Im Wald – Kritik
My French Film Festival: Camping-Horror, geflüstert. Gilles Marchands Im Wald schickt das Genre zurück ins psychologische Unterholz und verschafft sich mit leisen Tönen Gehör.

Schon immer gehörte der Wald als Heimat des Unheimlichen und archaische Manifestation des „da draußen“ zu den häufigsten Ausflugszielen der ganzen Horror- und Thriller-Sippschaft. Besonders beliebt: die in diesem belebten Niemandsland vereinsamende Hütte als die unsichere Enklave einer Zivilisation, die sich im Biotop des Unterbewussten und Übersinnlichen mit ihrer eigenen Natur konfrontiert und nicht selten von dieser zurückerobert sieht – familiäre Zerrüttung inklusive, Wahnsinn optional. Auf eben diesen genre-mythologischen Urgrund versucht Gilles Marchand nun mit Im Wald die jüngste Tradition von Filmen wie Der Babadook (The Babadook, 2014) zurückzuführen, Filme, die sich in den abgründigen Ritzen von Familien-Drama und psychologischem Horror aufhielten und sich folgerichtig auch in ihrem Setting zumeist suburban domestizierten. Natürlich bleiben die metaphorischen Wege zwischen dysfunktionalen Familienbeziehungen und ihren monströsen Manifestationen auch dann noch reichlich kurz und offensichtlich, wenn man sie wieder auf verwildertes Terrain führt – hier die von Seen durchzogenen Wälder Skandinaviens. Jedoch bemüht sich Im Wald von Herzen, diese Wege durch die Aussparung oder Umschichtung so manch eines tradierten Versatzstückchens zu begradigen und für das subtextuelle Dickicht nach allen Seiten hin zu öffnen – um damit schließlich seine ganz eigene, wenn auch gedämpfte, Stimme zu finden.
Vater, Monster, Kind

So unterfüttert Im Wald etwa den in einem solchen Kontext beinahe obligatorischen Reigen halbluzider Monstersichtungen und unheilvoller Vorzeichen mit dem Topos der unzuverlässigen kindlichen Phantasie, indem er sich über weite Strecken ganz der Perspektive des etwa neunjährigen Tom (Timothé Vom Dorp) annimmt – dem in ähnlich gelagerten Filmen wohl eher die Rolle des enigmatischen „psychic kid“ als Einfallschneise des Übernatürlichen zukommen würde. Diese nimmt hier eher sein sich von Beginn an seltsam verhaltender und noch seltsamer ausdrückender, nicht nur geographisch entfremdeter Vater (Jérémie Elkaïm) ein, den Tom zusammen mit seinem älteren Bruder Ben (Théo Van de Voorde) in Schweden besucht. Kurzentschlossen nimmt dieser Vater die Kids mit auf einen Camping-Trip in eine Waldhütte, der jedoch mehr und mehr in eine Erkundung des Waldes selbst überzugehen scheint. Toms ohnehin ungute Vorahnungen bestätigt sein Vater dabei auch noch in einem sehr wörtlichen Sinne, versucht er ihn doch beharrlich davon zu überzeugen, dass Tom tatsächlich über hellseherische Fähigkeiten verfügt, die ihn auf rätselhafte Weise über den Kopf seines Bruders hinweg mit seinem Vater verbinden: Beide wachen sie, wenn andere schlafen, und erahnen Dinge im Dunkeln, die anderen verborgen bleiben. Und so ist es mindestens soviel staunende Faszination wie Angst, mit der Tom – und mit ihm der Film – dem Vater geweiteten Auges und pochenden Herzens hinaus aus sich und hinein in mehr als eine Tiefe des Waldes folgt.
Den Wald im Hinterkopf

Dabei wählt Im Wald formal ein selbst im Vergleich mit jüngeren Genreverwandten ausgesprochen leises Register und geht so an vielen Stellen bewusst das Risiko ein, in seiner strikten Reduktion und Entschlackung blass und distanziert zu wirken. Begleitet von kaum einmal mehr als dem ostinat pochenden akustischen Leitmotiv der Präsenz des Monsters, das die Soundkulisse des Films fast konkurrenzlos prägt, scheint er den Aufbau nachhaltiger Spannung durch das abrupt-lapidare Abschneiden nahezu aller standard-nächtlichen Setpieces beinahe absichtlich zu sabotieren. Auch das visuelle Potenzial der Szenerie reizt Marchand vergleichsweise wenig aus; bei allem narrativen Gewicht kommt der Wald selbst dann doch nie so recht zu Wort. Sogar einen an Melancholia (2011) gemahnenden Moment trailerwürdigster Naturpoesie mit Glühwürmchen lässt die Kamera nicht wirklich nahetreten, verbleibt in der distanzierten Totale. Was zunächst ermüden oder gar frustrieren mag, bricht auf lange Sicht jedoch durchaus wirkungsvoll das Maß des Erwartbaren herunter und sensibilisiert pünktlich zum konsequent antiklimaktischen Finale für gerade genug geflüsterte Symbolik am Wegesrand, um die Stille genießen zu können. Es sagt viel und doch nicht genug über Im Wald, dass sich die eindrucksvollste Einstellung und zugleich unerwartete Spannungsspitze des Films schließlich in einer Subjektive Toms findet, der gebannt den Hinterkopf des Vaters mit einem Blick wie in die hypnotische Vieldeutigkeit eines Baumdickichts betrachtet. Und am Ende lernt dann vielleicht sogar der Wald noch sprechen – oder zumindest vielsagend schweigen.
Den Film kann man sich bis zum 19.2. bei My French Film Festival ansehen.
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