Hypnose – Kritik

Dank einer Hypnose kommt Vera in Ernst De Geers Spielfilmdebüt zu sich selbst, und zwar so richtig. Wie ihre anarchische Impulsivität auf das pseudoauthentische Getue eines Workshops für Start-ups prallt, ist unangenehm anzusehen, lustig ebenfalls – und sieht so kalt und kontrollierend wie eine Werbung aus.

Etymologisch setzt sich das Wort „Authentizität“ aus zwei Teilen zusammen: auto, selbst, und hentes, tun. Aus dem eigenen Kern heraus handeln, auf die eigene Stimme hören – man selbst sein. Schon über die Prämisse, es gebe so etwas wie einen inneren Kern, eine ursprüngliche Eigentlichkeit im Menschen, lässt sich streiten, schwieriger noch wird es in der Produktion von „Authentizität“, wie sie im individualistischen Werbejargon auf die Spitze getrieben wird.

„Ich war elf Jahre alt, als ich meine Periode bekam“, ist der erste Satz, der in Ernst De Geers Spielfilmdebüt Hypnose fällt. Die junge Frau, die ihn ausspricht, trägt die Haare ordentlich, aber nicht so ordentlich, dass es gemacht aussieht. Sie steht vor einem roten Hintergrund und erzählt von ihrer „Blutkrankheit“, davon, dass sie hätte sterben können. Die Geschichte ist gelogen, aber: „Es wirkt ehrlich, echt und persönlich“, lautet das Feedback.

Heilige Güter Echtheit und Lockerheit

Die junge Frau heißt Vera (Asta Kamma August), gemeinsam mit ihrem Lebens- und Geschäftspartner André (Herbert Nordrum) hat sie eine App zur Verbesserung weiblicher Gesundheit entwickelt. Hypnose spielt zum Großteil auf einem Workshop für das Pitchen von Start-ups, an dem Vera und André teilnehmen. Man selbst sein, authentisch sein, das ist hier Gebot für den goldenen Pitch. Und auch bei der Hypnotherapeutin, die Vera zu Beginn des Films besucht, ist es nicht anders. Sie versuche zu sehr, sich anzupassen, nicht aufzufallen, wird der Protagonistin hier gesagt. Die vermeintliche Lösung: eine kurze Hypnose, um zu sich selbst zu kommen – und zwar so richtig.

Ein Großteil der Komik, die der Film hieraus entfaltet, speist sich aus dem Aufeinanderprallen von Veras posthypnotischer, ungefilterter Impulsivität und dem pseudoauthentischen Marketingsprech. Da ist der Workshop als Grundsituation, auf dem Echtheit und Lockerheit als heilige Güter gepredigt werden, der aber zugleich aus gezwungenen, künstlichen Gruppeninteraktionen besteht. Da sind Vera und André, die an den entgegengesetzten Enden der „Authentizitäts“-Skala stehen. Er versucht stets wahnsinnig unbeholfen, zu gefallen, bloß nichts falsch zu machen, ist ganz Maske der Korrektheit. Sie, die als Folge der Hypnose jegliches Gespür für ungeschriebene Regeln und Höflichkeit verliert, wird immer ungehaltener, anarchischer, im radikalen Sinn „authentischer“. De Geer spielt hier durchaus mit Klischeebildern von hysterischer Frau und rationalisierendem Mann, lässt jedoch Freiräume in seiner Figurenzeichnung: Veras Verhalten lässt sich als subversiv verstehen, sprengt sie doch die pseudoliberale Etikette des Workshops, in ihrer Rücksichtslosigkeit steckt aber auch etwas grundlegend Antisoziales.

Gegenwärtiges Unbehagen, geleckte Sauberkeit

Unangenehm anzusehen ist diese Riege an – gelinde formuliert – hakelnden Interaktionen allemal, lustig ebenfalls. Als gesellschaftspolitische Satire auf die Arbeitswelt taugt der Film nur bedingt, die hemdsärmlige Start-up-Branche und ihre moralischen Reinwaschungsmechanismen als oberflächlich zu entlarven reicht nicht sonderlich weit. Anders als bei Maren Ades in den Mitteln ähnlich agierender Figur des Toni Erdmann gelingt es kaum, durch Vera als Zerrspiegel eine Struktur sichtbar zu machen – was auch daran liegen mag, dass De Geer seinen Nebenfiguren, dem gezeigten Milieu, kaum Empathie entgegenbringt und die inhärenten Widersprüche des Workshop-Settings von Anfang an offenliegen.

Dabei sind insbesondere die Szenen mit André, der in seinen Versuchen, politisch wie zwischenmenschlich hyperkorrekt aufzutreten, durchgehend scheitert, treffend geschrieben, der Film evoziert sowohl im Kontext der kontrollierten Arbeitswelt als auch in der Liebesbeziehung zwischen André und Vera ein durchaus „gegenwärtiges“ Unbehagen – anschlussfähig an Themen wie „Moderne Männlichkeit“ oder „Virtue Signalling“, über die man am Beispiel von Hypnose eine Seminararbeit verfassen könnte.

Die Bilder, aus denen sich Hypnose zusammensetzt, sind dabei von einer geleckten Sauberkeit, auch der Film sieht zu weiten Teilen aus wie eine Werbung. Das ist als Entscheidung zwar naheliegend, die Bildsprache wird selbst zum Korsett der Korrektheit, kalt und kontrollierend – es ändert aber nichts daran, dass sich die Flachheit so auch in den Film selbst einschleicht. So bleibt anstelle der Originalität bloß gleichförmige, unpersönliche Leere. Vielleicht kein schlechter Zugang zum Authentizitäts-Diskurs.

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