Koko-di Koko-da – Kritik
Filmfest München 2019: Ein Kinderlied, Zirkusfiguren und quietschbunte Titelschrift: Koko-di Koko-da braut aus der Dissonanz zwischen kindlicher Unschuld und märchenhafter Boshaftigkeit einen verstörenden Horrorfilm.

„Der Hahn ist tot, der Hahn ist tot / Der Hahn ist tot, der Hahn ist tot / Er kann nicht mehr krähen, koko-di, koko-da / Er kann nicht mehr krähen, koko-di, koko-da.“ Diese seltsam sadistischen Verse bringen viele Eltern ihren Kindern bei. Johannes Nyholms zurückhaltender, aber perfider Horrorfilm Koko-di Koko-da lässt das Lied in so vielen Variationen erklingen, dass man es noch auf dem Heimweg zu hören meint. Zu Beginn schallt es aus einer Spieldose, die die achtjährige Maja von ihren Eltern Elin (Ylva Gallon) und Tobias (Leif Edlund) als Geburtstagsgeschenk bekommt.
Ein Kampfhund wütet im Zelt
Aus dem Spielzeug entweichen aber nicht nur Töne, sondern auch die drei darauf gemalten Zirkusfiguren, die plötzlich zum Leben erwachen: ein weiß gekleideter Dandy mit Gehstock (Peter Belli), ein grobschlächtiger Hüne (Morad Khatchadorian), der einen toten Kampfhund mit sich herumträgt, und eine stumme Riesin (Brandy Litmanen) mit einem ziemlich lebendigen Kampfhund. Dieser Hund wird später in ein Zelt gelassen, in dem Elin und Tobias einen quasi-therapeutischen Urlaub verbringen. Die Auszeit soll jene Risse heilen, die der Prolog mit einem ebenso cleveren wie bösen Twist verursacht hat.
Der Hund dringt immer wieder in das Zelt ein, um Elin oder Tobias zu zerfleischen, denn Regisseur Nyholm spult fünf- oder sechsmal zur selben Stelle zurück, um dem Paar eine neue Chance zu geben, seinem unausweichlichen Schicksal auszuweichen. Das ähnelt einem Experiment, bei dem eine Maus immer neue Wege durch ein Labyrinth sucht, an jedem Ausgang aber unweigerlich eine Katze lauert. Dieses Vorgehen erinnert mitunter an Michael Haneke oder Lars von Trier – nur wird Nyholm hier nie didaktisch wie der Österreicher und auch nie philosophisch (oder pubertär) wie der Däne.
Verstörung statt Schock

Der Schwede spielt ein grausames Spiel voll sinnloser Gewalt mit seinen Figuren (und dem Publikum). Die beiden Eheleute werden fast über die gesamte Laufzeit psychologisch und physisch von dem sadistischen Zirkustrio terrorisiert – viel mehr passiert inhaltlich nicht. Nyholm entpuppt sich aber in seinem zweiten Spielfilm als souveräner Zeremonienmeister, der auf billige Schreck- und Ekel-Effekte verzichtet und die Brutalität stattdessen in den Kopf des Zuschauers verlagert. Gefühlt ist der Gewaltanteil in Koko-di Koko-da deshalb sehr hoch, obwohl der Film tatsächlich kaum etwas davon zeigt – mal wird rechtzeitig abgeblendet, mal versteckt Nyholm das Geschehen im Zelt oder im Off. Diese fantasieanregende Arbeitsweise bewirkt eine nachhaltige Verstörung statt nur kurzfristiger Schocks.
Fabelhaftes Schattenspiel
Zudem webt der Regisseur mit zwei längeren Schattenspiel-Sequenzen eine kunstvolle Zusatzebene ein, die den Plot zwar widerspiegelt, aber narrativ doch genug Abstand hält, um – vor allem ästhetisch und atmosphärisch – eine eigenständige Wirkung zu erzielen. Wir sehen eine Fabel, in der zwei Hasen ähnliches Leid zustößt wie Elin und Tobias. An einigen Stellen weichen diese Theater-Episoden aber vom menschlichen Plot ab. Gerade diese Rätselhaftigkeit macht den Reiz jener Parallelerzählung aus, weil sie so den Deutungsraum des narrativ sehr reduzierten Hauptstrangs erweitert.
Düsteres Märchen
Mit seinen anthropomorphen Tieren und bizarren Zirkusgestalten ist Koko-di Koko-da dem Märchenhaften sehr nah. Nyholm interessiert sich dabei aber kaum für die Unterhaltungswirkung dieses literarischen Genres, sondern für die dunklen, grotesken Elemente, die vielen Märchen innewohnen. Tatsächlich dienten solche Geschichten ja ursprünglich weniger zur Erheiterung von Kindern als zur mit Angst arbeitenden, autoritären Erziehung. Wenn Wölfe Mädchen verschlingen, Jungen durch Scheren ihre Daumen verlieren oder ältere Damen im Ofen gebacken werden, dann ist das schließlich oft grausamer als die meisten Horrorfilme.
Natürlich ist Johannes Nyholm nicht der erste Regisseur, der in Märchen und anderen Bestandteilen des Kinderlebens viel Unheimliches entdeckt und diese vermeintliche Dissonanz produktiv nutzt. Es wimmelt im Horror-Genre nur so vor gruseligen Puppen, Clowns, Unheil ankündigenden Spieluhren und Kinderliedern, die ironisch ins Düstere verschoben werden. Nyholm gelingt diese Verbindung allerdings auf eine besonders beunruhigende Weise, weil er mehr in die Vorstellungskraft des Zuschauers projiziert als auf die Leinwand.
Neue Kritiken

Mein 20. Jahrhundert

Caught Stealing

Wenn der Herbst naht

In die Sonne schauen
Trailer zu „Koko-di Koko-da“

Trailer ansehen (1)
Bilder



zur Galerie (3 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.