France – Kritik
Bruno Dumont erfindet sich schon wieder neu – mit einer schelmischen Mediensatire, die hyperrealistisch und abgehoben zugleich ist. Im Mittelpunkt von France stehen die Tränen im Gesicht von Léa Seydoux.

Die Tränen der weißen Frau, sie sind ein wiederkehrendes Motiv in der antirassistischen Auseinandersetzung mit den unsichtbaren Privilegien der Mehrheitsgesellschaft oder jener, die sich dafür halten. Léa Seydoux, selbst Enkelin von Pathé-Chef Jérôme Seydoux (der ihr, nach eigenen Aussagen, bei ihrer Karriere nie geholfen hat), ist kongenial besetzt als Celebrity großbürgerlicher Herkunft. Sie kennt die Blicke der Demut, den glasigen Blick einer Frau, die zu viel angeschaut wird, das künstliche Lächeln, das Wärme behauptet. Nichts ist glaubwürdiger bei ihr als die Patzigkeit einer ertappten Diva, die keine Diva sein will.
Falsche Fährten

Seydoux spielt die zynische Fernsehmoderatorin France de Moeurs (im Deutschen wäre das in etwa: Frankreich von Sitten), berühmt und beliebt mit einer Sendung („France de Moeurs – Ein Blick auf die Welt“), in der sie sich selbst in Szene setzt, wie sie in Konfliktgebiete reist, um danach den Leuten zu zeigen, was sie sehen wollen: Arabische Milizen etwa, die ihre Waffen in die Luft strecken, oder schwarze Migranten, live begleitet auf ihrem kleinen Motorboot. Doch etwas passiert mit ihr, sie wird aus der Bahn gerissen, und fortan kämpft sie damit, dass alles sie affiziert und zum Heulen bringt, mitten in einer Livesendung und im Alltag auf der Parkbank. Dumont hält drauf, insistiert, lässt die Musik dramatisch anschwellen, als ob er es ernst meinte.
Dieses Als-ob ist das Mittel der Wahl, Dumont setzt auf falsche Fährten. Politisch festnageln lässt er sich nicht, und sein Vergnügen am Verdrehten lässt sich in viele Richtungen deuten. In France ist das richtig merkwürdig, weil das Satirische nicht pointiert ist, sondern überdeutlich, in die Länge gestreckt. Der Regisseur deutet an, Genugtuung durch witzige Situationen, absurde Momente und satirische Überzeichnungen zu bieten, versagt diese Befriedigung aber, indem er alles überdehnt, ausdehnt, wiederholt, bis das Lachen im Hals stecken bleibt. Denn auch das Lachen über den Zynismus der Medien ist Teil einer zynischen Weltsicht.
Das Groteske ist das Realistische

Hinter mir im Kino zwei Französinnen beim Beginn des Abspanns: „Es ist wirklich widerwärtig, was er ihr hier antut.“ Ich will widersprechen: Léa Seydoux hat sich diese Rolle ausgesucht, und sie wird nicht vorgeführt, sondern sie führt vor – unter Einsatz ihrer öffentlichen Persona. France ist ein Film der Brecht’schen V-Effekte. Nicht nur weil Seydoux in die Kamera schaut, sondern weil die Inszenierung sich ständig als solche entlarvt. Klar kann einem das behäbig vorkommen, wenn der Film dem Niedergang seiner Protagonistin distanziert und ironisch in aller Langsamkeit folgt, sich dadurch der Suspense beraubt. Aber kann eine Mediensatire eine Mediensatire sein, wenn sie den Gesetzen der medialen Erzählung folgt?
Zu den falschen Fährten von France gehört, dass Dumont das Groteske von Filmen wie Die feine Gesellschaft und KindKind formal hinter sich lässt, um eine Figur im Epizentrum der (Medien-)Macht zu zeichnen. Wir sehen Situationen, Orte, Menschen, die ziemlich dicht dran sind, an dem, was wir aus den Medien kennen. Mal sind sie überzeichnet, doch oftmals nicht mal das. Männer liefern sich Hahnenkämpfe im Fernsehen, und France beendet das Ganze entspannt mit einem süffisanten Kommentar: „Ich denke, unsere Zuschauer*innen werden sich ihr Urteil bilden können.“ Ihre Produzentin-Assistentin findet das genial, überhaupt findet sie alles genial, was France tut. Das Groteske ist in diesem Milieu das Realistische, zeigt Dumont, und das ist nun mal keine Pointe. Er vertraut auf hyperrealistische Bilder, die sich durch ihre Nacktheit kommunizieren, erklären, entlarven.
Farce über die Überlegenheit

Gleichzeitig ist France natürlich auch ein Spielfilm, in dem alles erfunden, erbaut und mit symbolischem Charakter versehen ist. Fantastisch ist etwa die Wohnung, in der France mit Ehemann und Sohn wohnt: eine Art elegante Gruft mit fünf Meter hohen Decken, in schwarz gehaltenen Wänden und Flammen auf dem Teppich. Nein, subtil ist hier nichts. Das macht den Reiz und die Komplexität des Films aus: Einerseits offenbart er sehr eindeutige Assoziationsräume und Motive, andererseits entzieht er die einfache Urteilsmöglichkeit, indem er dramaturgisch und rhythmisch ernst nimmt, was nicht ernst zu nehmen ist.
Die Tränen von Léa Seydoux sind für Dumont nicht einfach nur Krokodilstränen und ihr Handeln nicht nur das korrupte Tun einer Elite. Nein, alles hängt mit allem zusammen. Die Tränen sind auch funktional, nutzbar, genießbar, in gewissem Sinn bankable. Das Systemische, von dem diese Satire zeugt, umfasst die Zuschauerschaften, die als Fans ins Bild treten, ebenso wie die, die im Kino vor dem Film sitzen. Weil er sich dabei angreifbar macht, gerät Dumont womöglich selbst unter die Räder. Das wäre nicht das Schlechteste für eine Farce, die davon erzählt, dass niemand überlegen ist.
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