Horns – Kritik
Alexandre Aja zeichnet ein erbärmliches Menschenbild in schickem Look.

Ein Film, der mit der Darstellung eines jungen, zweisamen Glücks, mit fröhlichem Kichern und hingehauchten Liebesgeständnissen beginnt, muss im weiteren Verlauf wohl von Verlust und Schmerz erzählen. Und so schlägt das anfangs gezeigte und verbalisierte Idyll in Horns auch rasch ins Gegenteil um: Lag Ig (Daniel Radcliffe) eben noch mit seiner Freundin Merrin (Juno Temple) auf einer Waldwiese, ist er nur einen kunstvollen Kameraschwenk in die Tiefe des Erdbodens später schon ein menschliches Wrack in einer unaufgeräumten Wohnung. Die Welt des Protagonisten steht kopf, zunächst sogar wortwörtlich. Eine Ansammlung leer getrunkener Glasflaschen lässt vermuten, dass Ig seine Sorgen im Alkohol zu ertränken versucht; und eine Meute von Wutbürgern und aufdringlichen Reportern vor Igs Haustür deutet darauf hin, dass hier noch weit Gravierenderes als die gewöhnliche Trennung eines einst glücklichen Paares stattgefunden hat.
Gesucht und gefunden: die Wahrheit

Merrin wurde getötet – im Wald mit einem Stein erschlagen. Ig ist der Hauptverdächtige und soll nach Ansicht der Bewohner seines Pacific-Northwest-Heimatstädtchens in der Hölle schmoren. Die Ausgangslage der Geschichte entspricht also der eines whodunit: Der Held muss schnellstmöglich die Wer-war’s-Frage klären, um seine Unschuld zu beweisen – und irgendwie seinen Frieden mit der traurigen Wirklichkeit zu machen. Üblicherweise wird die Wahrheitsfindung in solchen murder mystery stories dadurch erschwert, dass sämtliche Figuren lügen. Im Drehbuch von Keith Bunin, basierend auf dem Roman Teufelszeug von Joe Hill alias Joseph Hillstrom King (einem Sohn von Stephen King), tritt jedoch der entgegengesetzte Fall ein: Hier wird fast durchweg die Wahrheit gesagt – ganz ohne Scham und Rücksicht. Der Grund dafür liegt im Okkulten.
Viele lüsterne Witzfiguren

Denn dem allseits verteufelten Ig wachsen über Nacht Teufelshörner, nachdem er sich in seiner Trauer und Verzweiflung endgültig von Gott abgewandt hat. Die titelgebenden Manifestationen seines Monsterstatus verursachen überraschenderweise keine Panik – sie bewirken vielmehr, dass alle Personen in Igs Gegenwart plötzlich ihre sündigsten Seiten offenbaren. Glaubt man dem Horns-Drehbuch beziehungsweise dem zugrunde liegenden Roman, ist der Mensch, sobald er sich von aller Zurückhaltung befreit fühlt, zumeist eine lüstern-ordinäre, ziemlich abscheuliche Witzfigur. In der szenischen Umsetzung lässt Regisseur Alexandre Aja seine Nebendarsteller heftig chargieren: Mit einer zur Schau getragenen Hässlichkeit frisst, flucht, kopuliert das Personal in Igs Umfeld und plaudert munter sämtliche Begierden und Geheimnisse aus.
Der Film droht dabei zur Nummernrevue zu werden: Eine Mittelschichtshausfrau und -mutter bekundet mit unfeinen Worten den Hass auf ihr Familienleben sowie das Verlangen nach ihrem jungen Golflehrer; ein Arzt und seine Helferin fallen im Dienst übereinander her, statt sich um ihren Patienten zu kümmern; zwei insgeheim schwule Cops mit Macho-Attitüde gehen sich im Polizeiwagen an die Uniformen; eine Gruppe von Lokaljournalisten liefert sich für ein Exklusivinterview mit Ig eine wüste Schlägerei – und so weiter. All diese Miniaturen der Triebhaftigkeit sind zu unoriginell, um als Satire zu überzeugen.
In your face

Auf der Bildebene bringt diese demonstrativ unsubtile Vorgehensweise immerhin ein paar eindrückliche Momente hervor. Dass das Logo von „Eve’s Diner“, in dem sich ein fataler Wendepunkt in der Beziehung zwischen Ig und Merrin ereignet, ein großer Apfel ist oder dass die Nummernschilder diverser Fahrzeuge auf passende Bibelstellen verweisen, wirkt eher bemüht – doch wenn Ig etwa aus der Tür einer qualmenden Bar wie aus einem Höllentor tritt, hat Ajas In-your-face-Methode durchaus einen gewissen visuellen Reiz. Auch wenn sich der Protagonist mit einer Armee giftiger Schlangen umgibt oder seinen drogensüchtigen Bruder Terry (Joe Anderson) in einer albtraumartigen Sequenz mit dessen inneren Dämonen konfrontiert, zeigen sich die gestalterischen Fähigkeiten des französischen Filmemachers, der mit dem drastischen Horrorthriller High Tension (Haute Tension, 2003) internationale Bekanntheit erlangte und vor Horns die exzessive Splatter-Komödie Piranha 3D (2010) schuf.
Eine ramponierte Gewissheit

Am wirkmächtigsten ist der Film allerdings in den (wenigen) Situationen, in denen er die Konsequenzen einer schonungslosen Offenheit des Personenkreises um Ig ernst nimmt. Sie wünschte, er würde einfach verschwinden, sagt Lydia Perrish (Kathleen Quinlan) zu ihrem Sohn Ig – mit einem Tonfall, mit dem eine Mutter ihrem Kind sonst die bedingungslose Unterstützung zusichert. Das hat, im Gegensatz zu den vielen klischierten Sex- und Karriereverrückten dieser Geschichte, etwas Ungeheuerliches, da es eine vermeintliche Selbstverständlichkeit – die Liebe der Eltern – antastet und ramponiert.
Die Gefühle, die Radcliffe in den Szenen mit seiner Mutter und seinem Vater (James Remar) zum Ausdruck bringt, lassen sich nachvollziehen. Die große Liebe zwischen Ig und Merrin, deren Entstehung in Rückblenden bebildert wird, bleibt dagegen eher eine Behauptung des Drehbuchs – nicht zuletzt weil Merrin weniger eine Figur als vielmehr ein ätherisches Wesen ist. Im blutgetränkten Finale, in dem sich die Frage nach den Umständen von Merrins Tod klärt, kennt Horns abermals nur den Weg des Unsubtilen: Die ohnehin schon hochnoble Merrin erweist sich darin post mortem als noch nobler – und ihr Mörder als ein weiterer schändlicher Triebgesteuerter, der keinerlei Skrupel kennt.
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