Mascarpone – Kritik

Nach dem Ende einer schwulen Bilderbuchehe erlebt Antonio neue Freiheiten beim Sex und beim Backen. Zwischen Grindr und Rainbow Cakes tariert die RomCom Mascarpone geduldig Abhängigkeit und Selbstbestimmung aus.

Viele erinnern sich bestimmt noch an den Oktober 2017, als in Deutschland die Ehe für alle eingeführt wurde. Die einen betrachteten das als Errungenschaft: Gleichberechtigung bedeute, genau das haben zu dürfen, was der Mehrheit auch zusteht. Ein anderes Lager sah in der Ehe ohnehin ein hetero-tyrannisches Kontrollinstrument und wollte Liebe, Beziehung und Intimität für sich neu entdecken. Ein gewisses Schwarzweißdenken ließ sich hier erkennen: auf der einen Seite das schwule Spießbürgertum, auf der anderen Seite der schwule Wilde. Im Kern die Frage: Wie lässt sich im Angesicht wachsender Freiheiten mit dem eigenen Abweichen von der Norm umgehen?

Jeden Tag in der Einbauküche

Vor dieser Frage steht plötzlich Antonio (Giancarlo Commare), als sein Mann ihn eines Abends vor vollendete Tatsachen stellt. Er und Lorenzo (Carlo Calderone) sind mittlerweile seit zwölf Jahren zusammen. „In Gay-Jahren sind das 84, wie bei Hunden“, scherzt Antonio trocken. In Italien ist zwischen Homosexuellen zwar nur eine eingetragene Partnerschaft möglich, das hält Antonio aber nicht davon ab, sein bürgerliches Eheleben in vollen Zügen auszukosten. Er bucht für beide eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, backt fast jeden Tag in ihrer Einbauküche und liest täglich im Horoskop. Und irgendwann: „Poof“, sagt Lorenzo, er liebt ihn nicht mehr. „Ihr wart uns immer ein Vorbild“, sagt Lorenzos Schwester in einem vergeblichen Versuch, die beiden wieder zusammenzubringen. „Die haben damals einen Krieg angezettelt, als wir ein Paar wurden“, stellt Lorenzo richtig. Innerhalb der zwölf Jahre hat ihre Beziehung eine stille Zeitenwende durchlebt. Auf einmal sind die beiden schwulen Männer zum Vorzeigebild einer heterosexuellen Beziehung geworden. Und jetzt, von einem Tag auf den anderen, ist es vorbei.

Sex und Tiramisu

Als Antonio beim exzentrischen Giuseppe (Giuseppe Claudio Insalaco) einzieht und aus Geldnöten eine Lehre in einer Bäckerei beginnt, ist der Kurs von Mascarpone festgelegt. Was ursprünglich Antonios häuslicher Zeitvertreib war, türmt sich jetzt mit professionellen Anforderungen vor ihm auf. Auch den Sex hat Antonio, der quasi seit der Pubertät in einer festen Beziehung gelebt hat, neu zu entdecken. Er macht es wie viele nach einer Trennung und stürzt sich in ein One-Night-Stand nach dem anderen. Der Film von Alessandro Guida und Matteo Pilati stellt Sex und Backen einander gegenüber: Wie verändert sich Antonios Verhältnis zum Leben, wenn sein fremdbestimmtes Regelwerk zusammenbricht? Wie viel Zitronensaft verträgt die hausgemachte Mascarpone? Wie viel oder wenig Bindung braucht ein One-Night-Stand? Wie lange backt das Roggenbrot? Wie ist man seines eigenen Glückes Schmied?

Wer hier die Grundzüge einer biederen Rom-Com entdeckt, hat nicht unrecht. Die Biederkeit ist aber gewissermaßen das Fundament des Films. Mascarpone verteufelt weder Antonios altes Leben noch seine Sexbesessenheit, sondern tariert geduldig zwischen Grindr und Rainbow Cakes Abhängigkeiten und Selbstbestimmung miteinander aus. Antonio erkennt plötzlich das Potenzial, das seine Normabweichung als schwuler Mann mit sich bringt, und wird sich gleichzeitig der Bedrohlichkeit seiner Freiheit bewusst, vor der er sich seit Ewigkeiten flüchtet. Ja, das ist teils zuckerig-leichte Kost, aber auch einfühlsam und sexy. Es erleichtert, dass Antonios neuer Freundeskreis so bunt und sexgeladen wie fehlerhaft und wertschätzend ist. Der schwule Spießbürger ist keine Witzfigur. Der wilde Schwule ist weder warnendes Beispiel noch Heilsbringer. Diese Komplexität der Charaktere ist die größte Stärke von Mascarpone.

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