Nico, 1988 – Kritik
Susanna Nicchiarellis Biopic Nico, 1988 möchte die Vergangenheit zurücklassen, um einen Blick auf die Person hinter der Pop-Ikone zu werfen. Aber das Rampenlicht ist viel zu grell.

Bilder einer Montagesequenz wechseln zwischen Zeitungsartikeln und Nahaufnahmen einer jungen Frau. Die Überschriften titeln „Nico!“ oder „Siren of the Sixties“. Eine dem Found-Footage übergestülpte Zeitlupe verleiht ihren großen Augen und den Wimpernschlägen eine zusätzliche Laszivität. Auf der Tonspur scheint sie sich selbst zu besingen: „She’s a femme fatale“. So beginnt Susanne Ofteringers 1995 erschienener Dokumentarfilm Nico Icon über die 1988 verstorbene Sängerin Christa Päffgen alias Nico. Chronologisch hangelt sich der Film an Päffgens mythisch aufgeladenem Leben entlang: Die Kindheit im Deutschland des Zweiten Weltkriegs. Mit 16 Jahren Werbeikone in Paris und eines der ersten Supermodels. Die Beziehung zu Alain Delon, der das gemeinsame Kind Ari nie anerkannt hat. Danach der Durchbruch in der Underground-Szene im New York der 60er Jahre als „Chelsea-Girl“ in der Factory Andy Warhols und bei The Velvet Underground. Anschließend die Karriere als Solo-Sängerin und irgendwann die Rückkehr nach Paris, wo sie mit Philippe Garrel Filme macht, Heroin konsumiert und schließlich auf Ibiza stirbt. Der Beginn von Nico Icon macht es bereits sichtbar: ein schon in dieser verkürzten Darstellung des Films vollgestopftes Leben, das wie jede solcher Künstlerbiografien besonders ergiebig für verklärende Rekonstruktionen ist.
„Don’t call me Nico. Call me by my real name, Christa“

Susanna Nicchiarelli setzt in ihrem neuen Spielfilm Nico, 1988 eine andere Nico ein: eine, die gegen die Bilder Ofteringers kämpfen würde, so wie sie hier überhaupt gegen die eigene Vergangenheit kämpft und vor allem gegen die Verklärung ihrer Person zur Ikone. Der Film gibt sich reichlich Mühe, immer wieder davon zu erzählen: Der Vorspann besteht aus Bildmaterial von Jonas Mekas’ Scenes from the Life of Andy Warhol (1990), wie es auch schon Ofteringer gezeigt hat. Als wolle der Film noch ein letztes Mal die wilden Zeiten heraufbeschwören, ausgiebig in ihnen schwelgen, um sie dann für immer zu begraben und das neue Leben von Nico – oder „Christa“, worauf sie später einmal insistiert – beginnen zu lassen. Denn auch das ist ein Statement gegen den Mythos. Nico, 1988 hat sich nicht für den so naheliegenden Erzählstoff ihres Lebens entschieden. Keine LSD-Trips in der Factory und schon gar keine Aufarbeitung der Beziehung zu Alain Delon (dessen Name im gesamten Film denn auch konsequenterweise vermieden wird). Stattdessen werden wir Zeugen ihrer letzten drei ruhmlosen Jahre. Hauptdarstellerin Trine Dyrholm zeigt dabei nur noch wenige Regungen im verbrauchten Gesicht, die blauen Augen werden wie gezwungen aufgerissen und vermitteln keinerlei Anzeichen von Lebensfreude. „So here are we with Lou Reeds ‚femme fatale‘“, begrüßt ein Radiomoderator sein Gegenüber am Anfang. Er hat genauso viel Enthusiasmus für Nicos Vergangenheit wie sie Aversion für seine Worte. Nicchiarelli packt diesen grundlegenden Konflikt in einen Roadmovie-Plot, der Nico und ihre Band auf ihrer letzten Tour durch Europa begleitet, wobei jeder Auftritt wie ein Plädoyer für ein Dasein im Jetzt rüberkommt.
Reflexive Traumata

Der Anspruch von Nicchiarellis Nico, sich von der eigenen Biografie freizumachen, deutet für den Film eine geradezu typische Biopic-Erzählhaltung an. Eine, die einen Blick auf die Person hinter der Ikone werfen will, frei von fremden Mythen – so als ob es nicht auch einer gründlichen Konstruktionsarbeit bedürfte, solch ein Sujet authentisch erscheinen zu lassen. Es dauert aber nicht lange, bis sich die alten Zeiten wieder einschleichen. Wenn Nico auftritt, die Bühnenscheinwerfer ihr Gesicht erhellen, werden die eigentlich totgesagten Vorspann-Bilder wie Fieberträume schlagartig dazwischengeschnitten. Und überhaupt gibt es eine Menge Traumata bei Nicchiarellis Nico, die keineswegs von außen herangetragen werden, sondern einfach da sind, weil sie als Spuren der Vergangenheit unweigerlich zur Persönlichkeit gehören. Heroin, das wie selbstverständlich im Alltag auftaucht, die damit verbundene Schuld an der Drogenabhängigkeit und der Suizidgefahr von Sohn Ari und ein Weltkriegs-Trauma, das immer mal aus ihr herausbricht – wenn sie etwa gegenüber dem jüdischen Tourmanager ihren Vater fälschlicherweise als Teil des Widerstandes rehabilitieren will oder sich an ihre Kindheit zwischen Trümmern einer Stadt erinnert.

Dieses Trauma wird in den Texten ihrer Songs wie „Nibelungen“ verarbeitet. Einmal lässt Nicchiarelli Nico einen davon im Duett mit sich selbst singen: als Performerin auf einem Konzert und als Mutter am Krankenbett ihres Sohnes. Wer hier noch Bühnen-Ikone und wer Privatperson ist, das ist nicht mehr auseinanderzuhalten. Christa lässt sich nicht ohne Nico, Nico nicht ohne Christa und ihr Leben nicht mehr ohne den Mythos denken. Das merkt nicht nur die Hauptfigur selbst, das merkt auch Nicchiarellis Film. Und so gibt Nico, 1980 den Kampf der Protagonistin gegen die Vergangenheit zum Glück früh genug auf, um einen eigenen Kampf gegen standardisierte Biopic-Logiken aufnehmen zu können.
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