Oslo-Stories: Liebe – Kritik

Ohne Sprache kommt die Liebe nicht aus: Die langsame Annäherung zweier Menschen wird in Oslo Stories: Liebe stets in die Wirklichkeit des Alltags eingebettet. Intimität und Vertrautheit bleiben erkennbar von dieser Welt – und erscheinen gerade dadurch als etwas Utopisches.

Es ist bereits das zweite Mal, dass Krankenpfleger Tor (Tayo Cittadella Jacobson) in Oslo Stories: Liebe der Urologin Marianne (Andrea Bræin Hovig) in Einfühlsamkeitssachen auf die Sprünge hilft: Zu sehr würde sie sich in Patientengesprächen, die von einer Krebsdiagnose und einer voraussichtlichen Entfernung der Prostata handeln, auf die mögliche Impotenz konzentrieren, mit der die Männer vielleicht leben müssen. Für viele schwule Patienten hänge der Verlust der Prostata aber mit einem viel unmittelbareren Libido-Verlust zusammen, wird sie doch beim Analsex direkt stimuliert. Das sollte man vielleicht auf dem Schirm haben, wenn man derartige schlechte Nachrichten überbringt.

Dates und Hook-Ups

Marianne bedankt sich aufrichtig bei Tor für den Hinweis auf ihre heteronormative Patientenansprache, einerseits weil sich die Menschen in den Filmen von Dag Johan Haugerud erst einmal grundsätzlich verstehen und mit Wohlwollen begegnen, andererseits weil sich die beiden ja längst nähergekommen sind, nachdem sie sich zufällig auf einer Fahrt mit der Fähre zwischen Oslo und der Insel Nakholmen begegnet sind. Marianne fährt auf die Insel zum Date mit dem frustrierend lieben Geologen Ole Harald (Thomas Gullestadt), mit dem ihre Freundin Heidi (Marte Engebrigtsen) sie verkuppeln will, ist aber nicht so richtig von der Idee einer neuen Beziehung überzeugt, zumal mit einem geschiedenen Vater, dessen Ex-Frau im Nachbarhaus wohnt. Spannender findet sie, was Tor ihr erzählt: dass er die Fähre vor allem für Grindr-Dates mit anderen Passagieren nutzt. Diese Dates sind mal platonischer, mal sexueller Natur, in ihnen geht es ums Sprechen mindestens ebenso wie ums Vögeln.

Zwar wird Marianne ihre eigene Fährenbegegnung erleben. Doch in der gesamten Oslo-Trilogie, als die Haugeruds drei letzte Filme nun im Abstand von jeweils zwei Wochen bei uns ins Kino kommen, wird über Sex mehr gesprochen, als dass man ihn sieht. Was an sich schon mal eine erfrischende Sache ist. Liebe weitet die Dialoge dabei nicht – wie es noch jener andere Film aus der Trilogie tut, der letztes Jahr unter dem Titel Sex auf der Berlinale lief und der nun unter dem Verleihtitel Sehnsucht den Abschluss der Reihe bildet – in lange Gesprächssequenzen zwischen zwei Figuren aus, sondern verdichtet sie einerseits und verteilt sie andererseits auf ein größeres Ensemble und auf verschiedene Konstellationen, in denen sich die Figuren begegnen.

Liebe von dieser Welt

Liebe fühlt sich deshalb mitunter etwas konzeptueller und didaktischer an als die anderen beiden Filme der Trilogie, die Figuren wirken stärker wie Beispiele, die Dialoge stärker wie Diskursträger. Aber das sind nachgestellte Überlegungen, in der filmischen Welt geht die Sache ziemlich wunderbar auf, durchzieht doch auch Liebe jene unprätentiöse Dringlichkeit, die den besonderen Ton der Oslo-Trilogie ebenso ausmacht wie ihr leicht utopischer Modus. Was wäre, wenn wir ehrlicher miteinander, transparenter wären, emotional informiertere Entscheidungen träfen? Wo ähnlich gelagerte Filme bei der in Zeitlupe scheiternden Anbandelung zwischen Marianne und Ole Harald den Konflikt und das Drama betonen würden, genießt Haugerud die Nähe und die gute Zeit miteinander, interessiert sich für das gegenseitige Verständnis im Einsehen, dass es vielleicht keinen Sinn macht, die Beziehung weiter zu vertiefen. Die titelgebende Liebe hat in diesem Film entsprechend wenig mit romantischen Gesten, mit dramatischem Leiden oder gar mit Transzendenz zu tun, sie ist unbedingt von dieser Welt – und sie kommt ohne Sprache nicht aus.

Und diese Sprache richtet sich auf diffuse Gefühle ebenso wie auf die Prostata. Mich erinnert nicht nur die eingangs geschilderte Szene, sondern überhaupt das Interesse fürs möglichst konkrete Sprechen über Sex, Liebe und Träume in der Oslo-Trilogie an die Kolumnen und Podcasts von Dan Savage, der seit den frühen 1990er Jahren als schwuler Mann Aufklärungs- und Bildungsarbeit in Sex- und Beziehungsfragen gerade auch für Heteros leistet. Seine einleuchtende Erklärung für den universellen Wert seiner Perspektive und den eigenen Vorsprung im Denken und Sprechen über Gefühle und Begehren: Beim schwulen Sex beginnt, wenn’s in die Kiste geht, das Gespräch, während es bei Heteros dann meist endet, so sehr versprechen die bekannten heterosexuellen Codes ein kommunikationsfreies Vergnügen.

Utopie und Ratschlag 

Auch Haugerud, wie Savage Jahrgang 1964, versteht queeres Kino nicht als zuständig für queere Identitäten, sondern als spezifische Perspektive aufs Ganze. Und die filmischen Utopien des norwegischen Filmemachers verhalten sich zur Realität vielleicht ein wenig wie die Ratschläge des US-Kolumnisten zu den Lebensrealitäten derjenigen, die nach Rat fragen. Nie ist die Utopie oder der Ratschlag verlustfrei und ohne Weiteres in die eigene Lebenswelt übertragbar, kann dort aber doch eine Wirkung entfalten. Die Wirkung von Liebe hat aber keinesfalls nur mit Ratgeberei zu tun, dann wäre dies wohl kein guter Film, sondern mit der Leichtigkeit, mit der Haugerud seine Erzählstränge nebeneinander her und ineinander fließen lässt, mit den durchweg tollen Darsteller:innen, die sich die unaufgeregte Offenheit des Films im besten Sinne zu eigen machen, und mit den klug ausgesuchten und präzise ins Bild gesetzten Settings, die vom Besprechungszimmer über die Fähre bis zum Rathausdach das Begehren stets im Konkreten verorten.

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