Beale Street – Kritik
Nach seinem großen Erfolg mit Moonlight widmet sich Barry Jenkins einem späten Roman von James Baldwin über eine junge Liebe in Harlem. In Beale Street teilen sich Hoffnung und Verzweiflung jedes Bild.

„I hope that nobody has ever had to look at anybody they love through glass.“ Dieser Satz fällt früh in James Baldwins Roman Beale Street Blues, der hierzulande erst kürzlich in einer neu übersetzten Ausgabe erschienen ist. In Barry Jenkins’ Verfilmung Beale Street ist es dieser Satz, mit dem sich das Voice-over erstmals über die Bilder legt. Die 19-jährige Tish (Kiki Layne), die ihn spricht, sieht den nur unwesentlich älteren Fonny (Stephan James), den sie liebt, nur durch Glas an, und sie hört ihn, obwohl keine zwei Meter entfernt, nur durch ein Telefon.
Die Kamera und die Glasscheibe

Immer wieder wird Tish an diesen Ort zurückkehren, ihrem Fonny gegenübersitzen, der einer Vergewaltigung beschuldigt wird, die er nicht begangen hat. Manchmal, wenn die Liebe stärker ist, setzt sich die Kamera an die Stelle der Scheibe und lässt sie verschwinden, und dann sieht Fonny Tish an, und Tish sieht Fonny an, als gäbe es das Glas gar nicht. Und manchmal, wenn die Verzweiflung überwiegt, wirft sich die Scheibe in Schuss und Gegenschuss und wird Teil des Bildes, gibt es keinen Blick in diese beiden Gesichter, der nicht erst durch dieses massive Glas müsste. Das große Thema des James Baldwin, „what it means to be young and black in America“, und seine zwei großen Gesten, die literarische Arbeit an der Hoffnung und die radikale Analyse des Rassismus als nicht zu tilgender Bestandteil der Identität Amerikas, schlagen sich bei Jenkins nicht zuletzt in diesem Verhältnis von Kamera und Glas nieder.
Liebe unter Bedingungen

Die Geschichte beginnt so: Fonny und Tish lieben sich, schon seit ihrer Kindheit, jetzt ist die Liebe erwachsen geworden und Tish schwanger. Diesen Umstand beichtet sie Fonny in den Telefonhörer, und in Fonnys Gesicht machen sich zu gleichen Teilen Freude und Verzweiflung breit, wie in vielen der Bilder dieses Films, aus denen die Liebe und das Glas sprechen. Als später am Tag Tishs Mutter die frohe Kunde feierlich dem Rest der Familie verkündet, hält sich ihre Tochter mit zitternden Händen am zur Feier des Tages gefüllten Weinglas fest.

Der Film beginnt so: „Every black person born in America was born on Beale Street, born in the black neighborhood of some American city.“ Das Baldwin-Zitat, das Beale Street vorangestellt ist, erklärt nicht nur den Titel des Romans, sondern auch die Poetik des Films: Wie Beale Street keinen konkreten Ort bezeichnet, aber eben doch eine konkrete Erfahrung, ist das Harlem der 1970er hier nicht minutiös rekonstruiert, sondern sorgfältig entrückt, in satte, leuchtende Farben getaucht, herausgeputzt aus der Zeit. Die Liebe, um die es in diesem Film geht, ist eben nicht die Liebe als solche, aber auch nicht nur eine bestimmte Liebe, sondern die Liebe als solche unter bestimmten Bedingungen. Weil diese Bedingungen anhalten, sind die 1970er, und wenigstens darin ist der Film Spike Lees BlacKkKlansman nicht unähnlich, eher als Perspektive auf Geschichte und Gegenwart wichtig denn als konkretes historisches Setting. Beale Street ist, das wird nirgends so klar wie im bittersüßen Schlussbild, ein period piece der longue durée.
Plot und Erinnerung

