Ich bin dein Mensch – Kritik
Maria Schraders Ich bin dein Mensch erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer Anthropologin und einem humanoiden Roboter als eine Art Downton Abbey in Berlin-Mitte – will dann aber doch die großen Fragen klären.

Was Tom (Dan Stevens) alles kann: Rilke rezitieren, Rumba tanzen, ganz schön schnell Kopfrechnen. Kaffee machen, eine Schwangere verarzten, smalltalken (gerne über Kunst und Autos), Koreanisch sprechen, Französisch sprechen, ach, alle Sprachen eigentlich. Fenster putzen, Bücher nach Farben sortieren, flott aufräumen (9 Minuten für die ganze Wohnung), im Regen ohne Schirm und Jammern warten, wenn Anthropologin Alma (Maren Eggert) mal wieder länger im Pergamon-Museum arbeiten muss. Tom kann Komplimente machen, witzig sein, mit seinen eisblauen Augen so dreinschauen, dass es Alma mulmig wird. „Sex geht nur mit Küssen vorher?“, fragt sie lieber nochmal nach, als sie ihn betrunken abschleppen will. Nun ja, schade, irgendeinen Haken muss es ja geben.
Auf Liebe programmiert

Lügen kann Tom auch gut, zum Beispiel dass sich Alma und er auf einem Kongress kennengelernt haben. Haben sie nämlich nicht. Denn Tom ist kein Mensch, sondern ein humanoider Roboter, der eigens für Forscherin Alma gebaut wurde. Drei Wochen soll sie mit ihm verbringen, um Fördermittel für ihre Studien zu bekommen. Begleitet wird dieses Wohn- und Beziehungsprojekt in der Sci-Fi-Rom-Com Ich bin dein Mensch von einer Mitarbeiterin der Entwicklungsfirma (Sandra Hüller), deren Betreuung zwischen Paartherapie und Reparatur-Service changiert. Unterdessen passt sich der eloquente und empathische Tom immer stärker Almas Bedürfnissen an, er ist schließlich vollständig auf Liebe programmiert.
Die Kundin, so das Ziel und der alleinige Sinn seiner Existenz, muss glücklich gemacht werden. Aufgrund von Algorithmen will die Maschine die Frau besser kennen als sie sich selbst. Deswegen also spricht Tom mit britischem Akzent, deswegen erstmal kein Sex, oder zumindest nur mit Küssen vorher – denn zum einen kommt Toms Penismechanik nur auf diesem Wege in Gang, zum anderen will Alma nach Einschätzung des Roboters doch tief in ihr drin lieber Zuneigung statt Geficke. Bei der Frage, wie sich das Verhältnis zwischen den beiden Figuren weiter gestaltet, nimmt Ich bin dein Mensch, den Maria Schrader auf der Basis von Motiven der gleichnamigen Erzählung von Emma Braslavsky inszeniert hat, seinen Ausgangspunkt.
Downton Abbey in Berlin-Mitte

Schrader, zuletzt mit der vierteiligen Netflix-Serie Unorthodox auffällig geworden, für die sie als erste deutsche Regisseurin überhaupt mit einem Emmy ausgezeichnet wurde, hat das Drehbuch, wie schon zuvor bei ihrer Stefan-Zweig-Auseinandersetzung Vor der Morgenröte, gemeinsam mit Jan Schomburg geschrieben. Dass sie selbst auch als Schauspielerin tätig ist, lässt sich in Ich bin dein Mensch erstaunlich deutlich daran ablesen, wie interessiert sie Eggerts und Stevens Körperlichkeiten untersucht. Während Eggert mit der Präzision reduzierter Mittel den Forschungs- und Gefühlsapparat Dr. Alma Felser darstellt, ist Stevens im Film auf einer doppelten Mission: Er spielt einen humanoiden Roboter, der wiederum menschliches Verhalten imitiert und versucht, möglichst unauffällig durch Berlin-Mitte zu staksen.
Die Einsätze des Schauspielers in Downton Abbey scheinen ihn bestens auf die Rolle des künstlichen Liebhabers vorbereitet zu haben. Die britische Aristokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ort, an dem kleine Gesten immer schon mehr bedeuten, als sie sind, an dem Blicke, Bewegungen, spärlich gestreute Sätze verschlüsselten Botschaften gleichkommen; über die Besetzung von Stevens schleicht sich Julian Fellowes’ Serienwelt mitsamt seines Interesses an der Bewertung von Figuren mit hinein in Ich bin dein Mensch. Ab wann ist ein Verhalten verdächtig? Wie lässt sich ein Kaffee unauffällig bestellen, wie die Hand auf die Sofalehne legen? Schrader stellt noch die alltäglichsten sozialen Situationen als gelernte Fähigkeiten aus, zeigt Tom nur in der KI-Omnipotenz, damit klar wird, wozu er nicht im Stande ist. Und dank dieser Unperfektheit im Repertoire des Alltäglichen, dieser Unsicherheit, ist der Maschinenmann eine verständliche und unterhaltsame Gestalt zugleich.
Restaurativer Kitsch

Ich bin dein Mensch nimmt sich dabei die großen Fragen vor: Was unterscheidet Dienstleistung und Liebe? Was macht den Menschen aus? Wo fängt Bewusstsein an? Aber die Antworten, die Schrader dafür anbietet, sind gar nicht so besonders, wie es ihr Film zunächst verspricht. Alma untersucht mit ihrer Forschungsgruppe die ältesten überlieferten Schriftstücke und bemerkt, dass Menschen damals nicht nur Listen und Verwaltungsdokumente erstellten, sondern auch Gedichte schrieben. Da muss also mehr in der conditio humana stecken: eine Lust am Träumen, ein Wille zur Metapher, ungestillte Sehnsucht. Was Poesie bereithalten soll, wird in Ich bin dein Mensch aber zum restaurativen Kitsch. Schraders Film verliert sich darin, Bilder der Versöhnung herzustellen; einmal tappst Tom in der Nacht durch das Pergamon-Museum und starrt antike Statuen an, als wäre er auch gerne eine von ihnen. An anderer Stelle entdeckt ihn Alma auf einer Lichtung zwischen Rehen, die keine Scheu vor dem Roboter haben.
Beim ersten Aufeinandertreffen von Alma und Tom stellt sie ihm Rechenaufgaben, fragt ihn nach seinem Lieblingsgedicht, nach Gott, dem Sinn des Lebens: „Was ist das Traurigste, was du dir vorstellen kannst?“ Ohne Zögern antwortet er: „Alleine sterben“. Es ist ein schöner Moment, vielleicht der schönste sogar, weil Alma wie auch Schraders Film um die fehlende Originalität von Toms Antwort wissen, in diesen zwei Wörtern aber zugleich ganz viel wohnt, das sich nicht besser formulieren ließe. Im weiteren Verlauf hält Ich bin dein Mensch solche Widersprüche nicht mehr aus, sondern flüchtet sich in eine Eindeutigkeit von Erzählung und Welt, in der der Kinderwunsch das größte Geheimnis einer Frau mit Karriere ist und automatisierte Männlichkeit perfide verständnisvoll auftritt.
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