Holy Meat – Kritik

Auf dem schmalen Grat zwischen stilisierter Satire und schablonenhafter Komödie nimmt Alison Kuhns Debütfilm Holy Meat die katholische Kirche, das ländliche Dorfleben und die zeitgenössische Kunst ins Visier.

Am Anfang von Holy Meat ist zunächst eine klassisch anmutende Abendmalszene auf einer kleinen Bühne zu sehen. Doch dann setzt ein Technobeat ein und der Bühnen-Jesus sowie seine Jünger*innen schmeißen Tisch und Stühle um, reißen sich die Gewänder vom Leib und beginnen einen Rave in Fetisch-Outfits. Als heiliger Geist schwebt nun eine junge Frau mit Down-Syndrom, behängt mit Wurstketten, von der Bühnendecke herab und spricht mit verzerrter Stimme zu den Tanzenden, die sie sodann mit den Fleischerzeugnissen bewirft. Es folgen ekstatisches Suhlen in Blut, rhythmische Selbstauspeitschung und der Auftritt Gottes als Schwein in einem UFO. Der teilt einem greisen Bischof mit, dass der Besitz eines männlichen Gliedes ausreiche, um ihm zu dienen – was der Bischof mithilfe eines an seinem Stab befestigten Dildos sogleich in die Tat umsetzt. Nach einigen Minuten wendet sich die Kamera von der Bühne ab und fokussiert einen Priester im Publikum, der mit fassungslos-beschämter Mine dem Treiben auf der Bühne zuschaut.

Ländliches Triptychon

Der Film blendet hier vor auf eine dörfliche Theateraufführung, deren Entstehung dann den Kern seiner Handlung bildet. Rund um diese Aufführung wird die Geschichte von drei Menschen erzählt: Da ist etwa der dänische katholische Pater Oskar Iversen (Jens Albinus), der seinen Vorgesetzten bittet, in die schwäbische Gemeinde Winteringen versetzt zu werden. Diese steht kurz davor, aufgelöst zu werden, und Iversen möchte den zuständigen, theaterbegeisterten Bischof durch eine von Gemeindemitgliedern gestaltete, traditionelle Inszenierung der Passion Christi vom Erhalt der Gemeinde überzeugen. Dafür, dass das Resultat dann ohne Wissen des Paters ganz anders als geplant ausfällt, sorgt vor allem Mia (Homa Faghiri). Sie kehrt nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter aus der Großstadt nach Winteringen zurück, wo sie sich um die hinterlassene Metzgerei und um ihre Schwester mit Trisomie 21 (Amelie Gerdes) kümmern muss. Sie ist darüber empört, dass ihre Mutter kurz vor ihrem Tod den Großteil ihres Vermögens an die Kirchengemeinde vererbt hat und möchte die Vollstreckung des Erbes verhindern. Und schließlich kommt noch Roberto (Pit Bukowski) ins Spiel: Ein junger Theaterregisseur aus Berlin, der aufgrund eines Presseskandals seine Stelle verloren hat, nun dringend auf der Suche nach einem neuen Engagement ist und durch die Inszenierung des Passionsstücks seinen Ruf retten möchte.

Sancta light

Erfreulicherweise ist sich Holy Meat darüber bewusst, dass die grotesk-orgiastische Überzeichnung kirchlicher Rituale und katholischen Körperfetischs, die er im Rahmen des Theaterstücks inszeniert, mittlerweile selbst Klischee geworden sind. Der Vergleich zu Florentina Holzingers Stück Sancta liegt auf der Hand, auch wenn hier alles noch verhältnismäßig zahm zugeht. Regisseurin Alison Kuhn findet in ihrem Film subtilere Wege der Kirchenkritik und setzt das Theaterstück als solches nicht selbst als provokatives Mittel ein. Stattdessen beobachtet sie sein Entstehen als Knotenpunkt der unterschiedlichen Absichten der drei Hauptfiguren und der mit diesen verknüpften Institutionen Kirche, Familie und Kunstbetrieb. Auch wenn die drei Handlungsstränge nicht immer vollständig ineinandergreifen, funktioniert Kuhns Vorgehen insgesamt sehr gut, weil es die gegenseitige Instrumentalisierung dieser Institutionen durch ihre verschiedenen Akteure sowie ihre jeweiligen Mechanismen von In- und Exklusion in den Blick bekommt.

Stilistische Prägnanz

In seiner Ausgestaltung zeigt Holy Meat dabei einen großen Willen zu stilistischer Prägnanz: Zum einen durch die strenge Gliederung in drei, von Prolog und Epilog gerahmte Kapitel, die jeweils mit einer Slow-Mo-Nahaufnahme der im Fokus stehenden Person eingeleitet werden und diese durch Texteinblendungen und Stimmen aus dem Off direkt mit ihrem „Wirkungskreis“ verknüpfen: Oskar – Die Kirche, Mia – Die Familie, Roberto – Die Kunst. Zum anderen besticht der Film durch unerwartete gothic-artige Licht- und Rauminszenierungen, die besonders die Dorfkirche und die Wohnräume des Paters betreffen. Kuhn arbeitet außerdem mit stark suggestiver Musik- und Tongestaltung und setzt etwa häufig kirchliche Choräle und Orchestermusik oder das Geräusch surrender Fliegen ein, um vielen Szenen eine bedrohliche, mystische Note zu verpassen. Die schnelle Montage von verschiedenen Ansichten des jeweiligen Handlungsorts einer Szene, unterlegt mit dem Geräusch gewetzter Messer, machen den Film selbst zum zerschnittenen Körper und und spiegeln damit das allgegenwärtige Fleisch und seine Verarbeitung.

Auf schmalem Grat

Nicht zuletzt durch diese Gestaltungsmittel, gepaart mit einem guten Gespür für das Zusammenspiel von Tragik und Komik, erscheint Holy Meat in der ersten Filmhälfte als stilbewusste Gesellschafts- und Kunstsatire, die streckenweise an Ruben Östlunds The Square (2017) erinnert. Unter den Figuren sticht insbesondere der von Jens Albinus verkörperte Pater Iversen hervor, dessen Einsamkeit und Gebrochenheit durch seine von Nervosität durchdrungene Gestik häufig ins Unangenehm-Fremdschämige umschlägt – etwa, wenn er bei seinem Empfang in der Gemeinde eine unbeholfene Dankesrede an lediglich fünf Zuhörende richtet. Ein heimlicher Star des Films wiederum ist Amelie Gerdes, die ihre Rolle jenseits jeglicher Stereotype einfühlsam in Szene setzt.

Diese Stärken kann Holy Meat aber leider nicht in Gänze durchhalten. Besonders in der zweiten Hälfte kippt der Film mitunter in die Typen- und Schablonenhaftigkeit durchschnittlicher 20:15-Uhr-Fernsehkomödien. Insbesondere die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Mia und Roberto (inklusive langem schmachtendem Blickkontakt, umjubeltem Kuss in der Dorfdisko und Sex in der mondscheindurchfluteten Kirche) oder die Darstellung des Berliner Künstlerlebens von Roberto erscheinen recht generisch.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alison Kuhn insgesamt ein vielversprechender Debütfilm gelungen ist, der, zwar changierend zwischen Konstruktion und Dekonstruktion von Klischees, dennoch unterhaltsam von Kunst und Kirche erzählt – und davon, wie erstere möglicherweise dort Gemeinschaft und Miteinander stiften kann, wo letztere dies nicht mehr schafft.

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