Mein schönster Sommer – Kritik
Teenager-Romantik und wilder Sex: Mein schönster Sommer (2017) hätte ein Rohmer-Film werden können oder eine schwelgerische Romanze oder eine Komödie à la Eis am Stil. Nichts davon hat Eckhart Schmidt gedreht.

„Was tut sich – im deutschen Film?“ heißt eine Reihe im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt am Main. Einmal im Monat stellen hier Filmemacher oder Filmemacherinnen ihre neuesten Handyfilme vor – ich nenne sie jedenfalls so, weil sie meist aussehen, als seien sie von einem 15-Jährigen mit seinem Handy gedreht, und weil sie eigentlich auch nur dort angesehen werden können, vielleicht noch auf einem Tablet nebenbei beim Essen. Eine Kinoleinwand jedenfalls vertragen sie nicht. Gelegentlich gibt es in dieser Reihe auch mal einen Film zu sehen, der sich dem Scheiß-Fernsehnaturalismus entzieht, richtiges Kino halt. Ein solcher war im letzten Jahr Mein schönster Sommer von Eckhart Schmidt.
Unerfüllte Sehnsucht, plötzliches Glück
Die 17-jährige Valeria verbringt die Sommerferien zusammen mit einer Clique ungefähr Gleichaltriger in einem Badeort am Meer. Sie ist in den 20-jährigen Marco verliebt, einen zurückhaltenden, etwas geheimnisvollen jungen Mann, und versucht, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist ihre erste Liebe, und deshalb wird das ihr schönster Sommer werden – allerdings auch ihr schrecklichster, denn sie begegnet ebenso dem Tod. Es gibt in dieser Geschichte lange Passagen unerfüllter Sehnsucht, quälende Momente der Peinlichkeit ebenso wie des plötzlichen Glücks, es gibt Teenager-Romantik und wilden Sex, eine lebensgefährliche Situation und eine blutige Katastrophe, und jemand verschwindet spurlos. Man könnte sich das Ganze als einen Rohmer-Film vorstellen oder als eine in Nostalgie schwelgende Romanze wie Summer of ’42 (1971) oder als Komödie à la Eis am Stil (1978) oder sogar als Thriller – oder eine Mischung von alldem.
Nichts davon hat Eckhart Schmidt gedreht. Er hat, sicher auch aus ökonomischen Gründen, eine sehr viel billigere Variante gewählt – damit allerdings auch die wahrscheinlich bessere: Er lässt seine Protagonistin ihre Geschichte im Off erzählen, inklusive Kapitelüberschriften wie „Vom Träumen“, „Das Universum und ich“ oder „Momente des Glücks“. Zu Beginn – und im Verlauf des Films immer wieder – sieht man Valeria auf einer Dachterrasse in Rom sitzen und ihre Erinnerungen an die Sommerferien, gerichtet an eine ungenannte Person, in die Tasten eines Laptops tippen, wenn sie nicht aufsteht und gedankenverloren über die Dächer schaut. Es ist schon mal eine Leistung des Filmemachers, mit Cecilia Saracino eine Darstellerin gefunden zu haben, die durch ihre bloße Präsenz überzeugt und von deren lächelndem, traurig dreinblickendem oder verzweifeltem Gesicht ein geradezu magischer Sog ausgeht. Und es ist eine weitere Leistung, mit Maresa Sedlmeir eine deutsche Stimme gefunden zu haben, die den Text etwas atemlos, aber nicht hektisch vorträgt, vibrierend vor Emotionalität, aber ohne nervig zu wirken und ohne dass eine Schauspielübung daraus gemacht würde.
Schmidt hat erzählt, dass er mit Jugendlichen verschiedener Länder Hunderte von Interviews für ein Buch geführt habe, aus denen Geschichten in diesen Film eingegangen seien, und dass auch die wildesten davon der Wahrheit entsprächen. Wären sie erfunden, würde das aber auch keinen Unterschied machen: Entscheidend ist, dass sie im Rahmen des Films und des von ihm vermittelten, ebenso romantischen wie ganz und gar heutigen Lebensgefühls authentisch wirken und dass hier die 17-jährige Protagonistin mit all ihren Aspirationen, Sehnsüchten und Selbstzweifeln zutiefst ernst genommen wird.
