Lieber Thomas – Kritik
Albrecht Schuch gibt den Schriftsteller Thomas Brasch als hibbeligen Querulanten zwischen DDR und BRD. Dem Biopic Lieber Thomas geht es dabei mehr um das Subjekt als um die Welt, in die es eingenlassen ist.

Thomas Braschs Regiedebüt Engel aus Eisen bekam 1981 den Bayerischen Filmpreis. Zur Annahme hielt Brasch eine Rede, die bei den Auszeichnenden so schlecht ankam, dass er aufgefordert wurde, seine Hotelrechnung bitte selbst zu begleichen. Direkt neben Franz Josef Strauß stand er und erklärte, dass Kriminalität eine Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit der Gesellschaft sei, dass er mit Geld von Staat und Kapital Filme gegen beides mache. Er dankte der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung, der Jury des Bayerischen Filmpreises für die Auszeichnung – und schließlich den Verhältnissen für ihre Widersprüche. Widersprüche, die für ihn Hoffnung darstellten. Es war eine brennende Rede, die jemanden zeigt, der um Souveränität kämpft. Jemanden, dem die menschenunwürdigen Gegebenheiten der beiden deutschen Staaten ein Stachel im Fleisch sind. Jemanden, der schlicht sehr unbequem ist.
Porträt eines Getriebenen

Das Wort Widerspruch fällt in der Rede unentwegt. Widersprüche sind auch das Leitmotiv von Lieber Thomas, dem Biopic, das Thomas Braschs Leben episodisch folgt. Es beginnt mit der NVA-Kadettenschule. Es folgen das Jahr 1968 an der Filmhochschule Babelsberg; das Gefängnis, in dem er wegen Verbreitung von Flugblättern gegen die sowjetischen Panzer in Prag landet, seine Arbeit als Fräser und vom Staat mundtot gemachter Literat. Der Ausreise und einer Zeit in New York folgt schließlich die Leere im Westen, der ihm zwar jede Menge Geld und Möglichkeiten bietet, aber auch die Angst bringt, den (eigenen) Ansprüchen nicht zu genügen. Wir sehen das Porträt eines Getriebenen. Wiederholt wird er gezeigt, wie er manisch auf die Tasten seiner Schreibmaschine einschlägt. In diesem Stakkato-Takt werden die Bilder durch den Film gejagt. Die Uneinigkeit mit sich selbst und seinem Umfeld scheint der Gegenstand seines künstlerischen Exorzismus.

Brasch (Albrecht Schuch) lehnt sich gegen Autoritäten auf. Allen voran gegen seinen Vater. Mehrmals schieben sich Träume und surreale Intermezzi ein, die von jemanden erzählen, der seinen Halt verliert oder in seiner Realität keinen hat. Immer wieder beginnt er schamlos seinen neuen Flammen den Hof zu machen, während seine aktuelle Lebensgefährtin hinter ihm steht. Es geht um jemanden, der aneckt, rebelliert und vor Kompromissen und Frieden flieht. Kurz: Lieber Thomas fokussiert sich auf das „Unbequeme“ seiner Hauptfigur und porträtiert damit lediglich einen persönlichen Charakterzug.
Kaum spürbare Unterschiede

Die Kapitelnamen des Films sind dem Gedicht Was ich habe, will ich nicht verlieren entliehen. Einer abstrakten Ode an widersprüchliche Gefühle. Es geht darin lediglich um das Subjekt. Nicht aber um die Welt, in die es eingelassen ist. Diese Auswahl ist programmatisch, da die Verhältnisse großflächig ausgespart werden, in denen Thomas Brasch lebt und arbeitet. Mehrmals verwehrt er sich im Film gegen zu einfache Kategorisierungen seiner Person. Er sei nicht DDR-Dissident. Nicht nur rebel without a cause. Und doch wird er in eine ziemlich simple Schublade geschoben. Er ist eben beständig unzufrieden. Womit dieser Idealist unzufrieden ist, scheint aber nicht so wichtig wie seine Frauengeschichten.

Mehr als alles andere ist der Unterschied zwischen DDR und BRD kaum spürbar. Nach seiner Ausreise trägt Brasch eine fesche Brille. Statt mit der Stasi hat er nun mit Koks zu kämpfen. Aber selbst die Veränderungen in der Musik – auf Jazz und Rock folgen Disco und (Proto-)Hip-Hop – sind eher auf die fortgeschrittene Zeit zurückzuführen als auf den Unterschied zwischen dem Staat, den er verlässt, und dem, in den er einreist. Gäbe es keine Verweise auf die Stasi, es käme niemand auf die Idee, die Passage zu 1968 würde in der DDR spielen. Das jeweils Spezifische der beiden deutschen Staaten – der Sprachduktus, die Lebenswelten – fehlt. Abgesehen von eingeschobenen, klischeehaften Bildern der Diktatur auf der einen Seite und grenzenloser Freiheit auf der anderen. Der Antrieb des politischen Künstlers Braschs bleibt brach liegen.
Leichtes Abenteuer statt Gravitas

Die fehlenden Kontraste stehen auch in den Bildern selbst. Das matschige Grau-in-Grau-Schwarzweiß scheint Brasch in eine eigenschaftslose Suppe stoßen zu wollen. Die Weite des kaum genutzten Scope-Formats zeigt ihn auch nur als Verlorenen. Und Albrecht Schuch, leider in einem ansonsten tollen Cast fehlbesetzt, spielt seinen Thomas Brasch als hibbeligen Querulanten, der das nächste Lächeln schon immer bald auf den Lippen hat. Statt der Figur Gravitas zu geben, passt seine Charakterisierung zum Bild des leichten Abenteuers einer nichtigen Rebellion. Spürbar ist zwar das Bemühen, mit den surrealen Einschüben und dramatischen Wendepunkten etwas Einschneidendes optisch entsprechend aufzulösen. Aber am Ende sieht alles so generisch aus, wie es erzählt ist.

Wenn Thomas Brasch mit seinem Vater (Jörg Schüttauf) ringt, dem stellvertretenden Minister für Kultur der DDR, der für die Inhaftierung seines Sohns ebenso sorgt wie für dessen Bewährung, dann wird die paternalistische Enge dieses Staates spürbar. Es sind die Highlights, die sich in den zweieinhalb Stunden aber verlieren. Und die am schmerzhaftesten spürbar machen, dass hier keine Verdichtung gelingen möchte. Dass Lieber Thomas seine Hauptfigur meist nur als einen weiteren Fall eines zerrissenen Künstlers versteht, der Film nur pro forma den Eckdaten eines spezifischen Lebens folgt. Für die spezifischen Widersprüche dieser Biografie wird sich aber nicht interessiert. Für jemanden, der gesellschaftliche Widersprüche als Hoffnung sah, ist kein Platz.
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Kommentare
Erich Fischer
Ich sehe keinen Grund, um diesen unsympathischen Egoisten und seine DDR-Hippies herum so ein bedeutungsschweres, langatmiges Theater zu machen wie dieser Film. Seine Gedichte könnten aus Glückkeks stammen und für die Einstufung als Rebell genügt offenbar schon eine manche Frauen anziehende lächerliche Macho-Attitüde, selbstüberschätzende Wichtigtuerei und generell schlechtes Benehmen.
Wer sich mit Brasch und seinem Werk durchaus verzeihlich bisher nicht befasst hat, wird in diesem Film außerdem viele Fiktionalisierungen unverständlich finden, besonders etwa die szenischen Fantasien über den seltsamen "Mädchenmörder" Karl Brunke, von dem Brasch regelrecht besessen war.
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