Mektoub, My Love: Intermezzo – Kritik
Gescheiterte Pornografie oder die Dekonstruktion eines Hinternfetischs? Mit Mektoub, My Love: Intermezzo sorgt Abdellatif Kechiche wieder für ein Ereignis in Cannes, nur offensichtlich gegen seinen eigenen Willen.

Seine Ehrlichkeit ist entwaffnend. Wie er von seiner Lust spricht. Seiner Faszination für die jungen Menschen, die er in Mektoub, My Love: Intermezzo vor der Linse hat. Wie er an die Körper als Skulpturen denkt, wenn er sie von unten filmt, so wie man antike Körpernachbildungen aus Stein beim Vorbeilaufen meistens von unten sieht. Wie er Momente einfangen will, Schönheit und Präsenz, wie er Farben einsetzt in Anlehnung an Picasso. Klingt geschrieben eitler als im Gespräch. Abdellatif Kechiche zögert, denkt nach, unterbricht sich selbst, will die Fragen der Journalisten beantworten, und das nicht irgendwie.
Kechiche scheut die Überhöhung und eine Beschreibung seines konkreten Prozederes. Zu oft sei er missverstanden worden in der Vergangenheit. Er betont die Freiheit des Experiments, der Formwerdung eines Werks, das auch nach der Premiere in Cannes noch nicht abgeschlossen ist. Er erzählt von Dialogen, die ihm fehlen und die in die finale Version wieder hineingeschnitten werden sollen. Er entschuldigt sich für die Länge, für die Aufmerksamkeit, die er beansprucht. Das Entschuldigen gehöre zu seiner Kultur. Wie defensiv er heute ist, wie wenig er der Wirkung seiner Arbeit zu vertrauen scheint, wie misstrauisch er um sich blickt, die Augen hinter der Sonnenbrille versteckt, es macht mich traurig.
Entblößung zum Effekt

Lieber hätte ich Kechiche nicht über Mektoub, My Love: Intermezzo sprechen hören. Ohnehin höre ich gerne weg, wenn ein Regisseur über sein Werk spricht. Um mir meinen eigenen Weg zu bahnen, aus der Erfahrung zu schöpfen, das Sichtbare zu privilegieren vor dem Gedachten und Gemeinten. Es geht nicht immer. Es lässt sich nicht ignorieren, wenn die Haltung eines Films so zweifelhaft erscheint wie hier. Wenn Körper entblößt werden zum Effekt, stundenlang. Wenn sie ununterbrochen die eigene Sexualität feilbieten in einer Bewegung der Selbstoffenbarung, ohne dass es filmisch aufgefangen würde. Ohne dass es einen Rahmen gäbe, der jenseits der Wiederholung, des Exzesses perspektiviert.
Kechiche ist ein unheimlich kluger Regisseur, ein Meister, was einem manchmal zu leicht über die Lippen kommt. Bei ihm habe ich daran keinen Zweifel. Er hat einen der besten Filme über die französischen Banlieues gedreht, er heißt L’esquive und stammt von 2003. Seitdem ist viel passiert, Kechiche hat die Goldene Palme gewonnen mit Blau ist eine warme Farbe (La vie d’Adèle, 2013) und vorletztes Jahr einen fantastischen Reigen über die Jugend in Südfrankreich vorgelegt: Mektoub, My Love: Canto Uno. Dessen Fortsetzung ist Intermezzo. In Deutschland kam bereits der erste Teil nicht ins Kino, was viel mit Sexismus-Vorwürfen zu tun haben dürfte. Für die Fortsetzung fallen die Reaktionen noch viel harscher aus. Ich stehe ziemlich verloren vor diesem Werk.
Die einen haben Körper, die anderen nur Gesichter

Lediglich vier Sequenzen umfasst der gesamte, dreieinhalbstündige Film. Einen ganz kurzen Fotoshoot zu Beginn, der uns gleich mit der sexualisierten Perspektive des Protagonisten Amin (Shaïn Boumedine) vertraut macht, der sein nacktes Model von oben nach unten abfährt und auf dem Hintern Halt macht. Es folgt eine sehr lange, beinahe in Echtzeit inszenierte Strandbegegnung zwischen der tunesischstämmigen Großfamilie und einer jungen, blonden Pariserin, die in die Gruppe integriert wird. Der offensive Flirt beginnt, die Beziehungsverhältnisse werden in Erinnerung gerufen. Dann springt der Film ein paar Stunden vorwärts, und wir landen mit denselben Protagonisten in einem Nachtclub. Beinahe drei Stunden dürfte diese eine Szene dauern. Dann ist das Intermezzo auch schon fast vorbei, das Ende vollzieht nur ganz kurz einen Ortswechsel für den Morgen danach, führt ein anderes Licht ein, ein weißes, helles, das Licht einer Ernüchterung.
Episch aufgeladen sind die kleinen Momente, die Kechiche aneinanderreiht, ziellos, aufdringlich, unerklärlich. Mektoub, My Love verheimlicht seinen Blick nicht: Es ist der von heterosexuellen Männern auf Frauen. Völlig unterschiedlich werden die Geschlechter in Szene gesetzt. Die einen haben Körper, die erkundet werden, die anderen nur Gesichter und Intention. Zwar wird Amin auf gewisse Weise narrativ auch objektiviert, er ist Bezugspunkt vieler Frauen, sie wollen ihn, sie werfen sich auf ihn, sie entlocken ihm ein Lächeln, sie holen ihn aus der Reserve. Aber nie wird er sexualisiert. Das passiert nur mit den Frauen.

