Was ist Liebe wert - Materialists – Kritik
Intimität als pragmatische Transaktion: Celine Songs Was ist Liebe wert – Materialists betrachtet die Gefühlswelt seiner Figuren mit einer zunächst reizvollen Abgeklärtheit. Doch die Verlockungen der Rationalität führen den Film auf allzu abgesicherte Pfade.

Lucy (Dakota Johnson) und Harry (Pedro Pascal) haben ein Date und sitzen in einem gehobenen japanischen Restaurant. Parallel zu ihrem Tisch befindet sich eine Theke, dahinter die hellerleuchtete weiße Küche, die im starken Kontrast zum stilvollen Dunkel des Gastraums steht. Die Küche ist den Blicken der Gäste geöffnet, die somit die Arbeitsschritte der Kochprofis bewundern können. Währenddessen analysieren Lucy und Harry abgeklärt die Date-Situation, in der sie sich befinden: wer sie sind, was sie voneinander wollen, wieso sie zueinander passen und warum sie eine Beziehung führen sollten. Offenkundig schauen wir hier nicht nur in, sondern auch vor der Küche ein paar Profis bei ihrem Werk zu.
Lucy, die Protagonistin von Celine Songs Was ist Liebe wert – Materialists, ist Partnervermittlerin. Ihr Job besteht größtenteils daraus, auf einen Blick brauchbares Singlematerial zu erkennen, sich die unrealistischen Erwartungen und die innere Verzweiflung ihrer Kunden schildern zu lassen und ihnen dann neue Perspektiven bei der Partnerwahl aufzuzeigen. In sachlich gehaltenen Monologen muss sie den Liebe-Suchenden dabei mit einem dialektischen Trick immer wieder glauben machen, dass noch das krummste Zweckbündnis in Wahrheit die große Liebe und die Erfüllung aller Sehnsüchte sei. Harry hingegen ist Eigenkapitalmakler – und die eierlegende Wollmilchsau auf Lucys Single-Markt: ein charmanter, verständnisvoller, gebildeter, steinreicher Mann, der sich von Lucys Wortgewandtheit nicht so einfach blenden lässt.
Liebe als wertsteigernde Transaktion

Zentral in den Diskussionen der beiden und in Lucys Weltsicht ist die Idee der „Wertigkeit“. Eine Liebesbeziehung schöpft einen Wert und das tut sie, indem sie einem das Gefühl gibt, wertvoll zu sein. Materialists selbst gleicht sich der Weltsicht seiner Protagonistin an, indem der Film bestrebt zu sein scheint, die Liebe als marktwirtschaftliche Transaktion zu charakterisieren. Aber wie in Lucys Argumentationen bleibt diese Haltung auch in der Gesamtstruktur des Films ein Hütchenspielertrick: Er blickt mit kalter Rationalität auf zwischenmenschliche Beziehungen, als entstünde dadurch eine neue Intimität, verdeutlicht dabei aber gerade, dass Nähe grundlegend fehlt.
Wie in einer Versuchsanordnung schiebt der Film schon beim Kennenlernen von Lucy und Harry ein Störelement zwischen die beiden: Lucys Exfreund John (Chris Evans), der seinen Traum von der Schauspielkarriere nicht aufgeben will, selbst wenn es bedeutet, dass er weiterhin jobben und in einer heruntergekommenen WG leben muss, die er sich mit anderen Nicht-Erwachsen-Gewordenen teilt. Sichtlich kann er Lucy nichts bieten – nichts, außer sich selbst. Es ist in Wahrheit eine einfache Rechnung: Da John keine ökonomische Sicherheit versprechen kann, muss er seinen Mehrwert über die wahre Liebe generieren.

