Introduction – Kritik
Neu auf MUBI: Hong Sang-soo sei Dank. Die Berlinale findet doch am Potsdamer Platz statt. Introduction ist ein sparsamer Film, aber auch ein tröstlicher. Nur in Deutschland sind die Türen verschlossen, und die Männer lassen einen sitzen.

Die Berlinale beginnt an diesem Montagmorgen, und sie beginnt, trotz Corona, am Potsdamer Platz. Denn das zweite Kapitel von Hong Sang-soos Introduction spielt in Berlin. Die Hintergründe versteht man, wie vieles in Hongs Filmen, erst allmählich, indem man aus den Dialogen ein Bild zusammensetzt. Das Setting selbst aber wird herrlich unverblümt etabliert. Da rüttelt eine junge Frau an einer schweren Tür und bekommt sie nicht auf. „Wieso geht die Tür nicht auf?“, fragt sie ihre Mutter, die hinter ihr steht. „Weil wir in Deutschland sind“, antwortet die.
Zum Potsdamer Platz geht es bald darauf, weil der jungen Frau ein junger Mann hinterhergereist ist, der ihr Freund ist, also lässt die junge Frau ihre Mutter und deren frühere Studentin (Kim Min-hee als Berlin Art Girl), bei der die junge Frau zunächst unterkommen soll, am Landwehrkanal stehen (Kim Min-hee als Berlin Art Girl: „Dem Leben tut ein bisschen Impulsivität doch ganz gut“) und trifft den jungen Mann. Man freut sich übers Wiedersehen, man gesteht sich, dass man keine Fernbeziehung will, der junge Mann überlegt, ob er nicht auch hier studieren könnte, ob er seinen Vater um Geld anhauen könnte. Die beiden umarmen sich am Potsdamer Platz. Der junge Mann ist viel größer als die junge Frau.
Umarmungen als höchstes Gut

Auch im ersten Kapitel von Introduction hat der Schauspieler Shin Seok-ho als großer, junger Mann eine deutlich kleinere Frau umarmt, in Korea im Schnee. Die Frau ist die Arzthelferin seines Vaters, man kennt sich schon lange. Wie häufig bei Hong ist zunächst ein bisschen unklar, ob über die Kapitel hinweg eine Kontinuität der Figuren oder nur eine Kontinuität der Darsteller existiert. Meta-Ebenen kommen ebenso infrage wie Träume oder eben doch eine realistische Basis, auf der Hong nur in der Zeit herumspringt. Es ist auch ein wenig egal. Hauptsache, man kennt sich, denn irgendwie kennen sich die Menschen ja immer in diesem Kino.
Verwirren wir uns also nicht mit Namen, bleiben wir also beim jungen Mann, bleiben wir lieber bei der Umarmung, und Umarmungen sind hier das höchste Gut: Introduction ist ein Lockdown-Film, im besten Sinne. „Irgendwann kommen die Leute wieder“, sagt die Mutter des jungen Mannes im dritten Kapitel, als sie mit einem befreundeten Schauspieler, eine große Nummer in der Theaterszene, im Restaurant sitzt. Was wir da noch nicht wissen: Der junge Mann wurde hergebeten, um dem Altstar zu erklären, warum er die Schauspielerei an den Nagel gehängt hat.
Endlich Alkohol

Als der junge Mann eintrifft, einen Freund im Schlepptau, der den Schauspieler kennenlernen will, wird endlich getrunken. Der Alte mahnt zwar noch, ein guter Trinker würde nicht betrunken, aber bald läuft der Soju so gut, dass er selbst seine Fassung verliert, als er den Grund erfährt, warum der junge Mann die Schauspielerei an den Nagel gehängt hat: Er verweigerte sich einer Kussszene, weil ihm das als Betrug an seiner Freundin vorkam. Da brüllt ein Mensch am Tisch, dass es doch gar keinen Unterschied gebe zwischen der wahren Liebe und der in der Fiktion, dass es doch egal sei, ob ein Kuss gefakt sei oder nicht. Hauptsache Kuss! Hauptsache Liebe!
Hach ja, Hong Sang-soo ist der richtige Regisseur für sozial distanzierte Zeiten, so produktiv wie er seit eh und je ist, so wenig wie er benötigt für einen Film. Selbst für Hongs Verhältnisse fühlt sich Introduction so nach Sparflamme an, aber die brennt und wärmt in ihrem schönen Schwarz-Weiß nur umso besser. Und wenn am Ende eine junge Frau traurig am Strand sitzt, weil ein Deutscher sie für eine andere Koreanerin verlassen hat, hilft man ihr hoch. Man kennt sich schließlich.
Den Film kann man bei MUBI streamen.
Der Text erschien ursprünglich am 02.03.2021.
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