Bilderfluss voller Alltagsbeobachtungen
Diese Off-Erzählung hat Schmidt also nicht in filmische Aktion umgesetzt, er hat sie aber auch nicht eins zu eins bebildert. Drehort war das Seebad Mondello bei Palermo; dem Ort der Handlung nähert sich der Film zu Beginn in mehreren von der Straße aus aufgenommenen Kamerafahrten. Die allermeisten Einstellungen sind aus der Hand gedreht, was allerdings nicht immer auf Anhieb ins Auge sticht, weil die Bewegungen der Kamera oft minimal bleiben. Auch bei quasi-starren Einstellungen ist oft ein kleines Zittern oder Ruckeln zu bemerken. Das dient hier dazu, den Filmemacher (Kameramann war Schmidt selber unter seinem Pseudonym Raoul Sternberg) als Beobachter und Interpreten der Szenerie ins Bewusstsein des Zuschauers treten zu lassen. Manchmal ist der Himmel bewölkt, zumeist aber sind die Einstellungen vom Strand, von den Bars, vom Lungomare oder vom Yachthafen sonnendurchflutet; sie evozieren eine Vorstellung von Urlaub, ohne dabei an Touristikprospekte zu erinnern. Schmidt erreicht das, weil er seine Bilder nicht sofort mit Bedeutung auflädt; er will dem Zuschauer auch nichts verkaufen.
Zu Beginn sind die in der Off-Erzählung angesprochenen und im Bild sichtbaren Lokalitäten weitgehend kongruent, und auch später bebildert Schmidt gelegentlich einen Handlungsort direkt, etwa im Falle des Parks, der Hotelhalle, der Villa, des Hafens oder des Zeitungskiosks. Dabei setzt er besondere Akzente: Die Aufnahmen von Pflanzen im Park kommentieren ironisch die falsche Liebesgeschichte, die dort stattfindet, und die Villa, in der das Sexspiel abläuft, wird konsequent nur von außen gezeigt. Mehrfach im Film kommt allerdings die Gelateria ins Bild, wenn von ihr die Rede ist, und sie erweist sich in der Tat immer mehr als ein zentraler Handlungsort; einmal, in einer Quasi-Rückblende, sieht man dort sogar Valeria sitzen. Zumeist aber wird der Zuschauer mit einem in freier Assoziation montierten, keinen direkten Bezug zum Text aufweisenden Bilderfluss konfrontiert, der voller kleiner Alltagsbeobachtungen steckt und wie ein Resonanzraum für die Off-Erzählung wirkt.
Appell an die Vorstellungskraft
Der Zuschauer sieht die Orte der Handlung, muss sie aber selber mit dieser verknüpfen. Die Abfolge der Einstellungen ist dabei nicht etwa beliebig, sondern ihr liegt ein intuitives Angemessenheitsurteil zugrunde. Einige Motive, etwa das der Umkleidekabinen oder eines Brunnens mit Figur, skandieren den gesamten Film und wirken wie Orientierungsmarken, drei Doppelbelichtungen setzen poetische Akzente, wenn vom „Universum aus Sand und Sternen“ die Rede ist, und eine vierte evoziert die Folgen der Explosion. Eine besondere Funktion kommt schließlich dem Fresko „Triumph des Todes“ in der Galleria Nazionale in Palermo zu, welches das Geschehen überhöht; hier bündelt sich auch die Thematik des Films, indem im Museum vor diesem Fresko zwei entscheidende Küsse und Umarmungen stattfinden.
Mein schönster Sommer ist ein Werk, das an die Vorstellungskraft des Zuschauers appelliert und nicht an seine Dumpfheit oder Selbstzufriedenheit. Ich war nie ein sonderlicher Fan von Eckhart Schmidt, aber im zarten Alter von 79 Jahren hat er einen Film gedreht, mit dem er gleich mehrere Dutzend heutiger deutscher Filmhochschulabsolventen als stillose Fummelfilmer deklassiert.
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