steht und seinen Urlaub genießt – hat einen Grund, wie uns die durchorganisierte Konstruktion zu verstehen gibt.

Die Coda ist dann nur der Preis für diejenigen, die die Lösung für ein richtiges Leben fanden und deshalb aus dem Strand-Setting ausbrechen können und Freiheit erlangen. Sie überwinden eine Form des Daseins, die einem Gefängnis gleicht. Die Coda ist die Vollendung eines zuweilen esoterischen Aufbaus. Shyamalan selbst hat hier einen Auftritt als Kameramann, der das Geschehen überwachte, aber nicht ganz richtig einschätzte. Er offenbart sich so als Zeremonienmeister, der seine Figuren einsperrte und leiden ließ, der aber nicht allmächtig ist. Die Stärken des Endes liegen deshalb eher in seinen rezeptionstheoretischen Anspielungen sowie einem dezenten Mittelfinger an das Konzept eines Schöpfergottes, der menschliches Leben schafft, um es in einen Aufbau zu stecken, in dem entschieden wird, wer wertvoll ist und wer nicht.

Das Ende besteht aber vor allem darauf, das Mysterium aufzulösen und zu durchleuchten. Nichts bleibt außer Banalität. Es zeigt Shyamalan einmal mehr als hemmungslosen Entzauberer. Das ist vielleicht das große Missverständnis seiner Karriere: Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Filmemacher schafft er es, mystische, bedrohliche Welten zu erschaffen und sie mit Aufklärungen – teils endlosen Schleifen an Aufklärungen – zu entmachten. Seine Filme sind Lobpreisungen einer grenzenlosen Paranoia und zugleich einer Trivialität, die dieser hämisch entgegensteht. Sie sind Märchen und eine Ernüchterung an der Realität. Und das eine lässt sich mitunter leichter wertschätzen als das andere.
Der letzte Twist
Womit wir beim Twist des Textes angelangt sind. Denn Old ist ein ziemlich toller Film, auch weil er sensationell aussieht und ein wunderbares Gefühl für Stimmung und den Fluss des Geschehens besitzt. Das ist vor allem inzwischen routiniert gemacht und keine Offenbarung wie in früheren Filmen, wenn etwa die Atmosphäre im idyllischen Frühstücksbereich des Hotels vielsagend kippt, weil jemand einen epileptischen Anfall hat. Die sonnigen Bilder eines Entspannung versprechenden Ortes, an dem sich niemand entspannen kann, gehören aber trotzdem zu den Highlights von Shyamalans Karriere. Wenn die Kamera immer wieder die Gesichter fragmentiert, sie zueinander und dem Felsgestein – leicht als übergroße runzlige Haut zu lesen – ins Verhältnis setzt, wenn sie den Strand in kurzen Plansequenzen abfährt und uns das eine zeigt, während noch anderes geschieht, wenn sie, kurz gesagt, die Begrenzung der Perspektive als prachtvolle Ästhetik nutzt, dann zeigt dieser Film – der darauf besteht, dass wir uns dem Hier und Jetzt widmen sollen und nicht an Rätsel verschwenden, die wir nicht lösen können, der uns überzeugen will, dass die Lösungen für die Rätsel wirklich nicht bahnbrechend sein werden –, dann also zeigt uns dieser Film vor allem, wie unglaublich schön ein bedrohliches Ahnen im Angesicht der Beschränktheit unserer Wahrnehmung ist.
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Kommentare
fifty
Der Film mag die künstlerische Strategie eines Regisseurs erfolgreich untermauern, aber originell ist er wirklich nicht. Und so treffen Ihre Beschreibungen "hölzern", "banal" und "aufdringlich" absolut ins Schwarze. Großes Thema und toller Drehort? Auf jeden Fall. Aber ich erkannte hier nur reihenweise verschenktes Potential. Das Schauspiel kam rüber wie Plastik. Und die Figuren, Dialoge und Einfälle wirkten auf mich billig. Nichteinmal der Thrill hat funktioniert. Das Entzaubern durch Einstellungen, Twists und Rhythmus gelingt anderen Filmen deutlich besser als diesem (ich weiß nicht, warum mir hier spontan "Black Mirror - San Junipero" von Owen Harris und Charlie Brooker einfällt oder "All is lost" von J.C. Chandor oder sogar "Moon" von Duncan Jones).
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