Kinds of Kindness – Kritik
Disney+: Emma Stone, Jesse Plemons und Willem Dafoe bewegen sich durch drei Beziehungs-Episoden, die eher psychoanalytisch als filmisch ergiebig sind. Yorgos Lanthimos versucht das Disney-Publikum wieder abzuschütteln, Kinds of Kindness zieht sich dabei aber vor allem in sich selbst zurück.

„Sweet Dreams are made of this“ – während der ersten Produktionslogos, noch bevor das erste Bild aus der filmischen Welt von Kinds of Kindness über die Leinwand huscht, dröhnt bereits der Eighties-Hit von Eurythmic aus den Boxen. Dass man hier nicht allzu viel Süßliches, keine Zuckerglasur erwarten sollte, weiß, wer schon einmal einen Film von Yorgos Lanthimos gesehen hat. Tatsächlich schwingt Kinds of Kindness im Vergleich zu dessen gefühlt gerade erst erschienenen Poor Things in vielerlei Hinsicht gegenläufig aus. Während Poor Things seine Entenhund-Seifenblasen-Spielereien in ein recht verdauliches narratives Märchenkorsett verpackte, wirkt Kinds of Kindness an vielen Stellen wie ein Versuch, das Disney-Publikum wieder abzuschütteln; ja sogar vor den Kopf zu stoßen.
Ödipus-Komplex in Schieflage

Abermals installiert Lanthimos Emma Stone und Willem Dafoe, damit sie diesmal an der Seite von Jesse Plemons durch einen Film laufen, der sich in drei lose thematisch verknüpfte Episoden gliedert. Anders als im Vorgänger dienen Lanthimos die einzelnen Episoden hier weniger als Geschichten mit psychologisch abgerundeten Figuren, vielmehr spielen sie jeweils Beziehungs-Konstellationen durch, in denen die Menschen als überspitzt-absurde Marionetten auftreten. So dreht sich etwa der erste der drei Abschnitte (namentlich „The Death of R.M.F.“) um einen von Plemons verkörperten Mann, dessen komplettes Leben durch dessen Übervater und CEO (Willem Dafoe) geleitet wird – dieser stellt seine Diät zusammen, organisiert seine Wohnung, selbst die Auswahl der Lebensbegleiterin ist vorgezeichnet. Als Plemons’ Figur einen Arbeitsauftrag dieser Lenker-Figur ablehnt, wird er verstoßen, muss sich fortan selbst um sein naturgemäß aus den Fugen geratendes Leben kümmern.
Nun besteht durchaus ein gewisser Spaß darin, diesem Ödipus-Komplex in Schieflage mit hobby-psychoanalytischem Blick beim Entfalten zuzuschauen. Die hermetisch abgeschlossene Natur der drei Episoden, die zwar keineswegs alle Fragen beantworten oder klare Bögen erzählen, jedoch in distanzierenden Einstellungen ohne viel Schärfentiefe kaum Ambivalenzen schaffen und noch weniger Empathie evozieren, lässt den Film in seinen Wirrungen und Irrungen jedoch seltsam leblos erscheinen.
Kein Ausweg aus dem Plastikhaus

Wie in einem Reagenzglas herangezüchtet wirken diese Bilder, diese Konstellationen. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass beim Chemiker, der das Glas im Labor heranzieht, doch immer die Möglichkeit besteht, dass etwas Unerwartetes geschieht, dass etwa eine Fliege eindringt, die sich der Kontrolle des Masterminds entzieht. Hier stellt sich in den langen 164 Minuten Laufzeit hingegen irgendwann das Gefühl der vollständigen Undurchlässigkeit zu jeglichen Formen von Wirklichkeit ein – als würde man dabei zusehen, wie jemand seine Plastikfiguren A, B und C nach minutiöser Planung und mit maschineller Präzision durch ein Plastikhaus bewegt. A mag für X stehen, B für Y, vielleicht ist es auch andersherum, aus dem Plastikhaus wird es aber keine der beiden herausschaffen.
Nun ist diese Art des Filmemachens, in der Kontingenz keine Rolle spielt, per se nichts Verwerfliches, in Kinds of Kindness mag sich jedoch weder im gemachten Ganzen noch in den Einzelteilen so wirklich etwas kristallisieren. Anders als in Lanthimos’ früheren Filmen eröffnet sich durch die Überspitzung, durchs Eintauchen ins Groteske, kaum ein Perspektivwechsel aufs Alltägliche. Stattdessen zieht der Film sich in sich selbst zurück: Neurosen, Ängste, Verfehlungen finden sich hier an jeder Ecke, daraus ergibt sich dann ein Pingpongspiel der Verweise, aber ein Außen bleibt fern.
Nur ein Traum?

Auch in der zweiten Episode spielt Plemons einen unsicheren Mann, diesmal einen, der seiner Frau (Emma Stone), die nach einem Unfall verfrüht von einer Forschungsreise zurückgekehrt ist, nicht mehr glaubt, sie selbst zu sein. Erneut: Würde man diese Episoden in einer psychoanalytischen Sitzung als Traum erzählen, wäre auch diese sicher ergiebig, hier steht vor allem die entfesselte Sexualität der Frau im Vordergrund, die Plemons’ Figur sichtlich Unbehagen bereitet – auf die Spitze getrieben in einer Szene, die den Freud-Bezug mit einem phallischen Gegenstand vereindeutigt.
Vielleicht ist Kinds of Kindness – das „Sweet Dreams“-Motiv des Anfangs sowie die auffallend vielen Namens-, Initialen- und Buchstabendopplungen sprechen dafür – am besten als Traum zu verstehen, in dem alle Figuren eigentlich Anteile, Ängste, Hoffnungen derselben Persönlichkeit darstellen. Wie interessant das für Zuschauende ist, sei dahingestellt. „Who am I to disagree?“
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