Jeanne d'Arc – Kritik
Nach seinem Rockmusical über die Kindheit Jeanne d’Arcs geht es bei Bruno Dumont nun ans Eingemachte – zumindest theoretisch. Auch in Jeanne wird Geschichte überführt: in Playbackshows, theologische Sprachspiele und die lächerliche Mimik der Macht.
Die offizielle Synopsis des Films ist offizielle Geschichtsschreibung: Im 15. Jahrhundert, heißt es da, streiten Frankreich und England um den französischen Thron. Die junge Jeanne, so heißt es weiter, führt die Truppen des französischen Königs an und wird nach ihrer Gefangennahme der Häresie angeklagt, „bleibt ihrer Mission aber treu“. Und ja: All das passiert in Jeanne, und dann auch wieder nicht.
Mythen im Nirgendwo

In Bruno Dumonts transzendentem Körperkino ist der Nationalmythos Frankreich vor allen Dingen ein Kindergesicht in Ritterrüstung. Unschuldige Entschlossenheit, entschlossene Unschuld. Was Dumont an Johanna von Orleans interessiert, ist nicht der Hundertjährige Krieg, nicht die Geschichte Frankreichs, ist nicht die Frage, ob sie wirklich die Stimme Gottes hörte, und auch nicht, wie sie zum Mythos werden konnte. Ihn interessiert an dieser Figur erst mal, dass sie ihm ermöglicht, ein kleines Mädchen irgendwo in die französische Landschaft zu stellen und allein mit diesem Bild einen riesigen Bedeutungsüberschuss zu produzieren.
Vor zwei Jahren lief Jeanette in der Quinzaine des Réalisateurs, Dumonts Fabulation der Jugend Jeannes, vor dem göttlichen Ruf zu den Waffen. Beide Filme basieren auf einem Theaterstück Charles Péguys aus dem Jahr 1910. Zu Beginn von Jeanne nun sind wir zwar nicht mehr in ihrem Heimatdorf, sondern näher am Kriegsgeschehen. Das Setting ist genau genommen trotzdem dasselbe: ein bisschen Sand, ein bisschen Gras, ein bisschen Wald, französisches Niemandsland. War der Krieg in Jeanette noch vor allem auf zeitliche Distanz gehalten, so lässt Dumont die Ereignisse diesmal in die räumliche Leere laufen. Einer spricht von Paris und zeigt in Richtung eines etwa zehn Meter entfernten Erdhügels.
Zunächst ist Jeanne also Theater in den Dünen: Auftritte, Abtritte, Einheit des Ortes. Gesandte des Königs verkünden dessen Befehle, tapfere oder entmutigte Ritter kehren vom Schlachtfeld zurück und berichten von einer Niederlage, Vertreter des Klerus wollen wissen, was genau Gott denn jetzt gesagt hat. Durch Dumonts Reduktion im Bild und das theatrale Pathos der Sprechenden ist es manchmal so, als sähen wir einer bizarren Gemeinschaft bei einem rituellen Reenactment zu.
Gott ist Pop

Aber dann sind da diese Close-ups. Jeannes Gesicht füllt immer wieder den kompletten Bildkader, ohne dass sich diese Fülle je in eine Nähe übersetzen könnte. Das Gesicht ist eine Oberfläche, auf der sich Bekanntes und Unbekanntes begegnen: das kulturelle Wissen um den Jeanne-Mythos und die zehnjährige Darstellerin Lise Leplat Prudhomme, die Jeanne bis zu ihrem Tod verkörpern wird. Dieses Gesicht lässt so wenig Tiefe zu wie die Landschaft einen Horizont. Kaum ein Regisseur konstruiert aus eigentlich Opakem derart einnehmende Präsenzen. Alles ist immer völlig da in Dumonts Kino und erscheint gerade deshalb rätselhaft.
Jeanette war ein Heavy-Metal-Musical, Jeanne ist das nicht. Die erste Musiknummer, geschrieben von einem gewissen Christophe, gesungen von Augustin Charnet von der Indieband Kid Wise, ist ein Gespräch mit Gott in Gestalt eines Elektropopschlagers. Jeanne guckt gen Himmel und beginnt, Playback zu singen. Klar: Die erhabene Relevanz, die Gott für die Gläubigen des 15. Jahrhunderts hatte, ist vergleichbar vielleicht nur mit der des Pops für den Teenager. Ein wenig später folgt zu den Paukenschlägen der ritterlichen Trommler eine Berkeley’sche Choreografie von Jeannes berittenen Truppen, Schlacht-Vorbereitung oder Dumonts Stand-in für die richtige Schlacht. Die Kamera nimmt tanzende Pferdehufe in den Blick, der Film tritt wunderbar auf der Stelle.
Die groben Unterschiede

Aber Dumont geht nicht den Weg einer simplen Popularisierung der Geschichte wie etwa Sophia Coppola mit Marie Antoinette. Das wird spätestens klar, als der Film Ort und Register wechselt, die Musik in den Hintergrund rückt, die betonten Vertikalen der königlichen Kapelle die offene Landschaft verdrängen. Hier wird das Auf-der-Stelle-Treten endgültig Programm. Wir begleiten das Verhör der der Häresie angeklagten Jeanne, die Vorbereitungen, die ständig wiederholten Anklagen, Jeannes sture Erwiderungen. Theologie als endloses Sprachspiel, das Tribunal als absurdes Theater.
Die grotesken Körper aus Dumonts Kino dürfen jetzt endgültig in den Film schwärmen, sind vor allem umständlich deutlich sprechende Münder, die in Gesichtern verarbeitet sind, die über Körpern thronen, die in schwere Kostüme gehüllt sind. Gesichter sind bei Dumont ohnehin immer in 3D, hier werden sie zu ganz besonders schwerfälligen Maschinen. Ein Kleriker spricht affektierter, geschwollener als der andere. In der Mimik manifestieren sich bei Dumont soziale Differenzen: je höher die gesellschaftliche Stellung, je größer die Autorität, desto konstruierter der Habitus, desto alberner die Show. Mit seiner schelmischen Ästhetik der groben Unterschiede bricht Dumont den Fetisch der Macht auf, macht die Arbeit dahinter sichtbar.
Mädchenwerden der Welt

Und wie die Synopsis schon sagt: Jeanne rückt von ihrer Mission nicht ab. Die Situation mutet trotz aller theologischen Substanz manchmal eher an wie die in einem Lehrerzimmer, in das ein schwer erziehbares Schulmädchen nach seinem letzten Streich gerufen wurde. Wenn Dumont dem Mythos der Johanna von Orleans Zeitloses abgewinnen kann, dann eben auch das: den rechtschaffenen Tatendrang der Jugend, eine Tradition weiblicher Widerständigkeit gegen männliche Herrschaft, die junge Frau, die allein durch seinen Starrsinn eine ganze Ordnung ins Wanken bringt. Das Mädchenwerden der Welt als ethisches Programm.
In einem der letzten Bilder, vor der nicht abwendbaren Totale mit einem Scheiterhaufen am Horizont, werden von erhöhter Perspektive nochmals die endlosen Vertikalen im Inneren der Kirche betont. Irgendwo da unten am Rand geht ein Mädchen aus dem Bild, winzig klein, aber provozierend diagonal. Und aus einem Mythos ist eine Fluchtlinie geworden.
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