I see you: Das Böse ist näher als du denkst – Kritik

VoD: Nur langsam offenbart I See You, wie übersinnliche Vorkommnisse mit einer Ehekrise und einem alten Kriminalfall zusammenhängen. Während das Angeschaute fast immer Fehlinterpretationen unterliegt, bleibt die Differenz zwischen Spannung und Hinhalten hauchdünn.

Blicke ins Leere. Blicke auf irritierende Dinge, wie Froschmasken unter einem Bett, einen Becher auf dem Dach oder ein Meerschweinchen am Treppenabsatz. Oder, wenn wir mal nicht auf Schauende schauen: Blicke der Kamera entlang von Fluren, auf zuweilen verloren wirkende Menschen oder auf die Innereien einer automatischen Garagentür. Adam Randalls I See You trägt seinen Namen nicht unverdient, ist er doch ein Film der Blicke. Und doch beinhaltet er einen Kurzschluss. Denn das Angeschaute unterliegt fast immer Fehlinterpretationen. Manchmal würde ein genauerer Blick reichen, und die Leute würden verstehen, aber tatsächlich sehen sie nicht.

Schwebende Geisterhände

Die Harpers haben gerade keinen Nerv für gewissenhafte Eruierungen. Sie haben zu sehr mit sich selbst zu tun. Die Ehefrau und Mutter Jackie (Helen Hunt) hatte eine Affäre. Ihr Mann Greg (Jon Tenney) schläft nachts auf der Couch im Wohnzimmer und schafft es kaum noch, mit ihr zu reden, während ihr Sohn Connor (Judah Lewis) seine Verachtung und seinen Zorn offener kommuniziert. Jackie versucht, die Contenance zu halten und stoisch den Haussegen wieder einzurenken. Doch das wird zunehmend schwerer. Bilder an der Wand oder das Besteck verschwinden, der Fernseher schaltet sich von alleine an, Handwerker werden von jemandem reingelassen, obwohl die Harpers doch alleine sind, Schranktüren verschließen sich und setzen Greg fest. Scheinbar als eigenständige Instanz bemächtigt sich die familiäre Dysfunktionalität des Hauses.

Gleichzeitig muss Greg, seines Zeichens Polizist, den Fall eines verschwundenen Jungen aufklären, der Parallelen zu einem Fall aufweist, den sein Partner (Gregory Alan Williams) vor 15 Jahren löste. Zu Beginn sehen wir, wie der Junge durch einen Wald fährt und wie von Geisterhand von seinem Fahrrad gerissen wird. Vorher schwebte die Kamera durch den Wald, wie sie später durch das Haus schwebt und dabei anscheinend die Perspektive von jemandem oder etwas einnimmt. Die beiden Vorgänge werden sich im Laufe von I See You zusammenziehen. Die vermeintliche Geisterhand wird rational erklärt und die Vorgänge im Haus aus anderer Perspektive beleuchtet.

Zwischen Spannung und Hinhalten

Doch das Spiel mit den Perspektiven ist manipuliert. Hier und da wird Entscheidendes verschwiegen, oder es wird angedeutet, dass Dinge parallel ablaufen, obwohl dies nicht der Fall ist. Der Blick auf das Geschehen wird bewusst verstellt. Die Handlung scheint zudem weniger den handelnden Figuren zu gehorchen als einem zuweilen sehr kreativ hochgehaltenen Spannungsbogen. Die Konstruktion von I See You zieht dergestalt alle Aufmerksamkeit auf sich und raubt den diversen Twists ihre Kraft – gerade auch, weil alles so ausführlich offengelegt wird. Die Differenz zwischen Spannung und Hinhalten ist hauchdünn.

Aber: Immer wieder findet die Geschichte auch zu neuen filmischen Ausdrücken – zur Serienkillerjagd und dem Haunted House gesellt sich etwa später eine Found-Footage-Sequenz. Zuvorderst ist Randall eben an Perspektiven interessiert: wie Details ihren Sinn verändern, wie sie in einem anderen Licht betrachtet werden. Als Aufklärungsvehikel ist der Film ermüdend. Aber er eröffnet einem die Möglichkeit, das, was da vonstatten geht, nicht einfach nur vorbeiziehen zu lassen, sondern es näher zu betrachten, mehr zu erfahren. (Wobei I See You ein feines Gespür dafür hat, welche Momente nicht zu sehr dem Rampenlicht und der Untersuchung ausgeliefert werden sollten – der gruseligste Moment des Films, ein Starrduell zwischen Jackie und dem Bett ihres Sohnes, bleibt für sich stehen.)

Verbrannte und verzweifelte Gesichter

Die Stärke von I See You sind seine Bilder. Die Untiefen der bürgerlichen Familie finden sich in den Klippen, die den Garten des idyllischen Vorstadthauses einfach abreißen und den Abgrund buchstäblich folgen lassen. Mehrere Meter geht es plötzlich zu einem tosenden Meer hinunter. Oder die verbrannten Gesichtszüge eines jungen Mannes, der dem Serienmörder entkommen konnte, die Narben aber überdeutlich trägt. Narben, die nur für kurze Momente zu sehen sind und, begleitet von einem intensiven Sound Design, ein Schlaglicht auf die Schrecken einer Seele gewähren. Oder das Gesicht Helen Hunts. Sie verzichtet den gesamten Film über auf ihr markantes Lächeln. Stattdessen lässt sie die Mundwinkel hängen. Mit ihren tief liegenden Augen und der seltsam gestrafften Haut ist den ganzen Film über nicht klar, ob in diesem Gesicht etwas Dämonisches zu lesen ist oder einfach nur Schrecken und Verzweiflung.

Der Film steht bis 25.11.2023 in der ARD-Mediathek.

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