Luzifer – Kritik

Niemand inszeniert den Abendhimmel so schön und gruselig wie Peter Brunner. Das düstere religiöse Schauermärchen Luzifer betört mit Landschaftsaufnahmen rund um eine einsame Alm.

„Wo ist der Teufel?“, fragt Maria (Susanne Jensen) immer wieder. Ihr ganz persönlicher Teufel steckt im Alkohol. Vor ihm ist sie zunächst in den Glauben geflohen – und dann auf eine einsame Alm. Gemeinsam mit ihrem geistig behinderten Sohn Johannes (Franz Rogowski) führt sie dort ein karges Einsiedlerleben. Täglich kniet sie betend vor dem verbrannten Baum, der ihr als Altar dient. Mal schützt sie sich und Johannes durch rituelle Waschungen, mal bestraft sie ihn drakonisch fürs Masturbieren, mal beschwört sie die Natur durch ein loderndes Feuer. Es ist eine beinahe zeitlose Existenz in einer archaischen Alpen-Landschaft. Doch irgendwann dringt die Moderne ein – erst mit Anrufen, dann mit dem Geräusch von Kettensägen und schließlich mit Drohnen, die unheimlich surren, Johannes bis in die Kirche verfolgen und mit geradezu diabolischer Präsenz in der Luft stehen, als würden sie jeden Moment angreifen. Bald folgen Hubschrauber, nachts fliegen Steine gegen die Hauswand, und eines Tages liegen Marias Kühe tot auf der Weide. Skrupellose Investoren wollen sie mit allen Mitteln von der Alm vertreiben, um ein lukratives Skigebiet zu errichten.

Das Glühen des Abendhimmels

Spätestens seit The VVitch (2015) gilt „world-building“ als zentrales Qualitätskriterium anspruchsvollen Horrors. Im deutschsprachigen Raum spürte etwa Hagazussa (2017) diesem Ansatz nach. Genau wie diese beiden Filme spielt auch Peter Brunners Luzifer (2021) in einem religiösen Familienkontext fernab der Zivilisation. Brunner baut seine filmische Welt vor allem durch atemberaubende Landschaftsbilder, hervorragende Schauspieler*innen und religiöse Symbolik auf. Gerade der Anfang erinnert stilistisch an die Kooperationen von Terrence Malick und Emmanuel Lubezki: Die Kamera von Peter Flinckenberg gleitet völlig losgelöst um die Figuren herum, häufige abrupte Schnitte fragmentieren die Szenen, erschaffen so aber in kurzer Zeit haptische Eindrücke aus dem Leben von Maria und Johannes.

Es mag nach einem Klischee klingen, aber die Natur gerät in Luzifer zu einer veritablen Protagonistin. Mehrfach zoomt die Kamera ominös auf eine mysteriöse Höhle, die möglicherweise Johannes’ privates Tor zur Hölle ist. Die Alm selbst liegt inmitten einer von Flechten und Steinen durchzogenen Wiese, die mal herbstlich braun schimmert, mal grün strahlt, in manchen Szenen von Nebel umhüllt ist und in anderen von Schnee bedeckt. Ein Adler und ein Uhu schweben über die Wiese hinweg, Schlangen kriechen um Bäume, und über allem thronen die gewaltigen Gipfel der Alpen. Die berauschendsten Bilder liefert aber ein anderes Element: Niemand – und das war schon in Jeder der fällt hat Flügel zu bestaunen – inszeniert den Abendhimmel so schön (und so gruselig) wie Peter Brunner. Mal scheinen noch ein paar letzte Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke, mal glüht der Äther brandrot, hier leuchtet er lila, da dräut er schwarz, dort durchziehen alle möglichen Farbtöne von Blau bis Orange das Firmament.

Eine Pastorin zwischen Passion und Wahnsinn

Visuell spielt Luzifer in den Höhen des Kunstkinos. Inhaltlich reiht sich das von Ulrich Seidl und Veronika Franz produzierte Werk sowohl in die Tradition des düster-verstörenden Kinos aus Österreich als auch in die aktuelle Prestige-Horror-Welle ein. Gerade ein paar Folter-Exzesse im letzten Drittel erinnern an Franz’ knüppelharten Ich seh, ich seh (2014). In diesen letzten 20 Minuten überdreht der Film etwas – das zeigt sich auch in der späten, schwer nachvollziehbaren Wandlung einer Figur sowie im mitunter sehr dominanten Musikeinsatz, der angesichts der entfesselten Bildgewalt gar nicht nötig gewesen wäre.

Zur atmosphärischen Dichte trägt dagegen ganz entscheidend auch der Cast bei: Franz Rogowski spielt Johannes mit animalischer Intensität – er spricht im gesamten Film nicht mehr als zwei vollständige Sätze, sondern erschafft seine Figur durch Murmeln, Stöhnen und Grunzen, durch Vogelschreie und eine prä-moralische Körperlichkeit gegenüber den einzigen beiden Frauen in seinem Leben. Die Debütantin Monika Hinterhuber hat zwar nur eine kleine Nebenrolle als seltsam hexenhafte Tierärztin, sorgt aber für eine wunderbar groteske Sexszene. Die ganz große Entdeckung dieses Films ist jedoch Susanne Jensen: Ihre Maria ist eine glatzköpfige Frau, deren ausgemergelter Körper von riesigen Tattoos übersät ist und am ehesten einer Mischung aus Mönch und Alien entspricht. Mit durchdringendem Blick und inbrünstiger Stimme betet sie, kasteit sich oder leitet Johannes zur Buße an. Es ist eine wuchtige Performance zwischen Frömmigkeit und Wahnsinn, Passion und Fieber – gespielt von einer Laiendarstellerin, die im echten Leben Pastorin ist.

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