Mr. Shi und der Gesang der Zikaden – Kritik
Regisseur Wayne Wang (Smoke) beleuchtet aufs Neue und diesmal im bedächtigen Tempo Kulturkontraste und Generationsentfremdungen. Aber liegt in der Ruhe auch die Kraft?

„Mach das Licht aus, Ylan. Es ist schon spät, und morgen ist ein Arbeitstag“. Der Besuch der Eltern degradiert so manchen Erwachsenen wieder zum Kind. Da spielt es keine Rolle, dass aus dem Schultag längst ein Arbeitstag geworden ist, und Ylan (Faye Yu) schon seit Jahren Befehlsgewalt über das eigene Leben inklusive Schlafzimmerbeleuchtung hat. Widerstand zwecklos. Also löscht sie folgsam das Licht und lässt sich vom Vater (Henry O) zunächst ohne Proteste mehr Essen als gewollt in die Reisschale häufen. Der verwitwete Rentner Mr. Shi aus China besucht seine einzige Tochter nach vielen Jahren der Trennung zum ersten Mal in den USA, um ihr nach der Scheidung zur Seite zu stehen - ohne wirklich willkommen zu sein.
Wayne Wang filmt seinen Protagonisten allein in Ylans unpersönlichem Apartment, wo er mit russischen Babuschka-Puppen spielt, in einem Sessel sitzt oder am Fenster eine Familie von gegenüber betrachtet. Über dem Herd hängt er eine chinesische Zeitung auf, und um die Vorhänge bindet er ein rotes Tuch, um sich heimischer zu fühlen. Draußen begegnet er einem Mädchen im Bikini, einem Mann von der CIA und einer Frau aus dem Iran, mit der er sich trotz Sprachbarriere besser verständigen kann als mit seinem entfremdeten Kind. Bis es schließlich zur Aussprache zwischen Vater und Tochter kommt, passiert nichts Spektakuläres, gibt es keine Höhepunkte.

Ganz im Gegensatz zu Wangs Töchter des Himmels (The Joy Luck Club, 1993), der diverse Generationsklüfte und -parallelen zwischen chinesischen Müttern und ihren in den USA aufgewachsenen Töchtern in epischer Form behandelte, ist sein traurigkomischer Mr. Shi und der Gesang der Zikaden (A Thousand Years of Good Prayers) eine Abkehr von dessen dramatischer Umsetzung. Zudem eine von den großen Studioproduktionen der letzten Jahre wie Winn-Dixie - Mein zotteliger Freund (Because of Winn-Dixie, 2005) oder Noch einmal Ferien (Last Holiday, 2005) und ein Zurück zum früheren Independent-Kino von Chan ist verschwunden (Chan Is Missing, 1982) oder Smoke (1995).
Mit seinem aktuellen Projekt hat der in Hong Kong geborene Regisseur die Titelgeschichte aus der Kurzgeschichtensammlung „A Thousand Years of Good Prayers“ der chinesischen Autorin Yiyun Li adaptiert, da sie ihn an die Filme des Japaners Yasujirô Ozu erinnert habe, so Wang. Und tatsächlich scheint es, als wolle er mit seinem zurückgelehnten, unaufgeregten Erzählrhythmus und den langen, gemächlichen Einstellungen in manchen Sequenzen Ozus behutsamen, anti-dramatischen Beobachtungen familiären Zusammenseins seine Reverenz erweisen. Doch obwohl in Mr. Shi wiederholt Aufnahmen eines Bahnsteiges zu sehen sind (wie in fast allen Ozu-Werken), und das leise Drama besonders zu Die Reise nach Tokyo (Tokyo Monogatari, 1953) thematische Ähnlichkeiten aufweist - in dem Auseinanderleben der Generationen und in der Begegnung von Tradition und Moderne -, hier enden die Gemeinsamkeiten dann auch schon wieder.

Anders als die Haltung des Japaners zu seinen Figuren ist die Wayne Wangs keine rein wahrnehmende und urteilsfreie. Er zeigt ein großes Herz für die im Film vertretenen Immigranten aus China, Russland und dem Iran. Jedoch ein deutlich geschrumpftes für die US-Amerikaner, die ihnen über den Weg laufen, und die fast alle am Rande überstrapazierter Klischees wandeln: eine quirlige Blondine, die behauptet zu studieren, was man ihr aber nicht so recht abkaufen mag; ein Antiquitätenhändler, der den Eindruck erweckt, eine Waffe unterm Tresen zu verstecken sowie zwei missionierende Mormonen, die so weltfremd sind, dass sie noch nie etwas von Marx und Engels gehört haben. Auch wenn diese Auftritte witzig sein sollen, viel mehr als platt sind sie nicht.
Die gelungensten US-Produktionen des Regisseurs, darunter Smoke und Überall, nur nicht hier (Anywhere But Here, 1999), zeichnen sich durch ihre greifbaren, dreidimensionalen Charaktere aus. In Mr. Shi finden sich in den Nebenrollen überwiegend Stereotypen. Dazu eine Tochter, die blass und konturlos bleibt, und ein Titelheld, der als kochendes und kommunistisches Abziehbild eines Asiaten über die Leinwand tapert und zu spät etwas von seinem Innenleben preisgibt, um über weite Strecken als alleiniger, wenn auch sympathischer Träger der Handlung zu interessieren. Vater und Tochter sind in erster Linie Repräsentanten einer vergangenen und einer gegenwärtigen Lebensart. Darüber hinaus schreibt ihnen das Drehbuch kaum individuelle Eigenschaften zu, die sie einem nahe bringen.
Es scheint, als hätte Wayne Wang sein Lieblingsmotiv der Kulturgegensätze und Generationsbarrieren ausgereizt und seinen vorangegangenen Werken in diesem Punkt nichts Neues mehr hinzuzufügen. Auch die Bildsprache verfällt in Plattitüden. Während sich Mr. Shi vor Ylan offenbart, platziert der Regisseur eine überpräsente Wand zwischen ihnen. Okay, wir verstehen: Hier haben zwei Menschen ein Kommunikationsproblem. Das hat man als Zuschauer auch mit diesem Film. Man fühlt sich nicht angesprochen und unterfordert.
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