Love - Zero = Infinity – Kritik
Wahrheiten von dreckigen, nassen Frauen oder von der Unendlichkeit der Liebe. Hisayasu Satōs Love – Zero = Infinity zeigt einen Lehrer, der zwei vampirische Paare verfolgt, und bietet keine Wegweiser, sondern eine Landschaft zum Erforschen.

Selbst wenn wir die Sprachbarrieren beiseitelassen, handeln die folgenden Zeilen von einem Film, der nicht weniger als zwei Namen trägt. Anfang und Mitte der 1990er, als die "vier Teufel" (Kazuhiro Sano, Takahisa Zeze, Toshiki Satō und Hisayasu Satō) die langsam absterbende Welt der Pinku Eiga aufwirbelten, war dies allerdings gang und gäbe. Während das Studio Shintōhō das vorliegende Werk in ihren Pinkkinos also unter dem Namen Iyarashii hitozuma: nureru (die gängigste Übersetzung lautet Filthy Wife: Wet) auswertete, hieß der Film außerhalb dieses besonderen Strangs von Independent-Sexfilmen Love – Zero = Infinity. Ist der erste Titel das Ergebnis rigide gewählter Worthülsen, die teilweise wahllos den Filmen zugeordnet wurden und lediglich die Aufgabe hatten, Sex zu versprechen, so entspricht der zweite Titel wohl eher der Vision des Regisseurs Hisayasu Satō.

Sicherlich, es gibt im Laufe der etwas mehr als 60 Minuten dieses Films eine nasse Frau, aber weder steht ihre Reinigung noch eine irgendwie geartete Nymphomanie im Mittelpunkt. Andererseits wird aber auch nicht das Lineal an die Liebe angelegt. Mathematische Untersuchungen ihres Wesens sind weder in analytischer noch in künstlerischer Form zu finden. Vielmehr handelt es sich bei den Titeln um assoziative Annäherungen, die entweder von ihrer erotischen oder eben von ihrer poetischen Seite gedacht (oder vielmehr gefühlt) wurden. Rückschlüsse auf die Handlung verwehren aber beide. Damit geben sie wiederum schon etwas über das Werk dieses Regisseurs im Gesamten preis, was auf Love – Zero = Infinity (wenn wir uns nun auf diesen Titel einigen wollen) im Speziellen zutrifft.
Spritzen, Medikamente und Ekstase

Abel Ferraras The Addiction (1995), ein Film, der nur wenige Monate später Premiere feierte, weist diverse Parallelen zu Love – Zero = Infinity auf. In dem hier entscheidenden Punkt könnten sie aber unterschiedlicher kaum sein. Steht Vampirismus in Ersterem ziemlich vordergründig für Sucht ein, für die Ausbreitung von Aids und die Schwierigkeiten der Menschheit, die Leere ihrer Existenz mit etwas anderem als mit Angst und Gewalt zu füllen, da ist kaum greifbar, worauf der Zweite mit seinen Bildern von Ekstase verursachenden Spritzen, Vampirismus, bewusstseinsverändernden Medikamenten, Sex und Orientierungslosigkeit hinausläuft. Im Zentrum von Love – Zero = Infinity steht ein Mann, der seinen Beruf als Lehrer an den Nagel hing, nach Tokio ging und dort ohne feste Agenda Leuten auf der Straße nachgeht. Ein Mann also, der sein Ziel verloren hat und bei seinen dargestellten Läufen wiederkehrend auf einem Schrottplatz endet. Dass Japan nach dem Platzen der Immobilienblase und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Abschwung das nationale Selbstbewusstsein verloren ging, das ist ebenso wie Aids, Sucht und Gewalt an allen Ecken zu spüren, aber keines dieser Motive verdichtet sich zu etwas Handfestem.

Bietet Nicholas St. Johns Drehbuch zu The Addiction am Ende noch den Katholizismus als Gegenmittel gegen die polymorphen Lüste und Unterwerfungen des Vampirismus an, so werden einem in Love – Zero = Infinity nur assoziative Absprungmöglichkeiten geboten. Zwei Paare verfolgt der Lehrer größtenteils. Eines, das sich gegenseitig Blut spritzt, um so seine Kicks zu bekommen, und ein anderes, bestehend aus einer Frau, die während des Orgasmus ihren vielen Partnern in den Hals beißt, und ihrem Mann, einem Arzt, der an seiner Frau mit Medikamenten experimentiert. Was man mit diesen kryptisch bleibenden Verfolgten macht, wo wir von diesen Absprungpunkten landen, dem sind nur wenige Vorgaben gesetzt. Statt Wegweisern gibt es lediglich eine Landschaft zum Erforschen.
Love – Zero = Infinity: Fast ein Alterswerk

Als Love – Zero = Infinity 1994 erschien, war Satō schon ein knappes Jahrzehnt als Regisseur tätig. Während die mit ihm verbundenen Teufel erst 1989 als Regisseure festen Fuß fassten, war er zu diesem Zeitpunkt schon ein Veteran. Spürbar ist das Ungestüme seiner früheren Filme hier gezügelt. Dem Sex wird selten durch klinische Instrumente begegnet. Gasmasken, Kittel und andere zwischenmenschliche bzw. -körperliche Schutzmaßnahmen sind völlig verschwunden. Die Fragmentierung des Gezeigten durch Videobildschirme und Ähnliches nimmt weniger Platz ein. Der Sex vollzieht sich fast klassisch, und die Gewalt ist kaum drastisch. Irgendwo handelt es sich schon um ein Alterswerk des Regisseurs.

Die Zurücknahme seiner Mittel geht dabei aber mit mehr Raffinesse und Sensibilität einher. Love – Zero = Infinity wirkt aus seiner Ruhe heraus. Wie sein Wanderer, der diversen Leuten folgt und sich irgendwann in den Strängen der vorgefundenen Abgründe verfängt, wird dem Geschehen aus gewisser Distanz gefolgt und sich dem Sog hingegeben. Der sich in Sonnenbrillen spiegelnde Sex, die Videos, die sich zwischen eine direkte Weltwahrnehmung schalten, der gespannte Blick auf Kanülen, durch die sich fragwürdige Substanzen auf den Weg in Körper machen: Die Sinnlichkeit des Realitätserlebens ist in diesen Bildern verstellt und wund. Das sich darin findende Erleben von Unbehagen und Lust entwickelt so seine eigenen Wahrheiten, von denen die unausgesprochenen Bestimmungen nur eine Ahnung vermitteln. Wahrheiten von dreckigen, nassen Frauen oder von der Unendlichkeit der Liebe oder eben etwas ganz Eigenem.
Zu den anderen Texten unserer Hisayasu-Satō-Reihe geht es hier:
Stoß das Tor zur Hölle auf: Die Filme von Hisayasu Satō
Sex ohne Erlösung – Der Schauspieler Kôichi Imaizumi
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