Neubau – Kritik
Salzgeber Club: Ein queerer junger Mann will der Einöde entfliehen und ab in die große Stadt. Neubau ist kein Film über Brandenburg, kein Film über Berlin, kein Film über eine Transition. Sondern ein Film über den Sommer, über Körper, das Sich-Wohlfühlen in der eigenen Haut.

Ein queerer junger Mann will der brandenburgischen Einöde entfliehen und ab nach Berlin, ins große, bunte Berlin. Was ihn hält, ist seine Großmutter, die Hilfe braucht, und vielleicht ein bisschen Wehmut beim Gedanken, das Bekannte hinter sich zu lassen. Das ist viel Stoff für eine tragische Geschichte von Gewalt und Ausgrenzung, Emanzipation und Ausbruch mit großer Geste. Neubau aber ist ein Film der Spuren.

Was man nicht sieht, sind die Bullys, die dem Protagonisten Markus (Tucké Royale) die uneindeutige Geschlechtsidentität zur Hölle gemacht haben. Stattdessen ein Tattoo: „pay it no mind“. Was man nicht sieht, sind graue Dörfer samt Zurückgebliebenen, verlassen und verbittert. Nur Markus in Großaufnahme, vorbeilaufend an unscharfen Fassaden, ein routiniertes „Tachchen“, gerichtet an einen unsichtbar bleibenden Nachbarn.

Neubau ist kein Film über einen Ort in Brandenburg. Keine Namen und keine Einstellungen, die Orientierung im Raum geben. Neubau ist ein Film über den Sommer – mit Sonne so gleißend, man muss die Augen zukneifen –, über das flache Land, das grüne Gras und Eiszeitseen. Beim Zeigen dieser ostdeutschen Landschaft dominieren die Totalen wie sonst die Großaufnahmen, und dazwischen gibt es nur wenig. Wir sehen Gesichter oder bis zum Horizont. Wir hören das Atmen und die ferne Autobahn.

Neubau ist kein Film über Berlin. Keine reale Stadt, sondern sechs Buchstaben bei einer Ausfahrt, eine Chiffre für Lust und ein Leben mit Gleichgesinnten. Berlin, das ist die glitzernde Entourage feierlauniger Queers, die Markus’ Fantasie bevölkern, das sind die Freunde, die er gerne hätte. Neubau ist ein Film über das Verstandenwerden, das Sich-Wohlfühlen beim Anderen. Aber echte Nähe findet Markus auch dort, wo er ist, bei seiner Oma (Jalda Rebling), bei Sabine (Monika Zimmering), ihrer Lebensgefährtin, und bei Duc (Minh Duc Pham), der zurückkam aus Berlin, wo er mal gelebt hat und wo es „anders schön“ war als hier.

In Neubau geht es nicht um die Transition einer Frau in einen Mann. Es geht um Körper: Der eine hat Narben unter der Brust, Bart im Gesicht und muss sich zum Pinkeln setzen. Ein anderer ist braun und faltig und weich. Ein dritter ganz lang und dünn, Haare nur auf dem Kopf, dafür ganz lang. Neubau ist ein Film über das Sich-Wohlfühlen in der eigenen Haut. Ganz nah ist die Kamera, wenn Markus sich selbst berührt, sich eine Spritze setzt, genussvoll raucht. Ein Film über die Lust am Tanzen, am Essen, am Wasserlassen, am Leben.

Im Abspann bekommt Johannes M. Schmits Film noch einen zweiten Titel: Ein Heimatfilm. Die Antithese zum ersten. Und im Abspann ist er gut platziert, denn es braucht den ganzen Film, damit Titel eins und Titel zwei zu einer dialektischen Einheit werden. Selbstfindung, das Sich-Neubauen auf der einen Seite und ein Zuhause, das Beheimatet-Sein auf der anderen, sie stehen in einer Spannung zueinander, doch das eine geht ohne das andere nicht. Neben dem einen Schriftzug, Ausdruck von Schmerz und Trotz, gibt es einen zweiten, Tinte auf Körper, ein Bekenntnis der Zugehörigkeit: „OST“.
Den Film kann man für 9,90 Euro im Salzgeber Club streamen.
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