Immer wieder setzt unvermittelt Nicholas Britells brillanter Score ein, und meist entfernt sich Tish dann vom Hauptstrang der Erzählung (die Schwangerschaft, ein so gewaltvoller wie urkomischer Streit mit Fonnys ultrareligiöser Familie, die Versuche, mithilfe eines weißen Anwalts Fonnys Unschuld zu beweisen) und schwelgt in Erinnerungen an eine Zeit ohne Glas: Wie sie in einer überfüllten U-Bahn ganz nah an Fonny steht und erkennt, dass Kinder- zu Erwachsenenliebe geworden ist. Die Wohnungsbesichtigung in einem maroden Industrieloft, in das man sich das Leben erst hineindenken muss und in dem Tish Mühe hat, Fonnys blumigen Beschreibungen von Zimmern und Möbeln zu folgen, auch wenn die Kamera seinem Blick ganz hingerissen durch die Leere folgt, als würde sie all die Dinge, von denen er da spricht, allein durch ihre Bewegungen gerade erschaffen – als wäre das Glück nicht auf ewig in eine Zukunft verschoben, sondern bereits an Ort und Stelle möglich. Und schließlich Daniel, Fonnys alter Jugendfreund, der unvermittelt wieder eintritt ins Leben der jungen Liebenden und nach zwei Jahren im Knast zu keinem anderen Schluss mehr kommen kann: „The white man’s got to be the devil.“
Sehen statt Bilder

Nicht nur in dieser Szene sind die ausdauerndsten, die konzentriertesten, die neugierigsten Blicke des Films auf schwarze Männer gerichtet, eine Verbindung zu Jenkins letztem Film Moonlight und konsequente Übertragung der Erzählperspektive des Romans, nämlich die 19-jährige Perspektive einer gerade erwachsen werdenden Frau, neugierig aufs Leben, dem Glas schon überdrüssig. Zugleich steht die erhöhte Aufmerksamkeit für die Gesten, Blicke und Bewegungen dieser Männer – wie überhaupt die fiebrig intensiven Close-ups, die leuchtenden Farben, die Liebe im Bild – auch für eine bestimmte filmische Politik. Eine Politik, die nicht Empörung und Mitleid im Angesicht schreienden Unrechts anrufen will, sondern eine, die uns das Sehen selbst neu beizubringen versucht – nicht als Mittel der Erkenntnis, sondern als ethische Praxis. Gegen das Bild des schwarzen Triebtäters etwa, das noch immer Recht spricht. Und gegen die Fest-Stellung der Fotografie. Die an zwei Stellen zwischengeschnittenen Archivaufnahmen zeugen von innerstädtischer Armut und Polizeigewalt, und auf dem Hochglanzfoto der Liebenden sieht Victoria Rogers, das Opfer der Vergewaltigung, eben keine Unschuld, die sie bezeugen könnte, sondern nur immer und immer wieder das eigene Trauma. Auch ihre Perspektive, obwohl sie die große Liebe verhindert, darf in diesem Film autonom bleiben, kommt zu ihrem Recht.
Kunsthandwerk statt Kunst

Dem Bewegtbild in Beale Street wohnt dagegen eine dringliche Schönheit inne, die sich, die uns, die etwas bewegen will. „I hope that nobody has ever had to look at anybody they love through glass.” Dieser Satz ist nicht nur Beschreibung einer tragischen Situation, in ihm ist auch ein Versprechen, ein Begehren aufgehoben, an deren Erfüllung Beale Street selbst bereits arbeitet, so präzise und klug wie Baldwin an seiner Prosa, so ruhig und geduldig wie Fonny an seinen Holzskulpturen. Als „artisan“ bezeichnet der sich einmal von hinter dem Glas, als Kunsthandwerker, weil er mit dem Wort Künstler noch nie etwas anfangen konnte. Und das ist vielleicht nicht der schlechteste Begriff für Jenkins’ Kino, das ambitioniert und zugleich gänzlich uneitel ist, ein Kino, das sich nicht als reine Form, nicht ohne das Material denken lässt, das ihm zugrunde liegt. Und das politisch ist: Es versucht, so verzweifelt wie unnachgiebig, das Glas aus dem Blick zu bekommen, im Wissen darum, dass dieses Glas existiert und dass es immer und immer wieder insistieren wird.
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