Fallende Blätter – Kritik

Aki Kaurismäki hängt seiner über 20 Jahre alten proletarischen Trilogie ein weiteres Kapitel an. Im so cinephilen wie weltgewandten Fallende Blätter muss eine neue Liebe gegen den Alkohol und ein Koma ankommen.

Eine aufkeimende Liebe und ein paar Hindernisse, was braucht ein Film mehr? Die Liebe: Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) lernen sich bei einem Karaoke-Abend in einer Kneipe noch verschüchtert kennen; als das Schicksal sie erneut zusammenbringt, beginnen sie zu daten. Die nicht unerheblichen Hindernisse: Holappa verliert Ansas Telefonnummer, deren einzige red flag in Beziehungen die Trinkerei ist, der Holappa anhängt, der wiederum nach einem Unfall irgendwann im Koma liegt.

Ohnehin sind beide gezwungen, sich durchs Leben zu schlagen: Ansa wird aus ihrem Supermarktjob entlassen, als ein grimmiger Security-Mann sie erwischt, wie sie abgelaufene Lebensmittel mitgehen lässt, die „in den Müll gehören“, die Bar, bei der sie danach anheuert, muss wegen der Drogengeschäfte ihres Inhabers schließen; Holappa verliert seinen Job als Schweißer aufgrund der Trinkerei, versucht’s auf dem Bau.

Wunderbar billige Moves

Fallende Blätter ist eine späte Fortsetzung von Aki Kaurismäkis proletarischer Trilogie (Schatten im Paradies, 1986, Ariel, 1988 und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik, 1989), und aus all diesen Filmen sind hier Motive zu finden. Wie gewohnt stehen die leergefegten Bilder im Dienste einer bressonianisch verknappten Erzählung, die sich trotzdem Zeit nimmt für mehrere Live-Musik-Auftritte – und für Nachrichten vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sobald irgendjemand das Radio anmacht.

Diese Aktualitätsspritze kommt ein wenig wie ein billiger Move daher, aber welcher Move bei Kaurismäki ist nicht wunderbar billig? Und überhaupt immunisieren uns diese Spritzen gegen jene behagliche Nostalgie, die eine so wiedererkennbare Ästhetik wie die Kaurismäkis immer auch anbietet. Denn diese ist eben kein ferner Stern, auf den wir uns flüchten können, wenn wir genug haben von unserer Welt, sondern ein die Erde umkreisender Spiegelplanet, in dem unsere Gegenwartsdiskurse zur Kenntlichkeit verzerrt werden.

Grandios war das in seinem letzten Film Die andere Seite der Hoffnung (2017), dessen syrische Geflüchtete mittlerweile angekommen sind in Kaurismäkis Finnland, ganz selbstverständlich einen Teil des Proletariats von Fallende Blätter bilden. So formal geschlossen das Universum des Filmemachers ist, Platz darin haben alle.

Das schönste Filmzitat am Schluss

Schließlich ist Fallende Blätter ein herrlich cinephiler Film. Für ihr zweites Date gehen Ansa und Holappa ins Kino, es läuft The Dead Don’t Die (2019) von Kaurismäki-Fan Jim Jarmusch. Während sich Kaurismäki über die leeren Gesten des Cineastentums alter Schule ein bisschen lustig macht („Hat mich sehr an Bressons Tagebuch eines Landpfarrers erinnert“, sagt ein verlebter, ergrauter Mann zum anderen, „ich habe an Godards Außenseiterbande denken müssen“, antwortet dieser, dann gehen beide ohne Verabschiedung ihrer Wege), liefert jedes Filmplakat im Kino-Schaukasten, vom Urtext der Liebesbegegnung Brief Encounter (1945) zu John Hustons Working-Class-Boxer-Film Fat City (1972), ein weiteres Dialogangebot für diesen Film.

Das schönste Filmzitat, es soll hier nicht gespoilert werden, hebt sich Fallende Blätter für den Schluss auf, wenn die Telefonnummernprobleme, die Alkoholprobleme und die Komaprobleme überwunden sind, und Holappa jenen wunderbaren Hund vorgestellt bekommt, den sich Ansa als Trost nach dem scheinbar unglücklichen Ende einer aufkeimenden Liebe zugelegt hat. Mehr braucht ein Film dann auch wirklich nicht.

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