Lady Bird – Kritik

Während der Fahrt aus dem Auto steigen: Greta Gerwig zeigt ein Coming-of-Age im provinziellen Sacramento als Chaos gleichzeitiger Überforderungen und setzt dem von Jungsgeschichten dominierten Genre ein Girlhood-Porträt entgegen.

In einem der leichthändig bedeutungsvollen Dialoge des Films fragt die siebzehnjährige Titelheldin ihre Mutter Marion, ob sie sie möge. „Of course I love you“, antwortet die – ein Ausweichmanöver, keine Steigerung. „Yes, but do you like me?“, insistiert Lady Bird, und abermals umkurvt die Mutter eine direkte Antwort: „I just want you to be the very best version of yourself.“ „What if this is the best version?“, fragt Lady Bird, und ihr Blick, in dem Hauptdarstellerin Saoirse Ronan Selbstbewusstsein und Selbstzweifel so oft zusammenfließen lässt, ist für einmal mehr bang als herausfordernd. Als Antwort bekommt sie nur noch einen vielsagenden „Ach, Kind …“-Blick zurück.

Absetzbewegungen

Das komplizierte Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Lieben und Nichtmögen spielen Ronan und Laurie Metcalf als ein unentwegtes Aneinandervorbeireden und -blicken; zwei, die einander stets verfehlen oder sich selbst im Weg stehen, wenn sie aufeinander zugehen wollen, und darauf dann mit heftigen Absetzbewegungen reagieren – gleich zu Beginn steigt Lady Bird bei einem Streit während der Fahrt aus dem Auto. Ihrer Einforderung, nicht nur geliebt zu werden, wie sie ist, sondern gemocht zu werden, wie sie sich selbst entworfen hat, kommt ihre Mutter hartnäckig nicht nach. Ein ziemlich vertrackter Wunsch freilich, ist doch der Entwurf selbst eine Abgrenzung, die Marion unweigerlich kränken muss.

Den Namenswechsel vom allerweltlichen „Christine“ zum verträumt hochfliegenden „Lady Bird“ nimmt sie noch mit gelegentlichem Augenrollen hin. Weit weniger amused ist sie, als Danny (Lucas Hedges) ihre Tochter zum Date abholt und arglos-fröhlich staunt, er habe auf dem Weg ja tatsächlich Gleise überqueren müssen – dass ihr Haus „on the wrong side of the tracks“ sei, habe er nur für eine Metapher seiner Freundin gehalten. Tatsächlich flaniert Lady Bird mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein) gerne durch die besseren Viertel und schmachtet die schönen Häuser an, flunkert bessergestellten Mitschülerinnen sogar vor, in einem zu wohnen. Noch viel lieber aber möchte sie ganz weg aus dem provinziellen Sacramento, an dem Marions Herz hängt und wo sie sich für die Familie als Krankenschwester abrackert, und an die kulturell so viel reichhaltigere Ostküste, am liebsten nach New York.

Schwer katholischer Schulalltag

Auch wenn Greta Gerwig am gleichen Ort zur gleichen Zeit ihr letztes Highschool-Jahr verbrachte wie ihre Figur – im Jahr 2002 der Post-9/11-Bush-Ära, die hier modisch, musikalisch und in eingestreuten zeitbezüglichen Kommentaren so detailgenau wie ohne Aufhebens wieder auflebt –, ist der Stoff ihrer ersten eigenen Regiearbeit (nach einer Co-Regie mit Joe Swanberg in Nights and Weekends, 2008) nach eigener Aussage nicht direkt autobiografisch. Indessen ist es fast unmöglich, in der von Saoirse Ronan gespielten Titelheldin keine jüngere Variation des Figurentypus zu sehen, mit dem Gerwig in Filmen wie Frances Ha (2012) und Mistress America (2015) zum Star wurde. Und mit diesem Quasi-Beginn einer Figurenbiografie ist der Regisseurin und Autorin eine Art Blaupause für einen gelungenen Coming-of-Age-Film gelungen, mit allen Zutaten, mit denen man rechnen kann: Lady Bird ist ein gutes Beispiel, warum es beim filmischen Erzählen weniger aufs Was als aufs Wie ankommt.

Rekapitulierend staunt man, wie übervoll die gut 90 Minuten an Handlung und Figuren waren, ohne bei der Sichtung je gedrängt oder hastig erschienen zu sein: Lady Birds kreative Rebellion gegen den schwer katholischen Schulalltag, die Hürden einer Collegebewerbung bei schlechten Noten und einkommensschwachen Eltern, eine Bewährungsprobe für ihre Freundschaft zu Julie, der erste Freund und der erste Kuss (schön), der zweite Freund und der erste Sex (lausig) – die beiden Shootingstars Lucas Hedges als braver und sexuell desorientierter Danny und Timothée Chalamet als poserhafter Slacker Kyle geben sich die Klinke in die Hand –, eine Schultheaterprobe mit Heulwettbewerb: Wie das alles, ein Konzentrat aus Gerwigs ursprünglich 350 Seiten langem Drehbuch, nicht nur als Abfolge teils hochkomischer Kabinettstückchen, sondern wie ein stets ganz aus dem aufgewühlten Erleben der Hauptfigur heraus entwickeltes Ganzes erscheint, ist ein kleines Lehrstück an inszenatorischer Präzision.

Verdichtung und Innehalten

Während Gerwig ganze Episoden zu nur wenigen Sekunden dauernden Montagen verdichtet (nicht abhakt), nimmt sie sich im rechten Moment aber auch immer wieder genug Zeit zum Innehalten, lässt etwa die Kamera am Ende einer Szene noch ein paar Sekunden auf Marion verharren, die einen versonnenen Blick auf ihre schlummernde Tochter wirft. Und neben alledem findet die Regisseurin noch Platz, gelegentlich von der Protagonistin weg und direkt in die Lebensmitte anderer Figuren zu schwenken, etwa als ihr Vater, der nach einem Jobverlust unter Depressionen leidet, nach einem Bewerbungsgespräch beim Verlassen des Büros seinem eigenen Adoptivsohn als vermutlich aussichtsreicherem Konkurrenten in die Arme läuft. Auch dank der so beiläufigen wie genauen Beobachtungen sozialer Verhältnisse wird der Film trotz seines versöhnlichen Grundtons nie süßlich, auch nicht verklärend im Blick auf seine Heldin, die bei aller Verträumtheit und Verpeiltheit auch einen wachen Blick für Standesunterschiede hat und sich davon ein paarmal in die Unaufrichtigkeit locken lässt.

In einem entscheidenden Moment entscheidet sich Lady Bird gegen die coole Clique ihres Lovers und für ihre beste Freundin; nach einer nächtlichen Versöhnungsumarmung vor der malerischen Kulisse Sacramentos gehört der obligatorische Abschlussballtanz nur ihr. Einem Genre, das seit Holden Caulfield mehrheitlich auf Jungsgeschichten fixiert ist, fügt Gerwig mit Lady Bird das Porträt einer girlhood hinzu, in dem die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zwar nicht gerade unwichtig, aber nun auch nicht die lebensumwälzenden Wegmarken sind. Überhaupt läuft das Coming-of-Age hier auf kein Telos hinaus (um nichts anderes geht es um die Frage nach der „besten Version seiner selbst“); in einem Genre, das dazu neigt, das Erwachsenwerden als eine Abfolge von zu überschreitenden Schwellen zu erzählen, zeigt Lady Bird es so, wie es die meisten Heranwachsenden empfinden: als ein Chaos gleichzeitiger Überforderungen.

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