Howl - Das Geheul – Kritik
Aus Allen Ginsbergs leidenschaftlichem Schmerzens- und Lustschrei wurde ein lahm seufzendes Poesie-Pic mit einem hörenswerten Hauptdarsteller.

Wie hätten wohl David Cronenberg oder Todd Haynes Allen Ginsbergs Leben und Schaffen verfilmt? Cronenbergs Naked Lunch (1991) und Haynes’ I’m Not There (2007) waren freie, eigenwillige Porträts von Ginsbergs Beatnik-Gefährten William S. Burroughs und Bob Dylan, die sich um eine möglichst faktentreue Darstellung von Künstlerbiografie und Werkgeschichte nicht geschert haben. Der Protest-Poet Ginsberg und sein revolutionäres Gedicht „Howl“ hätten ähnlich unkonventionelle Regisseure verdient gehabt. Stattdessen haben zwei erfahrene, mehrfach preisgekrönte, in ihrer Umsetzung aber allzu brave Dokumentarfilmer eine Kreuzung aus Spielfilm, Dokumentation und psychedelischer Gedichtsanimation erschaffen, die sich allein mit der Besetzung der Hauptfigur vom reinen Nachstellen und simplen Abbilden löst und hiermit überraschend triumphiert.

Nicht nur das Casting des für Ginsberg eigentlich viel zu hübschen, ihn aber treffend interpretierenden und großartig rezitierenden Spider-Man-Kontrahenten James Franco, auch die Inszenierung von Rob Epstein (The Times of Harvey Milk, 1984) und Jeffrey Friedman legt nahe, dass ihr Film in erster Linie auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten ist, das mit dem nonkonformistischen Dichter, seinem einflussreichen Werk und der intellektuellen Gegenbewegung zur repressiven McCarthy-Ära kaum oder gar nicht vertraut ist. Anscheinend soll der angepeilten Zielgruppe die Bedeutung der Beat-Generation und die Wichtigkeit von künstlerischer Freiheit gelehrt werden – ohne diese Freiheit allerdings selbst zu demonstrieren.

Lieber hat man im pädagogisch steifen Fernsehdokudramastil Ausschnitte der legendären Gerichtsverhandlung von 1957 nachgespielt, in der unter anderem Mad Men Jon Hamm als Verteidiger die Beschlagnahmung des Gedichtes diskutiert. Nachdem Ginsberg „Howl“ im Oktober 1955 in der Six Gallery in San Francisco zum ersten Mal öffentlich vortrug, verlegte es der Dichter Lawrence Ferlinghetti 1956 in dem Band Howl and Other Poems, von dem ein Großteil der Exemplare von der Polizei beschlagnahmt wurde. Ferlinghetti musste sich vor allem aufgrund der Zeile who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists, and screamed with joy wegen Verbreitung obszöner Schriften vor Gericht verantworten, wird hier trotz seiner bedeutenden Rolle von den Regisseuren aber zum stummen Statisten degradiert.

In der Verhandlung fallen so einleuchtende Schlichtheiten wie „Poesie lässt sich nicht in Prosa übersetzen, darum ist es Poesie“. Leider halten sich die Macher von Howl – Das Geheul (Howl) selbst nicht an dieses Prinzip und übersetzen die von Franco aus dem Off gelesene Poesie in eine quietschbunt-kitschige Animation mit Gothic-Einschlägen, die aussieht wie eine trashige Disney-Version der Bilder des englischen Malers und Dichters William Blake, der Ginsberg wesentlich beeinflusste. Offenbar angelehnt an den gemeinsam herausgebrachten und von Blakes Kunst inspirierten Band Illuminated Poems (1996) hat Ginsbergs einstiger Illustrator Eric Drooker zu den Worten des Dichters einen trivial-plakativen und gänzlich überflüssigen Trickfilmkosmos kreiert, mit schwulem Himmelssex und albernen Sternenstauborgasmen.

Während dieser vielleicht im Rauschzustand vergnüglichen Passagen schließt man am besten die Augen und öffnet sie ausschließlich in den Szenen, in denen James Franco (Milk, 2008) auftritt. Der 32-jährige US-Amerikaner, der in einem Fernsehfilm als James Dean schon einmal eine Ikone der Ausgegrenzten verkörperte, trifft Ginsbergs enthusiastisches, mitreißendes Rezitieren vor Publikum in einer Kellerkneipe und seine typisch nasale Intonation ebenso wie seine kauzige Seite, die private Scheue und das schelmische Grinsen. Von den Schwarzweiß-Aufnahmen und den Jazz-Rhythmen der Jugend wird zu einem auf Originalmitschriften beruhenden, reflektierenden Interview des älteren Dichters mit Bart und in Farbe hin und her gesprungen. Eine zusätzliche Erzählebene streift Lebensabschnitte vor „Howl“ und Ginsbergs Homosexualität, seine Freundschaft zu Jack Kerouac (Todd Rotondi) und die Beziehung zum langjährigen Partner Peter Orlovsky (Aaron Tveit).

Weder sind die einzelnen Handlungsebenen von Epstein und Friedman einnehmend und einfallsreich inszeniert, noch ergeben sie eine Einheit. Das seichte und trockene Dokudrama war ursprünglich als reine Dokumentation geplant und besitzt jede Menge Quellennachweise, aber zu wenig Dramatik. Die bieten alleine Ginsbergs Text und Francos Vortrag. Also besser auf das Hörbuch zum Film warten, statt ins Kino zu gehen.
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Kommentare
Carolin Genz
Auch wenn die Dramatik des Filmes vielleicht zu wünschen übrig lässt, sollte dem Film jedoch eines zugesprochen werden (und ihn in diesem Moment auch sehenswert machen):
"The Howl" wird im Rahmen dieses Filmes ein verstehender und emotionaler Zugang verliehen, der allein durch das Hören oder Lesen auf diese Art und Weise nicht möglich ist.
Durch die "Erzählung des Gedichtes" im Form eines "Comics" wird eine Möglichkeit geschaffen, einen tieferen Zugang zu dem Werk Ginsbergs zu erlangen. Das schafft ein Hörbuch allein nicht.
Darüber hinaus macht der Film sehr deutlich, welche gesellschaftliche Bedeutung Ginsbergs Werk vor rund 50 Jahren hatte und wie mit Literatur und Poesie selbst durch die Beatpoeten umgegangen wurde. All das sind wesentliche Elemente, um das Gedicht selbst zu verstehen.
Auch wenn der Film streitbar sein mag, ist er dennoch sehenswert.
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