Little Women – Kritik

Neuverfilmung mit Kurskorrektur. In Greta Gerwigs Little Women muss die Heldin nicht mehr heiraten. Ein Film über die Selbsterschaffung einer Autorin und smarte Kompromisse zwischen Kunst und Geschäft.

Heiraten oder sterben: Ein anderes Ende für eine weibliche Figur will keiner lesen, erklärt der New Yorker Verleger Mr. Dashwood (Tracy Letts) der jungen Autorin Jo March (Saoirse Ronan), die ihm am Anfang von Little Women eine Kurzgeschichte anbietet. Im gleichnamigen Roman von 1868 wartet auf Jo, die immer erklärt, nie heiraten zu wollen, denn auch eine aus Leserinnensicht eher kontraintuitive Ehe; ihre schriftstellerischen Ambitionen dampft sie zu einem Privatvergnügen ein. Ihr Leben nimmt damit eine andere Abzweigung als das ihrer Schöpferin: Louisa May Alcott blieb lebenslang Erfolgsautorin, unabhängig und ehelos. Greta Gerwig eröffnet in ihrem neuen Film nun auch Jo diese Möglichkeit.

Ein kurzes Innehalten vor der Tür

Ihre Verfilmung von Alcotts Roman, die nunmehr siebte, ist also eine Kurskorrektur; wie Gerwig vermutet, durchaus im Sinne der Autorin. In ihrer Lesart wird aus der Erzählung um die vier Schwestern Jo, Meg, Amy und Beth und ihr Leben in Neuengland während und nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eine Geschichte um Jos Selbsterschaffung als Schriftstellerin, wie schon die narrative Klammer deutlich macht: In der ersten Einstellung sehen wir ihre dunkle Silhouette zögernd vor der Verlagstür stehen, bevor sie sich einen Ruck gibt und hineingeht – im letzten Bild von Little Women wird, wenn sie mit ihrem Buch in den Händen am Fenster steht, ein die Richtigkeit ihres Wegs begreifendes Lächeln über ihr Gesicht ziehen.

Innerhalb dieser Klammer erzählt der Film nicht chronologisch, sondern springt zwischen beiden Bänden der Vorlage hin und her. Ein eher analytischer als dramatischer Zugriff auf einen Entwicklungsromanstoff, mit dem Greta Gerwig Ziele und Hoffnungen vier junger Frauen und das, was sieben Jahre später daraus geworden ist, direkt nebeneinander stellen kann. Auch Jos drei Schwestern haben als Teenager künstlerische Ambitionen, nicht nur beim ausgelassenen Aufführen von Jos Theaterstücken im Wohnzimmer: Amy (Florence Pugh) malt, Beth (Eliza Scanlen) spielt Klavier, Meg (Emma Watson) schauspielt. Ihre Lebenspläne entwickeln sich jedoch auch temperamentsbedingt sehr unterschiedlich. Amy hat die ökonomische Notwendigkeit einer Eheschließung (zunächst) am kühlsten im Blick, Meg entscheidet sich nach (recht sittsamem) Austoben auf Tanzpartys für eine Liebesheirat – dass es ihr ernst damit ist, mag Jo kaum glauben, die Regisseurin aber respektiert beider Entscheidungen gleichermaßen.

Wilder Privattanz im Flur

Die beiden Zeitebenen verhalten sich zueinander weniger kontrastierend als widerhallend, die Übergänge sind weich und nicht stark markiert, was gerade in der ersten Filmhälfte etwas verwirren kann. Orientierung gibt die Farbgebung, die die frühen Szenen etwas leuchtender, die späten etwas gedeckter hält, gelb und grün vs. blau und schwarz. Vor allem in ersteren sind Film wie Figuren zudem von starkem Bewegungsdrang erfüllt, der der einem Kostümfilm drohenden Gefahr des Schwelgerischen entgeht. Es wird viel getanzt in Little Women, wobei Saoirse Ronan und Timothée Chalamat als hübscher Nachbarsjunge Laurie in einer der schönsten Szenen einen wilden Privattanz im Flur dem geordneten Getümmel im Ballsaal vorziehen und Gerwigs Liebe zum lebensfroh Linkischen ausleben dürfen.

