Near Dark – Kritik

Als die Nacht noch dunkel war. Kathryn Bigelows Vampir-Horror Near Dark zählt zu den stilsichersten Werken des Genres.

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Als Kathryn Bigelow 2010 gleich sechs Oscars für ihr stilistisch perfektes Kriegsdrama Tödliches Kommando (The Hurt Locker, 2008) einheimste, sahen sich viele Kritiker bestätigt, während das Publikum aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Ihr Film war zunächst ein kommerzieller Mega-Flop, wurde aber nach der Auszeichnung noch einmal in die Kinos gebracht und konnte mit der fast parallelen Auswertung auf DVD einigermaßen vernünftige Umsatzzahlen schreiben. Ihrem Ex-Mann und -Geschäftspartner James Cameron war Bigelow – wie schon früher – kommerziell unterlegen, künstlerisch jedoch keineswegs. Die Folge: The Hurt Locker bezwang Avatar (2009) in den wichtigsten Kategorien, unter anderem „Bester Film“ und „Beste Regie“. Underdog gegen Favorit.

Springen wir zurück in die 1980er, als beide Filmemacher ihre Karriere begründeten und bereits nach kurzer Zeit Marksteine des Actionkinos lieferten. Cameron begann den Erfolgstrend mit Terminator (1984) und Aliens (1986), Bigelow drehte bereits 1982 ihren ersten Spielfilm Die Lieblosen (The Loveless). Mit Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (Near Dark, 1987) konnte sie sich als Kult-Regisseurin etablieren, es war ihr Sprungbrett nach ganz oben. Es folgten die Actionklassiker Blue Steel (1989) und Gefährliche Brandung (Point Break, 1991), aber nach dem visionären Strange Days (1995) war Schluss. Bigelow verschwand in der Versenkung, während Cameron unbeirrt weitermachte.

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Was beide Filmemacher neben dem Privaten vor allem verband, waren die Wahl der Schauspieler und bestimmte inszenatorische Mittel. So trifft man auch in Near Dark auf alte Bekannte, die das Gesicht der High-Tech-Actionfilme nachhaltig mit ihrer Persona prägten, aber mit den Figuren, die man mit ihnen assoziierte, später auch nur schwer brechen konnten: Bill Paxton, Lance Henriksen und Jenette Goldstein spielten beispielsweise alle in mindestens drei Filmen von Cameron/Bigelow mit. Diese Überschneidung ist vielleicht eher noch beiläufig und in erster Linie für Fans unterhaltsam. Entscheidend ist die stilistisch-inszenatorische Schnittmenge – oder eben Differenz – zwischen Bigelow und Cameron: Steampunk, nächtliche Stadtbilder und die Vereinigung von Mensch und Maschine sind bei beiden Schlüsselelemente. Vielen Zuschauern sind die dystopischen Weltentwürfe beider Regisseure noch gut in Erinnerung, egal ob urban oder outer space. Die eklektische Darstellung kühler Technik bestimmt auch den Film Near Dark.

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Es gibt aber eben einen Grund, warum Camerons ältere – aber auch neuere – Werke gut und gerne als (groß budgetierter) Trash durchgehen, die im Gegensatz zu Bigelows Filmen in ihrer Zeit festhängen, sich nicht isoliert von ihr betrachten lassen. Near Dark ist das deutlichste Beispiel für diesen Unterschied (somit vielleicht auch Bigelows bemerkenswertester Film bis 2008). Beinahe schon Neo-Noir in Perfektion, etabliert der Horrorfilm eine Bildsprache, die ganz bewusst den Kampf zwischen dem (Schein-)Menschen und seiner unzähmbaren Natur in den Vordergrund rückt. Die tragische Geschichte um einen von einem weiblichen Vampir gebissenen Mann (Adrian Pasdar), der verzweifelt nach einem neuen Zuhause sucht, wird in epischen Naturaufnahmen manifestiert. Mondschein, pechschwarze Nacht und ihre zeitlichen Rivalen, Dämmerung und Sonnenschein, bestimmen vor dem Schauplatz der Wüstenlandschaft Arizonas den Rhythmus der Erzählung. Das technischste Mittel ist dann auch schon ein alter, gegen Sonnenlicht isolierter Wohnwagen, mit dessen Hilfe sich die Vampire auch bei Tag bewegen können. Ansonsten setzt Near Dark vor allem auf eine behutsame Entwicklung der Figuren und auf die Widersprüchlichkeit der (menschlichen) Natur. Der Film kommt dabei ohne das Wort „Vampir“ aus, ihm gelingen aber dramatischere Wendungen als allen bisherigen Twilight-Verfilmungen.

Bigelow begreift mit ihrer Western-Punk-Variante von Bram Stokers Roman Dracula (1897) die Welt der Vampire vor allem als lebensfeindliche Umgebung. Zusätzlich zum gefährlichen Sonnenlicht und der Furcht, nicht genügend Nahrung zu bekommen, fokussiert sich die Erzählung auf soziale Anpassungsmechanismen. Der eben noch menschliche Caleb (Pasdar) muss schnell lernen, zu töten und seinen Instinkten freien Lauf zu lassen. Die Gruppe der Vampire wird seine neue Familie, nimmt ihn trotz anfänglicher Demütigungen in Schutz. Gemeinsam kämpfen sie ums Überleben in einer düsteren, unwirtlichen Welt. Vampire als Randgesellschaft. Der zunächst nur genreinterne Verweis auf ein lokales Kinoscreening von Camerons Aliens, an dem Caleb nachts vorbeitaumelt, wirkt bei näherer Überlegung wie eine sozialkritische Komponente.

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Kaum Studiodrehs. So einfach. Während man vielen neuen Blockbustern, zu deren Machart sich auch immer schon James Cameron verpflichtet gefühlt hat, eine konstruierte Räumlichkeit mit Hilfe von CGI und digitalen Kontrastwerten ansieht, wirkt Near Dark bei all seiner unleugbaren Künstlichkeit (elektrisches Licht, Kunstblut, der treibende Synthie-Score von Tangerine Dream) überaus naturalistisch. Die ersten Schritte Calebs als Vampir werden synchron zur ersten Morgendämmerung inszeniert – ein erster Gang des Todes inmitten poetisch fotografierter Prärie. Bei Nacht spiegeln sich die langgezogenen Schatten der Blutsauger auf feuchtem, kühl beleuchtetem Asphalt; die dunklen, satten Farben kreieren eine geradezu physisch spürbare Welt des Unheils. Das klar unterscheidbare Wechselspiel von Tag und Nacht gleicht einem überaus stilisierten Totentanz. Bigelow inszeniert einen Film von sowohl menschlichen als auch natürlich-offensichtlichen Gegensätzen. Und genau das macht ihn so spannend und zeitlos.


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