In einer recht amüsanten Szene diskutieren zwei Frauen, schon ziemlich drüber, zwischen viel Gähnen, über ihre Faszination für bestimmte Formen von Hintern. Camélia (Hafsia Herzi) mag sie lieber prall, Mel (Meleinda Elasfour) lieber kleiner. Sie sprechen minutenlang über Ärsche, über Männer, irgendwann auch über lesbische Erfahrungen. Einen Gegenschnitt gibt es nie. Sie haben Meinungen, Ideen und Würde, für ihren Blick aber interessiert sich Kechiche nicht. Stattdessen wiederholt Intermezzo Tanzbewegungen der Frauen, meistens von unten gefilmt, vor allem den Twerk, bei dem der ganze Körper geschüttelt wird, dass jede Faser der Haut zum Schwingen kommt. Elegant ist das nicht, noch nicht einmal besonders erotisch. Aber eindringlich, überwältigend, irgendwann sogar bedrückend.
Kontrolle hat hier nur einer
Nach Blau ist eine warme Farbe gibt es auch hier wieder eine Sexszene, die diskussionswürdig ist. Gefühlt zwanzig Minuten dauert sie, obwohl Zeitverhältnisse nach einer Weile nur noch schwer zu fassen sind, wenn man nicht auf die Uhr schaut, so tranceartig wirkt irgendwann die lange Nacht, der Wechsel zwischen Dialogen, Berührungen, Tänzen, Flirts, gegenseitigem Aufgeilen. Die Sexszene ist mindestens interessant, sie bietet sich auch diskursiv an, weil sie lange vorbereitet wird und das Ergebnis von offensiven Flirtversuchen ist, die anscheinend schon so viele Male zuvor gescheitert sind. Ein Mitleidsfick vielleicht, wahrscheinlicher aber ein Ichwillwasdummestunheute-Sex. Ophélie (Ophélie Bau) lässt Aimé (Roméo De Lacour) ran, der vorher noch so unglaubwürdig mit seinen Cunnilingus-Fähigkeiten geprahlt hat. Jetzt muss er den Beweis antreten.

Ophélie hat auf den ersten Blick das Heft in der Hand, dirigiert Aimé, zieht an seinen Haaren, platziert seinen Mund, reitet auf ihm, verrenkt sich, wechselt ständig die Position. Ja, auf den ersten Blick lässt sich das so lesen, als dominiere sie ihn. Gleichzeitig ist auch hier wieder ausschließlich ihr Körper zu sehen, er begraben unter ihrem, außerhalb des Kaders. Auch im Schauspiel zeichnet sich weniger ihre Befriedigung, ihr Verlangen ab, sondern eher die akrobatische Leistung, das Hinrücken der Brüste, die aus dem BH rutschen für die Kamera. Je länger die Szene dauert, desto offensichtlicher wird, das hier nur einer Kontrolle hat, das ist der Filmemacher. Und dass er diese Kontrolle so schamlos ausnutzt, seine Position in keiner Sekunde infrage stellt, nie öffnet, sondern besoffen ständig in der Wiederholung verstärkt, dessen wird man früher oder später überdrüssig. Wenn der Film nicht gleichzeitig klüger wäre als die Zuschreibungen seines Machers. Denn ob er es will oder nicht, eine Dekonstruktion seines Begehrens findet gleichzeitig nun einmal auch statt. Mit dem erdrückend ernsthaften Insistieren auf seinem Hinternfetisch hinterlässt das Intermezzo einen albernen Eindruck. Die Übertreibung kann irgendwann nicht mehr aufgefangen werden, nicht mehr geglaubt werden. Eines weiß ich nämlich sicher: Nach diesem Film will ich nie wieder auf Hintern blicken.
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