Wie in Lady Bird kombiniert die Regisseurin ein hohes Erzähltempo mit dem Innehalten für Augenblicke, die Figuren mit einem Federstrich charakterisieren. Bevor etwa die Mutter Marmee March (Laura Dern) fröhlich ins Familiengewimmel platzt, zeigt Gerwig sie ein paar Sekunden mit angespanntem Gesicht durch den Schnee zur Haustür stapfen, wie ein Vorgriff ihrer späteren Aussage, sie sei nicht geduldig geboren und innerlich fast jeden Tag wütend. Den abgezockten Gegenpart zu Derns sich zusammenreißender Mutterfigur gibt Meryl Streep als Aunt March: Ausgerechnet die unabhängigste Frau des Films will Jo den Plan, einen eigenen Weg zu gehen, austreiben – sie selbst sei nur deshalb nicht verheiratet, weil sie reich sei.

Die Versammlung der Familie um das Bett der früh an Scharlach erkrankten jüngsten Schwester Beth ist der Fluchtpunkt beider Handlungsstränge, das angespannte Verhältnis zwischen Amy und Jo das emotionale Zentrum. Amy sieht sich lange als ewige Zweite – vor allem in Konkurrenz um Laurie, in den sie ebenso unglücklich verliebt ist wie er in Jo –, der älteren Schwester ist sie ein oft genervt abzuschüttelnder (und dabei schon mal ins Eis einbrechender) Klotz am Bein. Bei allen zwischenzeitlichen Gemeinheiten lassen Gerwig und ihr lebendig zusammenspielendes Ensemble an der Liebe und Fürsorge aller Familienmitglieder füreinander – inklusive des später im Film aus dem Krieg heimkehrenden Vaters – jedoch nie einen Zweifel, der Blick auf die Marchs und ihr Umfeld ist warmherzig, aber nicht süßlich.

Gratwanderung zwischen Kunst und Geschäft

Wenn Amy ihre Schwester schließlich zu überholen scheint – statt Jo darf sie mit Aunt March nach Europa reisen und kommt mit Laurie liiert zurück –, dann muss Jo erst begreifen, dass ihr damit die letzten Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Am Ende steht dann zwar der Literaturprofessor Friedrich Bhaer (Louis Garrel) als Ehemann in spe vor der Tür. Mit einem smarten Kompromiss gelingt es Gerwig aber, der realen Jo die vorgesehene Bestimmung zu ersparen, dieses nach Ansicht von Verleger Dashwood gut verkäufliche Happy-End dennoch lustvoll-ironisch als Fiktion in der Fiktion zu inszenieren. Es liegt nahe, in der Figur Jo, der eine Gratwanderung zwischen geschäftlichen und künstlerischen Erwägungen die Tür zur Autonomie öffnet, nicht nur Alcott, sondern auch die Filmautorin Gerwig wiederzuerkennen, was angesichts deren früher Ankunft im oscartauglichen Kostümkino auch einen leicht melancholischen Beigeschmack hat (neben dem schalen, dass ausgerechnet dieser toll inszenierte Film nicht für den Regie-Oscar nominiert ist; das bleibt fünf Herren vorbehalten). Den Eigensinn und die Attitüde von Lady Bird bewahrt sie aber auch in diesem Rahmen.

Gegen gesellschaftliche und selbstauferlegte Erwartungen die eigenen Wünsche entdecken, verstehen, verwirklichen: Ob und wie einer jungen Frau das gelingen kann, in dieser Frage findet Gerwig den bis heute faszinierenden Kern eines Stoffes, dessen Eheproblematik schon lange an Bedeutung verloren hat. Wenn Jo sich am Ende bei ihrer Mutter erst über das Lügenmärchen auskotzt, dass Liebe das Wichtigste im Leben einer Frau sei, und dann plötzlich unter Tränen der Satz „… but I’m so lonely“ aus ihr herausbricht, dann könnte es einem Erzähler vor Mr. Dashwoods Gnaden so passen, darin einen Wendepunkt zur geläuterten Einkehr in den Ehehafen zu sehen. Gerwig hält aber einfach nur einen Moment in Jos Leben fest, in dem beide Äußerungen wahr sind. Dass Selbstbestimmung einfach ist, hat niemand gesagt.


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