In den Gängen – Kritik
Thomas Stuber schickt einen wortkargen jungen Mann auf Probe in einen Großmarkt. In den Gängen verliebt sich dieser bald in eine Kollegin – und fährt ganz schön viel Gabelstapler.

„Willkommen in der Nacht, Kollegen!“ Der Arbeitstag in einem Großmarkt neigt sich dem Ende entgegen, ein verträumtes Halbdunkel fällt über dessen Räume, ein Lied schläft in den Gängen und den Dingen, die dort zum Verkauf stehen. In Bierkisten, Nudelwaren und Kühltruhen ruhen Strauß und Bach. Eine verborgene Poesie liegt in der Choreografie der Gabelstapler, die mit leisem Summen die Gänge entlang huschen. In diesem Großmarkt ist Christian (Franz Rogowski) als Auffüller („damit die Regale nicht nackig aussehen“) und Aufräumer zunächst einmal auf Probe eingestellt. Blauer Arbeitskittel, Stifte (davon vier Stück), ein Papiermesser, ein Namensschild – damit ist der „Frischling“, wie er fortan genannt wird, komplett ausgestattet. Der ältere Kollege Bruno (Peter Kurth) ist ein Guter, er nimmt ihn in Obhut, bringt ihm die Arbeit bei, erklärt die Stapler-Konflikte und dass die Tiefkühl- (Sibirien genannt) mit der Getränkeabteilung auf Kriegsfuß steht. Das alles ist natürlich nicht ernst gemeint: Die Kollegen sind herzlich, verstehen sich gut, halten zusammen. Handschlag, Schlag auf die Schulter, man neckt sich hier gerne. Während Bruno und Christian „eine fünfzehn machen“ gehen (sie rauchen heimlich auf der Toilette), ist es immer Bruno, der spricht, denn aus Christian bekommt man schwer ein Wort heraus. Kalte Bierchen fließen nach dem Feierabend auch mal die Kehlen runter, aber meistens fährt der Frischling, genauso wie sein älterer Kollege, nach der Arbeit alleine in die leere Plattenwohnung.
Schleppt wie ein Irrer

In den Gängen, der neue Film von Thomas Stuber, kommuniziert, wie seine Hauptfigur, auch lieber in der Sprache der Gabelstapler. Denn wie sie leise zum Donauwalzer durch die Gänge huschen können, sind sie ab und an vor allem trotzig. Christian tut sich damit schwer, „schleppt wie ein Irrer“, sagt jemand im Film, „weil es ihn erwischt hat“. Im angrenzenden Gang arbeitet Marion (Sandra Hüller), Miss Süßware. Sie räumt Kekse und Schokolade in die Regale ein, er sieht ihr dabei zu und verguckt sich ernsthaft. Er kauft ihr Cappuccino aus dem Automaten, sie bietet ihm Privatunterricht im Staplerfahren, er schenkt ihr zum Geburtstag ein Törtchen mit Kerze. Das Ganze spricht sich im Großmarkt schnell rum – die Süßwaren-Marion sei verheiratet, heißt es, und der Mann sei nicht so gut zu ihr. Mit der unverkennbaren Franz-Rogowski-Stimme spricht Christian ab und an kommentierend aus dem Off: „Und dann war Weihnachten.“ Auf der Betriebsfeier, die draußen vor dem Parkplatz stattfindet, gibt es Würstchen mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. Dort kommen Marion und Christian aus der flirtenden Phase in eine vertrauliche. Er erzählt, offenbart seine Empfindlichkeit und die innere Sanftheit, wie er das vorher vermutlich noch nie getan hat.
Kammerspiel in weiten Räumen

„Als hätte es die Weihnachtsfeier nie gegeben“, sagt er dann später. Als Miss Süßware nicht mehr kommt, gehen für Christian und im Film die Lichter aus. In dieser Sprache kommuniziert Thomas Stuber auch, und es ist sehr berührend, zum Weinen. In einer Kneipe steht dann statt dem Spielautomaten plötzlich ein Kuscheltierautomat mit Greifarm herum, und Christian wirft eine Münze nach der anderen. So erzählt dieser Film und hat zum Glück keine Angst, als nicht reflexiv genug oder gar schnulzig daherzukommen, wie er keine Angst davor hat, sich in der Deutung gegenwärtiger Verhältnisse als wenig engagiert zu zeigen. In den Gängen spielt zwar irgendwo in Ostdeutschland, benutzt den Handlungsort (wenn an einer Stelle auch ausdrücklich von der Wende die Rede ist) aber nicht als Topos, von dem er seine Bedeutungen abgeleitet wissen will. Vielmehr geht es um Einsamkeit, Liebe, Freundschaft, um alltägliche Dinge. In den Gängen ist ein Kammerspiel in weiten Räumen: für Nähe, Distanz und wieder Nähe gibt es in ihm Platz. Mit präziser Mise-en-scène und gerader Linie erzählt, schafft er es, gleichzeitig groß und klein zu wirken. Aus dem Gabelstapler-Slapstick wechselt In den Gängen in die romantische Komödie und geht dann in die Tragik über, die sich an keiner Stelle falsch anfühlt. In der Mitte gibt es – als Lehrfilm-im-Film – eine tolle Splatter-Einlage. Subtilität ist offenbar nicht Stubers Tasse Tee, aber diese Gänge wird man auch noch später in der Erinnerung begehen können.
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