If I Had Legs I'd Kick You – Kritik

Berlinale 2025 – Wettbewerb: If I Had Legs I’d Kick You macht das Unwohlsein seiner Hauptfigur, einer dauergestressten Mutter, physisch erlebbar. Mary Bronsteins Film hält die Balance zwischen ernsten Themen und Humor, ist aber streckenweise zu mechanisch konzipiert.

Möchte man If I Had Legs, I’d Kick You einem Genre zuordnen, so ließe er sich vielleicht als Horrorfilm bezeichnen. Nur behandelt Mary Bronsteins Film nicht die Schrecken übernatürlicher Wesen oder die Angst vor dem Tod; vielmehr geht es um einen metaphysischen Horror: den Schrecken, der der Erkenntnis entspringt, dass das Leben eine unumkehrbare Richtung eingeschlagen hat. Durch Weniges lässt sich dieser Schrecken besser repräsentieren als durch ein Kind - ein lebendiges Wesen, geplant oder ungeplant, das Einschnitte im Leben seiner Angehörigen einfordert, die Aufgabe von Plänen und Visionen zum Beispiel, und welches in seiner Zerbrechlichkeit jeden Fehltritt, jede Fehlentscheidung unter die gesellschaftliche Lupe rückt. Bronsteins Drama kommt als langsam anwachsende Panikattacke daher und will eine Lebenskrise für das Publikum physisch erfahrbar machen.

Überforderungskino

Ungemütlich nahe rücken wir Linda (Rose Byrne). Das Leben der Psychotherapeutin gerät ins Schlingern, als ein Rohrbruch die Decke in ihrem Wohnzimmer einbrechen lässt. Während ihr Ehemann Charles (Christian Slater) seinem Job beim Militär nachgeht, muss Linda mit ihrer achtjährigen Tocher (Delaney Quinn) zwangsweise in ein Motel ziehen, während ihr Vermieter sich vermeintlich um die Bauarbeiten kümmert. Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass der Rohrbruch nur ein Katalysator für Lindas tiefliegendes Unwohlsein ist. Wegen eines Unfalls muss die Kleine über eine Magensonde ernährt werden. Geplagt von Schuldgefühlen und Schlafmangel schleppt sich Linda zur Arbeit und hat nur Energie für professionelle Plattitüden; nachts schlurft sie auf die Motel-Terrasse und stopft Rotwein und Reese’s Peanut Butter Cups in sich hinein. Während sie versucht, die vielen losen Fäden ihres Lebens zusammenzuhalten, verweben sich ebendiese langsam zu einer Schlinge.

If I Had Legs I’d Kick You ist der zweite Langfilm Bronsteins und aus diesem Blickwinkel ein beeindruckendes Werk. Es fügt sich in ein Subgenre ein, das die Safdie-Brüder oder vor ihnen die Dardenne-Brüder für sich eingerichtet hatten: In seiner Viszeralität funktioniert er als Überforderungskino. Nervös und instabil folgt die Kamera der Hauptfigur beim Versuch, einen immer bedrohlicher werdenden Berg an Herausforderungen zu meistern. In seiner Kinetik erinnert der Film an Good Times (2017) der Safdies. Auf körnigem Analogfilm gedreht, besteht er zu großen Teilen aus Closeups öliger Gesichter, auf denen sich die Neonschilder und Leuchtröhren der nächtlichen Stadt spiegeln.

Empathie ohne Sympathie

Am öftesten sehen wir das Gesicht Rose Byrnes. Die verständnislose Stimme ihres Ehemanns ist größtenteils nur aus dem Handylautsprecher zu hören. Von ihrer Tochter ist, selbst wenn sie im selben Raum oder auf der Rückbank des Autos sitzt, nur der Anschnitt einer Schulter hier oder die Spitzen ihres Lockenschopfes dort zu sehen - Lindas Isolation wird expressionistisch in Szene gesetzt. Byrne trägt die schwierige Verantwortung, eine Figur zu verkörpern, die zwar zur Empathie einlädt, aber zugleich beizeiten haarsträubend unsympathisch ist. Nervös sucht Linda nach Hilfe, doch zugleich verhindert ihr Stolz, dass sie Hilfsangebote auch wirklich annimmt. Zornig fährt sie Personen in ihrer Umgebung an, die ihrer Auffassung nach ihre Situation nicht nachvollziehen können. Unrecht hat sie damit nicht unbedingt.

Eine große Leistung Byrnes besteht auch darin, dass sie ihre Darbietung mit einem nervösen Humor auflädt. Allgemein tariert der Film seine ernste Thematik mit bissiger Comedy aus. Ein überraschend guter  A$AP Rocky spielt den schnippischen Nachbarn James, dem Rose oft begegnet und mit dem sie später Drogen im Darkweb bestellt. In einem weiteren gelungen Stunt-Casting spielt ein ungewöhnlich bedeckter Conan O’Brien einen Kollegen Lindas, bei dem sie heimlich Therapiestunden bucht.

Konsequente Eskalationsmechanik

Konsequent zieht Bronstein die Schrauben an. Ihre Tochter weigert sich zuzunehmen, und verliert deshalb ihren Pflegegrad. Eine selbstgefährdende Patientin läuft Linda davon und lässt ihr schreiendes Baby in der Praxis zurück. Linda kauft ihrer Tochter einen Hamster und dieser wird - wie sollte es anders kommen - sogleich von einem Auto überfahren. If I Had Legs I’d Kick You folgt konsequent Murphys Gesetz und schöpft daraus auch gelegentlich Humor; doch gleichzeitig droht der Film manchmal, in die Karikatur abzudriften. Lindas Welt der Tretminen ist offensichtlich ein Konstrukt der Regisseurin und verliert teils den Realitätsbezug. Die Kritik an Geschlechterungleichheit, an fehlenden Infrastrukturen für Mütter, an einem inhumanen Gesundsheitssystem, versickert teilweise zwischen den Zahnrädern der Eskalationsmechanik.

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