Laurin – Kritik

Deutschland, deine Genrefilme: Während US-Horrorregisseure ihre Zuschauer im Geisterbahn-Stil erschraken, drehte ein gerade mal 25-jähriger Filmhochschul-Absolvent einen suggestiven, ja verführerischen Film. Laurin ist von urwüchsiger Schönheit – und jetzt auch auf DVD erhältlich.

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Die schwarze Romantik, eine Unterströmung der literarischen Epoche der Romantik, hat in Deutschland nicht zuletzt den Film beeinflusst. Als die Kunstform zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Kinderschuhen entwächst, sind es auch deutsche Horrorfilme, die wesentlichen Einfluss ausüben. Friedrich Wilhelm Murnau wird zu einem der wichtigsten Innovatoren des Kinos, auf den sich etwa John Ford immer wieder beruft. Aber die einst lebendige Genretradition stirbt spätestens mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aus. Zwar gibt es immer mal wieder einen deutschen Horrorfilm, aber das Genre des „deutschen Horrorfilms“ ist tot. In den 1960er Jahren werden die mit übersinnlichen Motiven spielenden und mit makabren Morden gespickten Edgar-Wallace-Filme ein Riesenerfolg, die eine ganze Welle von „Gruselkrimis“ nach sich ziehen und den italienischen Giallo maßgeblich beeinflussen. Aber echte Horrorfilme sind das nicht, eher etwas sadistisch angehauchte Whodunits. Alle Versuche, die Verbindung zur alten literarischen Tradition wiederherzustellen, bleiben letztlich Einzelfälle: Der Sexfilmer Walter Boos leistet mit Magdalena – Vom Teufel besessen einen Beitrag zur Reihe der Rip-offs von Der Exorzist (The Exorcist, 1973), Peter Patzak dreht mit Parapsycho – Spektrum der Angst einen Episodenfilm, Ernst Ritter von Theumer mit dem sagenumwobenen Das Mädchen vom Hof einen deutschen Backwood-Film, der so etwas wie die düstere Kehrseite des Heimatfilms darstellt. Hier und da tauchen Genrefilme auf, verschwinden aber meist, ohne eine echte Spur zu hinterlassen.

Angeregte Fantasie

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Auch Laurin, 1988 vom 25-jährigen Robert Sigl kurz nach seinem Abschluss an der Filmhochschule gedreht, ist demnach ein Unikat. Auch insofern, als sich Sigl nicht an irgendwelchen internationalen Vorbildern orientiert oder Trends hinterherhechelt, sondern sich auf die schwarze Romantik besinnt. Während gerade der US-amerikanische Horrorfilm sich in jener Zeit in Vordergründigkeiten ergeht, seine Zuschauer im Stile der Geisterbahn erschreckt oder sie wie im Grand-Guignol-Theater mit Blut bespritzt, bleibt Laurin suggestiv, ja, sogar verführerisch, erinnert uns daran, dass es eine Seite in uns gibt, die vom Tod fasziniert ist, von ihm magisch angezogen wird. Der Zuschauer betrachtet die Welt dank Sigls einfühlsamer Regie durch die Augen der neunjährigen Laurin, die zur Zeit der Jahrhundertwende in einem Hafenort ohne Eltern aufwächst – der Vater Arne ist Seemann und viele Monate im Jahr unterwegs, die Mutter Flora kam bei einem rätselhaften Unfall ums Leben. Vor allem die Schlossruine oben auf dem Berg, aber auch die Tatsache, dass mehrere Kinder spurlos aus dem Ort verschwinden, regen die Fantasie des Mädchens an. Was sie sieht, ist fremdartig, neu, unverständlich, manchmal auch erschreckend und beängstigend – aber immer reagiert sie darauf mit weit aufgerissenen Augen: Sie kann nicht wegsehen, saugt alles um sie herum mit grenzenloser, unvoreingenommener Neugier auf.

Überwältigender Sinnesreichtum

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Sigl drehte Laurin nicht in Deutschland, sondern in Ungarn, mit nahezu ausschließlich ungarischem Cast (lediglich Brigitte Karner, die Darstellerin der Flora, stammt aus Österreich). Diese Entscheidung erweist sich als Glücksgriff. Die Landschaft ist gleichermaßen rau wie wunderschön und spiegelt sich auch in den ungewöhnlichen Gesichtern der Darsteller wider, die tatsächlich aussehen, als stammten sie aus einer anderen Zeit. Da die meisten von ihnen kein Deutsch sprachen, musste Laurin komplett nachsynchronisiert werden – und das erweist sich als ganz wesentlich für die märchenhafte Qualität des Films. Auf der Tonspur erwacht Laurin zu unheimlichem Leben, bildet er den Sinnesreichtum und die Vielfalt der Eindrücke, die auf das kleine Mädchen einstürmen perfekt ab. Das Rauschen des Meeres und des Windes, das Plätschern des Wassers, das Knarren von Holz, das Zwitschern von Vögeln, Schritte auf dem Waldboden, Rufe, die durch die Nacht hallen: Wenn man die Augen schließt, erzeugt schon die Tonspur des Films ein facettenreiches Bild – genau jenes, das auch Laurins Fantasie bestimmt. Dazu die sehr bedacht sprechenden, warmen Stimmen der Sprecher, die den Eindruck erwecken, dass jedes Wort ganz genau gewählt wird. Als fürchteten sie, mit dem falschen Ausdruck etwas aufzuwecken, was besser weiterschlafen sollte. Diese sinnliche Qualität teilt Laurin etwa mit den Filmen Walerian Borowczyks oder auch Jean Rollins, abzüglich der explizit erotischen Elemente. Aber auch in den Filmen der genannten Regisseure nimmt die Natur oft eine mystische Rolle ein, verwandelt sie sich vor den Augen der oft weiblichen Protagonisten in einer Traumlandschaft voller unergründlicher Geheimnisse und schlummernder Gefahren.

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Mit Laurin ist Robert Sigl ein wunderschöner, einzigartiger Film gelungen, der – wieder einmal – keine Nachahmer in Deutschland fand, obwohl er mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Auch Sigl selbst eroberte danach leider nicht die Leinwände, sondern arbeitete überwiegend für das Fernsehen. Eine Schande, denn Laurin zeigt doch überdeutlich, was zu leisten er im Stande ist. Auch 30 Jahre nach seinem Entstehen hat der Film nichts von seiner urwüchsigen Schönheit verloren, steht immer noch wie der berühmte Fels in der Brandung, schroff und karg, windgepeitscht, aber aufrecht. Ein Naturwunder.

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