Forever Young – Kritik
VoD: Alte Hüte, für immer jung – mit simplen, aber wirksamen Mitteln zeigt Forever Young jugendliche Selbstfindung als Schauspiel mit wilden Kostümwechseln. Dann will der Film auf einmal vernünftig werden.

Forever Young (Les Amandiers) von Valeria Bruni Tedeschi nähert sich dem oft bespielten Sujet vor allem über die Logik der Pose: Jugend stellt sich hier als Haltung dar, als Anprobieren verschiedener Masken, verschiedener Rollen. Diese Offenlegung dessen, was als Jugend begriffen wird, als uneigentlich und intersubjektiv, gelingt dem Film vor allem in seiner Verschränkung der Ebenen. So sehen wir einer Gruppe junger, allesamt bildschöner Schauspielstudiumsanfänger*innen zu, die als Figuren in Forever Young ihre eigene Jugend auszukosten versuchen, die in der Filmhandlung zugleich wiederum Tschechows Jugendstück Platonow einproben.
Jugend als Pose

Klischeebehaftet sind diese Jugendrollen allemal, doch hierin steckt die Stärke des Films - der internationale Titel ist in seiner Abgedroschenheit also sehr passend gewählt. Da wird herumgeknutscht, in großen Tönen über Freiheit und Selbstzerstörung debattiert, eben getan, was so mit einer echten Jugend assoziiert wird. Protagonistin Stella (Nadia Tereszkiewicz) erzählt beim Casting der Schauspielschule von einem Blick in den Spiegel, der ihr das Zerrinnen der eigenen Jugend offenbarte – um diese zu bewahren, will sie Schauspielerin werden, was in Forever Young gleichbedeutend ist mit Grenzüberschreitung, Selbsterfahrung, dem wilden Leben. Und die adoleszente Selbstfindung ist ebenso ein Schauspiel, in dem wild Kostüm gewechselt wird.
Zu Beginn des Films geht diese Verschränkung der Ebenen so weit, dass teilweise unklar ist, ob die Figuren nun gerade schauspielern oder nicht, dass der Status der Bilder verschwimmt – Tedeschi inszeniert diese Grenzverwischungen mit simplen, aber wirkmächtigen Mitteln. In einer Szene singt einer der Jungspunde spontan ein Serge-Gainsbourg-Lied vor versammelter Mannschaft (natürlich geht es im Songtext um Jugend), von einem auf den anderen Moment wechselt der Ton die Ebene, nun ist Gainsbourg selbst zu hören. Vorbild und Nachahmer, Bezugspunkt und Pose, all das befindet sich in Momenten wie diesen im Fluss.

So ist die etwas abgegriffene Bildgestaltung des Films nur passend. Jede Einstellung in Forever Young sieht sehr nach 1980er Jahren aus, zugleich wird beim Schauen des Films eben auch offenbar, dass sich seither nicht viel verändert hat in der Jugendkonzeption (nicht einmal am Klamottenstil), dass diese damaligen Bilder auch solche der Gegenwart sind: jeder Still könnte ebenfalls aus einem tagesaktuellen Jugendmagazin stammen. Frei sein, sich selbst entdecken – alte Hüte, für immer jung.
Mitunter schwierig wird diese Inszenierung, die den Film gerade in der ersten Hälfte zu einem etwas breiigen Rausch macht, wenn nicht ganz so naheliegende Inhalte diesem Schema unterworfen werden. Ein Heroinrausch – sicher weder heute noch damals das Traumbild einer ausgelassenen Jugend – wird hier mit der gleichen Popmusik unterlegt wie ein wilder erster Kuss. Abziehbilder allesamt, scheint der Film vermitteln zu wollen.
Stolperfalle Narration

Während diese Verschränkung aus Schauspiel, Jugend und Klischee die erste Hälfte des Films dominiert, ändert sich die Schlagrichtung nach einer guten Stunde. Die Universalität der Figuren, die zunächst eigentlich gar keine sind, sondern aus Film, Literatur und Werbung allzu bekannte Archetypen, löst sich auf. An ihre Stelle tritt eine erwartbare, etwas ermüdende Aneinanderreihung an Konsequenzen ebenjenes jugendlichen Leichtsinns, die auf die wehrlosen Halbwüchsigen herabpurzeln. Der Rausch wird zur ernsthaften Abhängigkeit, eine Figur ungewollt schwanger, in der Schauspielschule grassiert HIV. Sicher, auch diese Probleme sind zu einem gewissen Grad (zumindest in den 1980ern) Probleme der Jugend – indem der Film sich durch diese Verschiebung zur empathiefordernden Auserzählung mehrerer Einzelschicksale dem geordnet Narrativen zuwendet, beißt er sich jedoch in den eigenen Schwanz, da eben durch die Etablierung der „Figuren“ als repräsentative Jugendbilder in der frei erzählten ersten Hälfte keine wirkliche emotionale Bindung entsteht. Forever Young übergeht dies, indem er fortan Interesse einfordert für seine Scheinfiguren, sich selbst abzuwenden scheint von der eigenen Behauptung der Jugend als etwas oberflächlich Aufsetzbarem und sich stattdessen in belangloseren Erzählungen verliert. Dass die Schauspielstudent*innen gen Ende des Films fast alle auf mal mehr, mal weniger drastische Art auf den Boden der (erwachsenen) Tatsachen geschubst werden, wirkt bestenfalls fad, in einigen Momenten aufgrund des wenig nahegehenden Schematismus gar zynisch. Fast ähnelt der Film dann narrativ Requiem for a Dream (2000). Vor allem aber ist diese Inkonsequenz, dieses Abweichen von der eigenen Logik nach einer zunächst klugen Auseinandersetzung mit dem Thema der Jugend, schade.
Der Film steht bis 26.08.2025 in der Arte-Mediathek.
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