First Love – Kritik

Neu auf DVD: Frau auf der Flucht sucht Yakuza mit Ehre im Leib. Je näher sie ihrem Ziel kommt, desto mehr gehen Realismus und Ernsthaftigkeit über Bord. Takashi Miikes Thriller First Love ist eine absurde Achterbahnfahrt.

Eine Frau sitzt in einer Bar und ätzt über die Ehrlosigkeit der Yakuza. Sie selbst ist Chinesin und Teil der Triaden, die in First Love (Hatsukoi) versuchen, ihr Gebiet in Japan auszuweiten. Ken Takakura sei der einzige Yakuza, der etwas taugt, schimpft sie. Doch der gehörte tatsächlich nie den so Angefeindeten an. Er war lediglich das Gesicht des Yakuza-Film-Booms in den 1960er Jahren. Voll aufrechter Aufopferung spielte er Figuren, die sich in einem Widerspruch aus „giri“ (Pflicht) und „ninjō“ (grob: Menschlichkeit) befanden. Bis dahin klassischerweise eine Trope, die hauptsächlich von Samurai besetzt war. Seine Verbrecher waren Edelmänner, die gegen die wenigen tugendlosen, das Allgemeinwohl bedrohenden Gangster kämpften. Die Yakuza wurden dabei so dargestellt, wie sie sich gerne sehen wollten: als durch Ehre organisierter Bund. Und Ken Takakura wurde wegen seiner steinernen Gesichtszüge zum Clint Eastwood Japans erklärt, dabei wirkte er in seiner Großmütigkeit durchaus eher wie ein japanischer Winnetou.

Großmäuler und Papiertiger

In den 1970er Jahren folgten die Filme von Kinju Fukasaku, die diese Verklärung genüsslich zersetzten. In Filmen wie der Battles Without Honor and Humanity-Reihe waren die Yakuza von Gier, Niedertracht, Machismo und Gewaltgeilheit getrieben. Und diese Dekonstruktion der ritterlichen Selbstzuschreibung der Yakuza bestimmt das Genre bis heute. Mal in Form von Gewaltstudien wie Takeshi Kitanos Outrage-Reihe, mal in Form von Komödien wie Jûzô Itamis Minbo – Die Kunst der Erpressung (Minbô no onna, 1992), der die Yakuza als Großmäuler und Papiertiger darstellte. Was uns wieder zu der Frau in der Bar bringt. Denn alles, was sie ihren Feinden vorwirft, könnte diesen Filmen entnommen sein – und entspricht auch dem Bild, das First Love von ihnen zeichnet.

Ein Krieg zwischen einem Yakuza-Clan und einem Triaden-Bund steht an. Auf beiden Seiten wurde gerade ein Oberhaupt aus dem Gefängnis entlassen, und beide haben eine Rechnung miteinander offen. Jeden Strohhalm greifen sie, um die Gewalt eskalieren zu lassen. Nur Yakuza Kase (Shôta Sometani) hat überhaupt keine Lust zu sterben. Mit einem Cop (Nao Ohmori) plant er eine Drogenlieferung aus den eigenen Reihen zu rauben, den Verdacht auf andere zu lenken und dann wegen einer Lappalie den Krieg im Gefängnis auszusitzen. Während Kases Heist unerbittlich Murphy’s Law folgt und First Love zur absurden Achterbahnfahrt und blutrünstigen Komödie macht, scheint der Film mit seinen Intrigen, korrupten Polizisten, Feiglingen, Sadisten und Wahnsinnigen, mit über den Asphalt gezogenen Schwertern, dem bellenden Schimpfen der Yakuza und grimmigen Schweigen parallel sein Genre durchspielen zu wollen – und es in der Zeit zurückzukatapultieren.

Blutrünstige Version von Before Sunrise

Wie ein Flickenteppich wirken die vielen Short Cuts der verschiedenen Figuren zuerst, bevor sie ineinandergreifen und alles an einem Ort enden lassen. Zwei sich kreuzende Wege betreffen die Hauptfiguren. In Kases Plan spielt Monica (Sakurako Konishi) eine zentrale Rolle. Ihr will er den Raub in die Schuhe schieben. Sie ist eine junge Frau, die seit ihrer Kindheit von ihrem Vater missbraucht und von ihm in die Zwangsprostitution verkauft wurde, die mit Heroin ruhig gehalten und wie ein Vieh in der Wohnung eines Yakuza gehalten wird. Mit dem lebensmüden Boxer Leo (Masataka Kubota), dem ein Tumor im Kopf diagnostiziert wurde – die überflüssigste Figur ist aus unerfindlichen Gründen auch die nominelle Hauptfigur des Films – wird sie in einer blutrünstigen Version von Before Sunrise (1995) durch die Nacht und durch den Tumult fliehen.

Alle sind sie hinter Monica her: Kase und der Polizist, die sie ebenso wie die Drogen aus den Augen verloren haben, die Yakuza, die Triaden, die Polizei. Verfolgt wird sie aber auch von Albtraumbildern ihres Vaters, der ihr durch Entzugshalluzinationen wie ein Gespenst folgt. Ihre ganze Biografie ist darauf angelegt, sie zum Opfer zu machen. Niemand, der sich in die Reihe der Täter eingliedert, kann ein ehrenvoller Mensch sein, so die implizite Moral von First Love. Leo hilft ihr, aber er ist Zivilist – und hilft auch nicht aus Ehrgefühl, sondern weil er mit seinem Leben nichts mehr anzufangen weiß. Den Mitgliedern der Verbrecherclans werden aber immer wieder Möglichkeiten gegeben, der fliehenden Monica zumindest nicht den Weg zu versperren. Zuweilen wirkt First Love so wie die Suche im Yakuza-Panoptikum nach dem einen, der sich als Ken Takakuras Nachfolger würdig erweist und in den Sonnenaufgang fahren darf.

Ein Einarmiger, aber kein Blinder

Je mehr sich aber der Erfüllung dieser Sehnsucht genähert wird, desto mehr gehen die Marker von Realismus und Ernsthaftigkeit über Bord. Wenn in einem Baumarkt jeder gegen jeden kämpft, dann gewinnt die comichafte Überzogenheit die Oberhand gegenüber dem stilvollen Thriller, mit dem sie sich zuvor die Waage hielt. Der Kampf endet zwar nicht wie in Dead or Alive (Dead or Alive: Hanzaisha, 1999) in der Apokalypse, aber er ist nicht weniger realitätsvergessen. Es ist alles Teil eines wilden Ritts, der sich einen Spaß macht – und es macht ihm einen riesigen Spaß, die Yakuza einen Strom aus Blut hervorrufen oder sie doch noch weltvergessen ihre Ehre bewahren zu lassen; bei der Mischung aus trockenem Humor und Gewaltexzess macht Takashi Miike wohl so schnell niemand etwas vor. Einziges Manko ist denn auch, dass er sich seinem Witz, eine romantische Geschichte in ein Gemetzel einzubetten, zu sehr verschreibt, statt völlig in seinem Referenzsystem aufzugehen. Oder anders: Unter den Chinesen gibt es einen Einarmigen, also einen One-Armed Swordman, unter den Yakuza aber keinen Blinden, also keinen Zatoichi. Wenn er schon einen comichaften Genremetafilm macht, warum nicht den Wahnsinn bis an seine Grenzen treiben?

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