Frankenstein – Kritik

Neu auf Netflix: Guillermo del Toro verpasst dem bekannten Mythos in seiner Frankenstein-Verfilmung nur sanfte ikonographische Updates. Bestechend sind vor allem die inszenatorische Liebe zum Detail und die schlaksige Eleganz von Jacob Elordis künstlich erschaffener Kreatur.

Auf ein brauchbares Puzzleteil kommen hundert unbrauchbare, mindestens. Säckeweise schleppt Victor Frankenstein (Oscar Isaac) Teile jener Leichen in den Keller, die er vorher für das menschenförmige Mosaik, an dem er bastelt, eingesammelt hat – hauptsächlich auf den eisigen Schlachtfeldern des Mitte des 19. Jahrhunderts tobenden Krimkrieges, da die vorherige Leichenquelle, die Hinrichtungen lokaler Verwahrloster, sich als für seine Zwecke unbrauchbar erwiesen hat. Denn die neueste Kinoinkarnation des dem Schöpfergott nacheifernden Wissenschaftlers – von einem teils schon ziemlich jenseitig chargierenden Oscar Isaac zunächst als ein verschrobener Dandy angelegt, der später mehr und mehr zum Grottenolm degeneriert – will nicht einfach irgendwelches Leben schaffen; sondern eines, das höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt.

Die von Regisseur Guillermo del Toro mit viel Liebe zum garstigen Detail inszenierten Szenen, in denen Frankensteins Puzzlearbeit dank Qualitäts-Biomasse endlich in Schwung kommt, in denen er die Knochensäge führt, Sehnen an Muskeln befestigt oder Gelenkmechanismen austestet , gehören zumindest in gestalterischer Hinsicht zu den Höhepunkten des Films. Die anschließende Probe aufs Exempel, die Verlebendigung der Kreatur per Elektroschock, wird zur umgekehrten Kreuzigung: die in einen eisernen Mantel gehüllte Kreatur wird diesmal nicht waagrecht aufgebahrt, wie in James Whales stilbildendem Frankenstein-Film aus dem Jahr 1931 oder auch in Kenneth Branaghs Mary Shelley's Frankenstein (einem Film, der die Geschichte 1994 bereits in jenes epische Blockbuster-Register überführt hatte, auf das auch Del Toro zielt); vielmehr wird sie im entscheidenden Moment senkrecht und mit ausgebreiteten Armen im Zentrum des finster im Nirgendwo aufragenden Turms installiert, in dem Frankenstein seinen Traum vom künstlichen Leben verfolgt.

Das ferne Echo eines existenziellen Schocks

Sanfte ikonographische Updates dieser Art verpasst Del Toro dem Kinomythos immer wieder. Das nächste folgt gleich am Morgen nach dem vermeintlich gescheiterten Belebungsversuch: Frankenstein wacht auf – und blickt auf die bereits voll bewegungsfähige Kreatur, die sich ihm neugierig und zutraulich, wie ein Haustier, nähert. Schon hier ist der zentrale Dreh vorweggenommen, um den herum Del Toros Frankenstein strukturiert ist: die Emanzipation der Kreatur von ihrem Schöpfer.

Allzu originell ist dieser Dreh, wie bereits hier und da angemerkt wurde, nicht. Schon bei Whale gehörten die emotional intensivsten Szenen nicht dem Wissenschaftler, sondern dessen tragisch gelungenem Experiment (wie das Hollywood-Horrorkino der 1930er und 1940er sich überhaupt ausgezeichnet darauf verstand, Mitgefühl für seine Monster und Freaks zu wecken). Del Toro geht einen Schritt weiter und ebnet die Hierarchie zwischen den beiden Hauptfiguren komplett ein: sein Film ist zweigeteilt, die erste Hälfte wird aus Frankensteins Perspektive erzählt, die zweite aus der der Kreatur, die sogar einen Voice-Over erhält.

Klug vielleicht, dass Del Toro sich gar nicht erst ernsthaft an einer Modernisierung der Geschichte versucht. Der Frankenstein-Stoff ist einerseits nicht tot zu kriegen, andererseits aber eben auch hoffnungslos dem 19. Jahrhundert verhaftet. Das Kino kann nichts anderes evozieren als das ferne, vielfach vermittelte Echo jenes existenziellen Schocks, den die aufkommende Moderne zu Mary Shelleys Zeiten für eine aufmerksame Beobachterin bedeutet haben mag. Atmosphärisch kehrt die neue Fassung sogar wieder hinter Branaghs steampunkig-muskulöse Adaption zurück. Del Toro kultiviert ein weiteres Mal seine übliche, zeitlos hyperrealistische, oft staunend-machende, gelegentlich aber auch in steriler Schönheit sterbende Dioramenästhetik – nur eine arg digital anmutende Explosion ziemlich genau in der Filmmitte schaut durch und durch nach 2025 aus.

Erziehung des Monster-Herzens

Den digitalen Flammen entsteigt dann eine Kreatur mit analogen Gefühlen. Richtig in Schwung kommt der Film, der in seiner ersten Stunde etwas langatmig Frankensteins Kindheitstraumata und seine unerwiderte Liebe zu Elizabeth Harlander (Mia Goth), der Verlobten seines Langweilerbruders William (Felix Kammerer), runtererzählt, erst in seiner zweiten Hälfte. Phänomenal super ist etwa der Waldspaziergang, den die von It-Boy Jacob Elordi mit linkischer, schlaksiger Eleganz verkörperte Kreatur unternimmt, nachdem sie von ihrem “Vater” – hauptsächlich aus Eifersucht – verstoßen beziehungsweise ums Haar ermordet wurde. Alles leuchtet und perlt wie am ersten Schöpfungstag, die staunende Kreatur freundet sich mit einem Hirsch an, gräbt aber auch gleich ein menschliches Skelett aus, samt Totenschädel, in dem sie sich wiederzuerkennen scheint.

Toll auch die anschließende Erziehung des „Monster“-Herzens: Die Kreatur quartiert sich bei einer Bauernfamilie auf dem Dachboden ein, kopiert im Verborgenen die sozialen Gesten einer Welt, deren Teil sie nie wird sein können, und freundet sich schließlich mit einem blinden, gutmütigen Greis an. Den vermeintlich hoffnungslos abgedroschenen Kitsch solcher Szenen umarmt Del Toro genauso vorbehaltlos wie längst zu Klischees herabgesunkene Dialogzeilen Marke „Du bist das wirkliche Monster!“ (Elizabeth zu Frankenstein). Del Toro liebt offensichtlich jede einzelne Facette des Stoffes; und so aufgeplustert sein Herzensprojekt sich gelegentlich anfühlt – gegen den fast kindlichen Enthusiasmus, der aus jeder Szene dieses neuen Frankenstein spricht, ist auf die Dauer schlicht kein Kraut gewachsen.

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