It Comes at Night – Kritik
Ein Zombiefilm fast ohne Zombies. Das post-apokalyptische Kammerspiel It Comes at Night von Trey Edward Shults gehört zu den wichtigsten Werken einer neuen Welle anspruchsvoller US-amerikanischer Indie-Horrorfilme.

Manchmal beginnen die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Film und Zuschauer bereits vor der ersten Einstellung. Das geschieht etwa durch das Logo eines renommierten Festivals, durch die Umrisse einer begehrten Trophäe oder allein schon durch den Namen einer Produktionsfirma. Das Firmenlogo von A24 hat sich binnen weniger Jahre zu einem veritablen Gütesiegel entwickelt. Das Unternehmen aus New York sorgte erstmals 2013 mit Harmony Korines subversiver Satire Spring Breakers (2012) für Aufsehen. Ein Jahr später präsentierte die Firma Jonathan Glazers stylisches Sci-Fi-Drama Under the SkinFilm (2013), das deutsche Verleihe mit seiner kaum in einer Schublade unterzubringenden Mischung aus Genre und Arthouse so sehr verstörte, dass es keiner von ihnen ins Kino bringen wollte (was schließlich eine Art cineastische Graswurzel-Bewegung übernahm). Mit Raum (Room, 2015) und Moonlight (2016) räumte A24 dann gleich mehrere Oscars ab.

Trey Edward Shults hatte schon sein Spielfilmdebüt – das Psychodrama Krisha – mit der Produktionsfirma verwirklicht, und auch vor It Comes at Night leuchtet das A24-Symbol auf. Im Auftakt seines zweiten Films begegnen wir einer Familie mit Gasmasken, die gerade dabei ist, einem älteren Verwandten den Gnadentod zu bescheren, nachdem der sich in Aussehen und Verhalten äußerst unvorteilhaft verändert hat. Er wird der einzige vollentwickelte Zombie bleiben, den wir während des gesamten Films zu sehen bekommen. Was genau „da draußen“ los ist und wodurch die Zombie-Apokalypse ausgelöst wurde, interessiert Shults nicht – ihm geht es um das Innere. Das Innere des Waldhauses, in dem sich die dreiköpfige Familie verbarrikadiert (und in dem das endzeitliche Gemälde „Der Triumph des Todes“ von Pieter Bruegel dem Älteren historisches „Foreshadowing“ betreibt). Vor allem aber um das Innere der Figuren – wie sie emotional und psychisch mit einer Extremsituation umgehen, die zivilisatorische Errungenschaften wie Vertrauen und Nächstenliebe infrage stellt.
Was nachts kommt

Nach einer kurzen Exposition des harmonischen, wenn auch klaustrophobischen Familienlebens nimmt der Film Fahrt auf, als erstmals nachts etwas kommt, die symbolträchtige rote Tür aufbricht und in die Schutzzone der Familie eindringt. Der Einbrecher wird rasch überwältigt, doch was soll man mit ihm anfangen? Auf Nummer sicher gehen und ihn umbringen – das wäre ein Sieg der Unmenschlichkeit. Ihn laufen lassen – zu gefährlich, er könnte Verstärkung holen und die Hausbewohner töten. Ihm glauben, dass er ein Familienvater ist, der für Frau, Kind und sich selbst nach einer Bleibe, Nahrung und Wasser sucht, und ihm dabei helfen – ein riskanter Schritt, der die eigene Existenz gefährdet.
Back to Hobbes, via Trump

Shults formuliert in seinem größtenteils als Kammerspiel inszenierten Horrordrama zeitlose Gegensätze aus: Wir und die, das Eigene und das Fremde, Egoismus und Altruismus. Sich auf das Zwischenmenschliche anstatt auf die Zombies selbst zu konzentrieren, zu beobachten, wie leicht sich die dünne Decke der Kultur nach einer plötzlichen Rückkehr in den Hobbes’schen Naturzustand wegreißen lässt, ist keinesfalls ein Novum in der Geschichte des post-apokalyptischen Kinos. Doch vor dem Hintergrund der Trump-Bewegung erhalten diese Themen eine aktuelle Dringlichkeit.
Die Dreharbeiten begannen im August 2016, mitten in der heißen Wahlkampfphase, in der sich letztlich der Kandidat durchsetzen konnte, der nicht nur Differenzen betont, Fremdem misstraut und Ressentiments bedient – sondern der zugleich für eine Kastrierung des staatlichen Sozialsystems plädiert, also der politische Manifestation von Empathie und Solidarität. In It Comes at Night ist die von Trump ausgenutzte und bestärkte Polarisierung der Gesellschaft fast an ihr Extrem gelangt – an die vollständige Atomisierung, an das „Jeder für sich“. Nur eine Institution bietet noch Schutz: „Du kannst niemandem außerhalb der Familie vertrauen“, beschwört der Vater seinen Sohn. Diese Besinnung auf die Blutsbande ist natürlich – wie die Wiederkehr des Nationalismus – ein Rückschritt von der Gesellschaft zur Gemeinschaft, vom modernen zum archaischen Gemeinwesen, das sich über Ausgrenzung statt Inklusion definiert. Die Hauptfrage von Shults’ Film scheint denn auch zu sein, ob und wie Empathie und Solidarität erhalten werden können, wenn der Gesellschaftsvertrag zerbricht.
Grusel statt Horror

Dieser politische Subtext und das mit fünf Millionen Dollar relativ geringe Budget reihen It Comes at Night in die Bewegung des „Prestige Horror“ ein. Zu dieser noch jungen Welle US-amerikanischer Indie-Horrorfilme zählen unter anderem die A24-Produktionen The Witch und Green Room, aber auch die von anderen Firmen produzierten Werke It Follows und Get Out. Insbesondere Get Out, in dem sich Weiße der Körper von Schwarzen bemächtigen, rief in den USA intensive politische Diskussionen hervor. It Comes at Night spielt interessanterweise in einer Welt, die „post-rassisch“ erscheint: Schwarze und Weiße kämpfen hier in einer Familie zusammen, die Identität der Figuren wird allein durch die Familie bestimmt, die Hautfarbe spielt keine Rolle.
Auch seine Ernsthaftigkeit und der eher zurückhaltende Einsatz billiger Schreckeffekte verorten Shults’ Film im Milieu des „Prestige Horror“, so arbeitet It Comes at Night nur spärlich mit Jump Scares. Zudem werden selbst die im Horrorgenre omnipräsenten Traumsequenzen freundlicherweise als solche eingeführt, anstatt sie anfangs als real darzustellen. Wie The Witch verlässt sich der Film primär auf seine dichte Atmosphäre. Die erzeugt Shults mit wunderbar altmodischen Mitteln: Er beutet schlichtweg die urmenschliche Angst vor Dunkelheit aus. Wir sehen den Sohn nachts, im schwachen Schein einer Öllampe durchs düstere Haus streifen – hier quietscht eine Treppenstufe, dort lauert das Dunkel eines scheinbar endlos langen Flurs. Insofern ist „Horror“ vielleicht sogar eine teilweise irreführende Bezeichnung, denn Horror wird oft mit ziemlich simplen Mitteln erschaffen: schnellen Schnitten, harten Soundeffekten, viel Kunstblut und einem sexy „Final Girl“. It Comes at Night spielt über lange Strecken in einer anderen Liga – dem Gruselfilm.
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