Monster: Die Geschichte von Ed Gein – Kritik

Netflix: Die Geschichte von Ed Gein, die neue Staffel von Ryan Murphys Monster-Anthologie, erzählt die Geschichte des Serienmörders, der Hitchcocks Psycho inspirierte. Die spärlichen Fakten des Falls reichert die Serie mit wilden Gastauftritten und einer kindlichen Freude am Tabubruch an.

Voyeurismus, erotische Autostrangulation, schuldhaft verarbeiteter Transvestitismus, Nazisploitation – und das in den ersten zehn Minuten. Subtilität und Sensitivität waren noch nie die Stärken des Serienproduzenten Ryan Murphy, seine neueste Staffel der Monster-Anthologie für Netflix, Die Geschichte von Ed Gein (The Ed Gein Story), geht aber besonders krawallig los. Bei einer Serie über den berüchtigten Schlächter von Plainfield, der Pate für so unterschiedliche Filme wie Psycho, The Texas Chainsaw Massacre oder auch Das Schweigen der Lämmer stand, dürfte das wenig überraschen. Das willige Publikum wird schon wissen, worauf es sich hier einlässt.

Nach einer kreativen und kommerziellen Durstrecke konnte Murphy nämlich in den vergangenen Jahren mit Monster bei Netflix wieder künstlerischen Boden gutmachen. Die fiktionalen Abhandlungen über den Serienmörder Dahmer (Staffel 1) und die Menendez-Brüder (Staffel 2) waren veritable, preisgekrönte Hits. Da lag es nahe, mit einem so mythologisch aufgeladenen Charakter wie Ed Gein weiterzumachen, zumal ein Ende des True Crime-Booms nicht abzusehen ist. Was früher der alleinige Beritt von Weirdos in Hobbykellern war, ist heute auch die Domäne etwa von universitätsgebildeten Frauen, die in blutrünstigen echten Fällen Ablenkung vom Alltag suchen. „Wake me up when it’s Munchhausen by Proxy!“, wie der schöne Saturday Night Live-Sketch “„Murder Show” “ die Formel treffend auf den Punkt bringt.

Eine Serie, die sich durch Kannibalismus am Leben erhält

Das Prozedere bei Ed Gein folgt grob dem typischen Murphy-Muster: Eine High-Concept-Erzählstruktur, die eine neue Sichtweise auf ein altes Phänomen verspricht, aseptischer, aber durchdachter und hochwertig anmutender Streaming-Look und ein bunt zusammengewürfelter, knalliger Cast aus regulären Murphy-Spielern, vielversprechenden Newcomern, etwas in Vergessenheit geratenen Altstars und, man mag es kaum glauben, Vicky Krieps als Nazi-Braut.

Das Problem bei Ed Gein: Trotz all seiner (traurigen) Berühmtheit, war Gein weder ein besonders aktiver Serienmörder (es werden ihm offiziell nur zwei Morde zur Last gelegt), noch weiß man allzuviel über ihn. Wie damit acht Netflix-Folgen füllen? Die Lösung, die Murphy und die Showrunner Ian Brennan und Max Winkler gefunden haben: Es wird an jeder Ecke ausgemalt, hinzugedichtet und schlicht erfunden. Außerdem kannibalisiert die Serie auch ausgiebig die zuvor genannten Filme von Hitchcock, Hooper und Demme. Dadurch soll wohl eine Art Vexierspiel entstehen über die Wechselwirkung von Wirklichkeit und Kreativität, von Erzählung und Realität.

Das findet aber alles keine Linie und es kommt – auch typisch für Murphy – schließlich ein wild durcheinander gerührter Cocktail heraus, der mal langweilt, mal erstaunt, mal berührt, mal überrascht, mal amüsiert und mal zur Kotztüte greifen lässt, aber nie ganz überzeugt. Alles wie gehabt also. Außer dass hier, mehr als sonst bei Murphy, eine geradezu kindliche Freude am Tabubruch regiert, die oft ins komplett Vulgäre und Geschmacklose kippt.

Eine wilde Mischung aus True Crime und Hag Horror

Die schauspielerischen Leistungen sind jedenfalls sehenswert. Mit Subtilität kommt man zwar hier auch nicht weit, aber die Macher vertrauen ihren Schauspielerinnen und Schauspielern und lassen ihnen offenkundig freien Lauf. Laurie Metcalf als herrische Mutter und Lesley Manville als verbrauchte Kleinstadtdiva halten die Hag Horror-Fahne hoch. Instagram-Model und Popstar du jour Addison Rae schaut vorbei.

Charlie Hunnam verleiht dem Monster Ed Gein nach anfangs ziemlich enerviert wirkendem Mimikry-Spiel doch noch ungeahnte Facetten und einiges an Pathos. Vicky Krieps hat einen der undankbarsten Parts in einem der moralisch fragwürdigsten Subplots der Geschichte. Aber meine Güte tut es gut, sie mal in keiner prestigeträchtigen, europäischen Arthouse-Produktion zu sehen. Besonders hervorzuheben wäre jedoch Suzanna Son in der Rolle von Geins Freundin Adeline Watkins, einer Art weiblichem Spiegelbild zu Gein, die wohl das Konsumentenverhalten der zeitgenössischen Serienkiller-Fans reflektieren soll.

Wem die Serie also empfehlen? An „echten“ Fakten orientierte True Crime-Fans kommen kaum auf ihre Kosten. Freunde dramaturgisch kongruenter, sorgfältig geschriebener Qualitätsunterhaltung ebensowenig. Vielleicht funktioniert das alles am Ehesten für moralisch flexible, sensationsheischende Hipster mit Freude am Hochglanz-Tabubruch, Sadboy/girl-Attitüde und hoher Quatsch-Toleranz. (Ich schließe mich da nicht aus und hatte an einigen Aspekten meinen Spaß.) Alle anderen schauen den wirklich hervorragenden Trailer, der zeigt, was die Serie auch hätte sein können, aber nicht ist.

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