Hereditary - Das Vermächtnis – Kritik
Der US-Regisseur Ari Aster wagt sich an eine Neuinterpretation des Horrorkinos als bürgerliches Familiendrama. Sein viel beachteter Debütfilm Hereditary – Das Vermächtnis setzt dabei weniger auf eine möglichst überraschende Auflösung als auf ein sich allmählich ausbreitendes Unbehagen.

Die Künstlerin Annie Graham (Toni Collette) hat sich auf wirklichkeitsnahe Miniaturmodelle spezialisiert. Gerade arbeitet sie an der Puppenversion ihres eigenen Hauses. Langsam sehen wir, wie die Kamera in das Zimmer ihres Sohnes Peter (Alex Wolff) fährt und sich die Nachbildung unmerklich in den tatsächlichen Lebensraum verwandelt. Dass die Aufmerksamkeit im Horrorfilm Hereditary – Das Vermächtnis immer wieder auf dieses Miniaturhaus und seine Austauschbarkeit mit dem realen Eigenheim gelenkt wird, wirft uns zunächst auf die Protagonistin zurück: Bei der Arbeit kann Annie ihre Familie – zu der außer Peter noch der stoisch introvertierte Ehemann Steve (Gabriel Byrne) und die in völlig anderen Sphären schwebende Tochter Charlie (Milly Shapiro) gehören – in Form von Plastikfiguren aus der Distanz betrachten. Die Kontrolle, die sie im Alltag längst verloren hat, kann sie hier zumindest noch im Kleinen bewahren. Was bei den Grahams alles schiefläuft, ist zu diesem frühen Zeitpunkt zwar lediglich angedeutet, aber schon die Wohnsituation zeigt, wie entfremdet die Familienmitglieder in der realen Welt voneinander sind: jeder in sein eigenes schattiges Eckchen des viel zu großen Landhauses gedrängt.
Allmählich ausbreitendes Unbehagen

Das Puppenhaus steht jedoch noch für einen anderen Blick. Allerdings lässt sich dieser keiner konkreten Position zuordnen. Immer wieder zeigt die Kamera die realen Grahams so, als würde sie gerade jemand durch die Büsche beobachten. Daraus entwickelt sich nicht nur das mulmige Gefühl, dass die Familie ständig beobachtet wird, sondern auch eine beunruhigende Ahnung, dass sich hier irgendwo jemand verbirgt, der dazu in der Lage ist, die Figuren in dem Haus nach Belieben zu verschieben. Und tatsächlich widerfahren der Familie nach einem grausamen Unfall immer seltsamere Dinge, die bei Peter schließlich zu Symptomen einer Besessenheit führen, durch die er auch teilweise die Macht über seinen Köper verliert. Doch bis die äußere Bedrohung einmal Kontur angenommen hat, muss man sich noch fast bis zum Ende des Films gedulden.

Dem US-amerikanischen Regisseur Ari Aster ist mit seinem Spielfilmdebüt ein Coup gelungen. Dass Hereditary eine faszinierend geheimnisvolle Aura besitzt, hat damit zu tun, dass er auf den ersten Blick nach keinem der bewährten Genremuster (Found Footage, Home Invasion, Slasher etc.) funktioniert, dass der Zuschauer sich hier also anscheinend auf etwas Unvorhersehbares einlässt. Dabei pflanzt der Film schon bei der anfänglichen Beerdigung der Großmutter ein paar Hinweise, wo seine Reise hingehen soll und auch welche filmhistorischen Vorbilder er dabei im Auge hat (die Geschichte hat etwas mit Okkultismus zu tun, so viel kann man verraten). Aster setzt ohnehin nicht zu penetrant auf Geheimnistuerei oder schockartige Wendungen und vermeidet dadurch die Ernüchterung, die möglichst überraschend gemeinte Auflösungen oft mit sich bringen. Die Neugier nach der Wahrheit wird so nicht zum eigentlichen Spektakel, sondern durch das gemächliche Erzähltempo und ein sich allmählich ausbreitendes, diffuses Unbehagen in den Hintergrund gedrängt.
Beängstigendes menschliches Unvermögen

Zumindest wenn man Hereditary als reinen Horrorfilm betrachtet, ist es überraschend, dass er über die Hälfte seiner Laufzeit für die Exposition nutzt. Doch gerade dadurch lässt sich vermutlich auch sein weit über das herkömmliche Genrepublikum hinausgehender Erfolg erklären. Zum Teil mag das auch mit seinem arty Indie-Look zu tun haben (die geometrischen Kamerafahrten etwa oder der Schluss, der mit seiner kindlichen Do-it-yourself-Ästhetik aussieht, als hätte ihn Spike Jonze inszeniert). Wesentlicher aber dürfte sein, dass er über weite Strecken wie ein bürgerliches Familiendrama funktioniert. Statt sich gleich ins Grauen zu stürzen, legt Aster größeren Wert auf Figurenpsychologie und ausgereifte zwischenmenschliche Konflikte. Nach und nach rührt er ein toxisches Gebräu aus Verlust, Schmerz, Schuld sowie einem tief sitzenden gegenseitigem Misstrauen an, das seinen Film so packend macht. Asters Rechnung geht auf, weil sein Drama über eine dysfunktionale Familie kein bloßes Ablenkungsmanöver ist, sondern erst den Nährboden für den sich später ausbreitenden Horror bildet.

Das Grauen speist sich aus einem beängstigendem menschlichen Unvermögen: Während die Familie eigentlich ein Hort für Schutz und Geborgenheit sein sollte, scheitern die Grahams bereits an der Liebe, die dafür Voraussetzung ist. Wenn Steve für seine ständig gestresste Frau kaum noch etwas empfindet, wenn Annie ihren Sohn nie wirklich angenommen hat und Peter in seiner missgebildeten Schwester auch irgendwie einen Freak sieht, dann reißt das klaffende Wunden in die Schutzhülle der Kernfamilie und macht sie von außen umso leichter verwundbar. Und diese langsam ins Verderben führende Versehrtheit ist es, die Hereditary wie ein lauerndes Raubtier umkreist, das sich genüsslich Zeit für seinen tödlichen Angriff lässt.
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