Men - Was dich sucht, wird dich finden – Kritik

Alex Garlands Folk-Horror Men sucht in gleißender UHD-Optik nach den okkulten Wurzeln toxischer Männlichkeit. Dabei ist er in seinen zartesten Momenten am verstörendsten.

Wenn Harper brüllt, seufzt der Film mit auf. Erst hallt ihr Schrei noch durchs Presbyterium der schmalen anglikanischen Dorfkirche, doch dann wabert er aus den Räumen im Bild heraus und suppt hinüber in den Score von Geoff Barrow und Ben Salisbury. Weicher wird der Klang dabei, auch ein wenig erhabener – auf Harpers wütendes, körperliches Kreischen antworten wortlose, verhuschte Chorale. Auf ganz sanfte Art und Weise wird da die vierte Wand durchstoßen – eine zarte, willkommene Geste der Solidarität zwischen Filmform und Filmerzählung in Alex Garlands Men, der sich ansonsten auf oft wenig feinfühlige Weise auf seine Hauptfigur verengt.

Klischees wie im Traum

Harper (Jessie Buckley) ist für zwei Wochen abgehauen aufs englische Land, in ein uraltes Herrenhaus – um durchzuatmen nach dem Unfall/Selbstmord ihres Ex (Paapa Essiedu). Pures Idyll. Wären da nicht die im Umgang mit Frauen spürbar ungeübten, dumpf begehrenden Männer im Dorf und der unmenschlich, fast vogelhaft krächzende Stalker im Wald.

Men entwirft dieses Horrorfilm-Klischeeszenario im ersten Drittel mit nahezu traumwandlerischer, märchengleicher Ruhe – und mit hypnotischen, farbenstrahlenden HDR-Bildern. Zwischen Orange und Magenta gemahnen die Zeitlupen-Flashbacks an den Todessturz von Harpers Ex. Ein endlos gedehnter Blickwechsel durchs Fenster. Sie, stumm schreiend in der Küche, er ungläubig staunend, im freien Fall, hinter dem Balkongeländer. Alles ist gleißende Farbe und Licht. Das Grellgrün des Frühlingswaldes, durch den Harper zur Seelenberuhigung später wandert, scheint dann fast aus dem Kader zu explodieren.

Eine fantastische Teufelbeschwörung

Kameramann Rob Hardys Hyperrealismus wirkt im sonst gerne analog-klassizistischen Genre des atmosphärischen Folk-Horror à la Robert Eggers’ The Witch (2015) aufregend unverbraucht. Stil und Atmosphäre greifen Garlands ebenfalls von Hardy fotografiertes Sci-Fi-Meisterwerk Auslöschung (Annihilation, 2018) wieder auf. Es sind Bilder, in denen das, was sie zeigen, und das, womit sie es zeigen, eng aufeinander verweisen – das Symbolische und das Stoffliche sind verwoben, könnte man sagen. Eine verstörende, post-digitale, in megasaturierten Farben glühende Traumwelt lockt und schreckt da am anderen Ende des uncanny valley.

Diese wunderbar ambivalente gestalterische Magie gebiert bald eine der tollsten Teufelsbeschwörungsszenen überhaupt. Harper hat bei ihrem Waldspaziergang einen feuchten, höhlengleichen Abwassertunnel gefunden. Und in der pechschwarzen Röhre singt sie ihrem eigenen, sich endlos wiederholenden Echo hinterher, formt mit kindlicher Freude Harmonien, die von den Tiefen des Bildes bis ins Sounddesign im Publikumsraum widerhallen – und auf einmal erhebt sich am anderen Ende, weit entfernt, ganz klein zuerst, im Gegenlicht des gleißenden Frühlingsgrüns eine männliche Gestalt. Und schreit. Und beginnt zu rennen wie die Zombies in 28 Days Later (Drehbuch: Garland). Die Szene ist terrifying und feinfühlig zugleich, hochmusikalisch und schlau geschnitten.

Die Verengung des Blicks

Doch mit der sich aufrichtenden Silhouette eines Mannes findet Men leider auch seinen Titel, sein Thema – und seine Fesseln. Wo sich Auslöschung – ebenfalls ein Film, der von einer zerrütten weiblichen Psyche ausgeht – immer weiter entgrenzte, Kategorien auflöste – Mensch, Tier, Pflanze; Technik und Natur; fest und flüssig; greifbar und ungreifbar –, faltet sich Men mit zunehmender Dauer immer mehr in sich selbst zurück. Wird enger, begrenzter, unergiebiger.

Zum Beispiel der Kalauer, dass hier alle Männer wortwörtlich gleich sind: Der Besitzer ist ein Schrat mit schiefem Gebiss, der Pastor ein schmalzhaariger Grabscher, der Polizist ein kleiner Faschist und der frauenverachtende Dorfbully ein Kinderkörper mit demselben Männergesicht wie die anderen drei. Denn Rory Kinnear spielt sie alle, chamäleonhaft zwischen den Kostümen wechselnd, aber immer mit demselben sleazy-geifernden, zu lange auf Harpers Körper und Gesicht verharrenden, suchenden, flehenden, gierenden Augen.

Keine Angst, das ist kein großer Spoiler: Schon der Trailer verrät den Gag. Aber was kurz noch an Chris Cunninghams verstörendes Musikvideo für Aphex Twins Come to Daddy erinnert, ist hier die Verabsolutierung einer eher unerquicklichen Eigenschaft des Horror-Traumaverarbeitungskino: Alles, was passiert, passiert irgendwie eher im Kopf der Hauptfigur als in der Welt, mit der sie zurechtkommen muss. Deshalb sind viele Horrorfilme bis an die Grenzen des Solipsimus figurenzentriert. Und deshalb folgen sie oft dem Erzählpfad der Erkenntnisreise: Am Ende steht die schockierende-heilende-notwendige Einsicht, die klärende Konfrontation, die Katharsis.

Ein Film von Männern für Männer

Men lenkt die Geschichte einer Frau, die traumatisiert aus einer toxischen Beziehung in eine dämonische Welt voll ununterscheidbarer, sexgieriger Männer taumelt, entsprechend in Richtung einer hemmungslosen Auseinandersetzung mit einer sich monsterhaft immer wieder selbst hervorbringenden toxischen Männlichkeit. Und ist dabei – und das leider wohl eher unreflektiert – vor allem ein Film von Männern für Männer. Der grobschlächtige, mit allerlei paganistischen Naturbildern hantierende, streng zweigeschlechtlich funktionierende Symbolismus, auf den der Film hinausläuft, ist für eine echte Auseinandersetzung mit der politisch-emotionalen Realität gewalttätiger Männlichkeit wenig ergiebig – umso mehr aber für die Schlaumeierei der wiederum sehr männlich dominierten Clickbait-Industrie der „Ending Explained“-Videos auf YouTube.

Harper selbst erlebt die letzten Mutationen des Films und seiner männlichen Monstren denn auch eher matt denn kämpferisch, passiv statt aktiv, ermüdet statt befreit. Als hätte sie, in einer letzten zarten Penetration der vierten Wand, nicht nur ihre Situation, sondern die Erzählung selbst durchschaut. Und mit dieser sanften Ungewissheit entlässt uns dieser letztlich nur in seinen zarten Momenten wirklich verstörende Film.

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