In der romantischen Ökonomie, die der Film entwirft, scheinen John und Harry zunächst eindeutige Gegenpole zu sein. In der eingangs erwähnten Szene sitzt Harry zurückgelehnt da, hat die Hände verschränkt und hört sich ruhig und souverän Lucys Ausführungen an, wie er auch seine eigenen ruhig und souverän vorbringt. Abschließend beugt er sich genau im richtigen Moment vor und die Vertrautheit ist geschaffen. John hingegen trägt eine ewig struwwelige Frisur und einen Dreitagebart, weiß selten das Richtige zu sagen und statt gezielt zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein, ist er einfach immer nur da. Und doch trägt auch er eine Souveränität in sich, denn bei ihm kann sich Lucy immer sicher sein, dass er für sie da ist, dass er nie an seiner Liebe zu ihr zweifeln wird.
Gewalt geschieht höchstens den anderen
Die beiden Männer, zwischen denen sich Lucy entscheiden muss, könnten unterschiedlicher kaum sein – und doch ist der Wert, den sie darstellen, im Grunde der Gleiche: Sie bieten Sicherheit. Die Sicherheit ist ein Wert, dem sich nicht nur die Figuren auf der Handlungsebene, sondern dem sich der ganze Film verschrieben zu haben scheint. Songs Film ist eindeutig mit souveräner Hand inszeniert, mit einem Sinn für Raum, klare Bilder und klare Bewegungen, der deutlich über das klassische Muster aus Schnitt und Gegenschnitt hinausgeht. Dies mündet aber im großen Manko des Films: Zu zielstrebig geht er unsicherem Terrain aus dem Weg, stilistisch wie thematisch.

Der dramatischste Moment des Films ist ein Streit, der nur in Rückblende gezeigt wird und über den im Jetzt schon wieder geschmunzelt wird. Ansonsten herrscht zwischen den Figuren in Materialists ein umfassendes gegenseitiges Verständnis, in dem nur manchmal kleine Meinungsverschiedenheiten aufbrausen. Momente des Konflikts oder gar der Gewalt bleiben weit außerhalb des Sichtbaren und geschehen höchstens den anderen – eine von Lucys Kundinnen erlebt etwa bei einem von ihr vermittelten Date eine nicht näher definierte Körperverletzung. Sex oder Körperlichkeit generell findet außerhalb des Bildes statt, während im Bild stets etwas Anderes, vermeintlich Entscheidenderes geschieht. Selbst die Dreiecksgeschichte von Lucy, Harry und John wird zwar spannungsgeladen aufgebaut, aber im Folgenden dann dramaturgisch möglichst sanft abgewickelt. Erschreckend früh im Film ist das Liebesdreieck abgefrühstückt und der Rest der Geschichte schaukelt dann nur mehr gemütlich gen Schlusspunkt.
Dadurch erscheinen die Figuren irgendwann nur mehr als die Werkzeuge des Plots. Ihre Dialoge spielen sich fast durchgängig auf einer Metaebene ab: In ihnen wird das ausgesprochen, worum es dem Film thematisch geht. Pedro Pascal spielt den perfekten Mann mustergültig, bleibt dadurch aber ohne jeden individuellen Charakter. Nichts von ihm bleibt hängen, während Chris Evans als wuscheliges Stück menschgewordener Treue zumindest in den Szenen, die in seiner WG spielen, einen Hauch von Eigenleben zugestanden bekommt. Höchstens Dakota Johnson versprüht als eine ihre Sätze hauchende Frau, die brüchig in ihrem Leben nach Souveränität sucht, ein wenig Charme – bleibt damit aber größtenteils alleine.
Der vergiftete Charme der Gentrifizierung

Zu Beginn von Materialists scheint die Liebe noch im Gegensatz zu einer deprimierenden Welt zu stehen, einer Welt, in der unklar ist, was Liebe überhaupt bedeutet, in der Leute sich gerne belügen lassen, um sich ihren Problemen nicht stellen zu müssen, und in der ein rigider Optimierungszwang herrscht. In dieser Welt ist Lucys Klientel der Reichen und Schönen so wenig divers, dass es wie eine bitterböse Pointe scheint, als eine Frau darum bittet, nur weiße Männer zu daten, und dafür rassistisch genannt wird – als ob ihr Wunsch nicht der gelebten Realität sämtlicher Figuren dieses Films entsprechen würde. Doch statt diesen Gegensatz zwischen Liebe und Gesellschaft auf die Spitze zu treiben, verfällt Materialists schnell in eine allzu einfache Harmonie. Es ist ein sicher verwalteter, letztlich lebloser Film, in dem eine Frau am Ende doch bei ihren Leisten bleibt, bei einem Mann, der ihren sozialen Hintergrund teilt und dessen hervorstechendste Qualität seine Überraschungslosigkeit ist.
Celine Song wollte sichtlich einen qualitativ hochwertigen Film machen, dabei aber auch allen allzu unwägbaren Problemen aus dem Weg gehen. Wie die Großstadt mit ihren Penthäusern und ihren gehobenen Restaurants sieht der Film meistens sehr schick aus – aber im Ergebnis ist Materialists doch nichts anderes als ein gentrifizierter New-York-Heimatfilm, von dem alle Eigenheiten abgehobelt worden sind.
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