Endzeit – Kritik
Kommen Sie nach Thüringen: Carolina Hellsgårds Endzeit ist eine Mischung aus Zombiefilm und Märchen zwischen Weimar und Jena. Die Welt nach der Apokalypse ist sehr beruhigend.

Texteinblendungen zu Filmbeginn sparen vor allem Zeit. Sie raffen Geschichte und skippen langwierige Entwicklungen, sie konstruieren einen Zustand von Welt, dessen Entstehung der Film nicht mehr zeigen muss. In Star Wars werden in Form der ikonischen Laufschrift ganze gigantische Schlachten und geheime Missionen in der weit, weit entfernten Galaxis abgehandelt. Carolina Hellsgårds Endzeit beginnt, wie viele andere postapokalyptische Filme zuvor, mit einer solchen Setzung per Texteinblendung: Eine Seuche habe die Erde heimgesucht, steht da. Zack, so schnell kann es manchmal gehen.
Thüringen, eine Zombie-Welt

Vivi (Gro Swantje Kohlhof) hat jene Epidemie vor zwei Jahren überlebt und sucht nun ihre kleine Schwester, die sie im Durcheinander verloren hat. Dabei lernt sie Eva (Maja Lehrer) kennen, die mit Edding ihre Fingernägel lackiert und ziemlich gut Zombies abknallen kann. Die beiden jungen Frauen um die 20 treffen am Schutzzaun in Weimar aufeinander – Weimar und Jena sind die einzigen zwei Städte, in denen noch Menschen leben. Während in Jena nach einem Heilmittel geforscht wird, werden im humanistischen Weimar Infizierte direkt getötet. Niemand darf die beiden per automatisiertem Transportzug miteinander verbundenen Städte verlassen. Selbstverständlich aber schmuggeln sich Vivi und Eva in den Zug, der irgendwann stoppt und nicht mehr weiterfährt. Die zwei Frauen müssen sich folglich zu Fuß fortbewegen, durch eine nicht allzu weit, weit entfernte Galaxis. Thüringen, eine Zombie-Welt.

Hellsgårds Verfilmung des 2012 erschienenen Comics von Olivia Vieweg, die auch das Drehbuch für Endzeit geschrieben hat, rückt die zwei Figuren und ihre Annäherung in den Mittelpunkt. Es geht um das gesprochene Wort, den Dialog, für den der Zombiefilm als Genre die Kulisse bildet. Er ist Sinnbild für ein Ende, das gleichzeitig ein Anfang ist. „Es haben nur die Arschlöcher überlebt“, sagt Vivi einmal seufzend. „Auch Arschlöcher müssen zusammenhalten“, antwortet Eva. Dann hören beide Musik mit dem Discman. Endzeit will Kammerspiel und atmosphärischer Roadtrip sein, deshalb stören die Zombies nicht nur die Figuren, sondern auch den Film an sich. Dabei sind die größten von ihnen vermutlich Weimar und Jena selbst, die als Gedächtnisspeicher und symbolische Überbleibsel der Aufklärung auftreten. Wie Gespenster schweben sie über den Dingen, als Städte, die mal etwas bedeutet haben, eben weil Menschen ihnen eine Bedeutung zugeschrieben haben und sich anhand ihrer Geschichte(n) selbst erzählen konnten. Nun stehen die Häuser leer da; am Denkmal von Goethe und Schiller wird Wasser ausgegeben.
Feministisch, futuristisch, faschistisch?

An der Organisation der neuen Welt nach der Seuche – also heilend und forschend in Jena, kämpfend und tötend in Weimar – arbeiten auffallend viele Frauen mit, und auch am Entstehungsprozesses von Endzeit waren ausschließlich Frauen beteiligt. Allerdings, und das ist es, was an Hellsgårds Film so dermaßen nervt, formt dieser zunächst charmante feministische Anspruch des Films den Blick auf ihn und die beiden Hauptfiguren. Doch Vivi (jünger/nervös/fragil) und Eva (älter/sexy/geheimnisvoll) funktionieren zwar als Gegensatzpaar in der Genrelogik des Zombiefilmes, aber nicht gerade als neuartiges feministisches Power-Duo. Vor allem tragen sie nicht die zuvor beschriebene Lust am Kammerspiel und tiefsinnig-offenbarendem Dialog. Weil es da nichts gibt, was hinter diesen beiden Oberflächen steht und offenbart werden will. Weil sie als Figuren eben keine größeren Fragen aufwerfen, wie es der Film permanent von sich selbst einfordert. Und weil wir sie in unserem postapokalyptischen Filmwissen halt irgendwie schon genauso kennen und deshalb annehmen wie Virusinfektionen.

Tatsächlich braucht es also den Auftritt einer german landscape zwischen Weimar und Jena als dritte und komplexeste Figur in diesem Trio. Diese Welt nach der Seuche ist keine, das lässt sich sicher sagen, die Angst machen will – muss sie auch nicht. Da sind die leeren Straßen und Brücken, Felsen, Wälder, Stauseen, Wildschweine. Einmal laufen die Giraffen aus dem Erfurter Zoo über die Autobahn. Die Sonne scheint ganz hell und friedlich aus der Ferne, als wäre sie für die noch übrigen Menschen keine weitere, zukünftige Bedrohung. Die Natur ist bei Hellsgård keine gewalttätige, sondern eine gewaltige, überwältigende, im Gegensatz zum Menschen aber scheinbar friedlich; Endzeit feiert sie in allem Pathos und ihrer zugeschriebenen Schönheit, zelebriert die Apokalypse als Reinigung der Erde vom Menschen, geht da völlig auf in einer futuristisch-faschistischen Welthygiene-Fantasie. „Ich glaube, die Erde ist eine kluge alte Frau. Und die Menschen haben nur zu lange keine Miete gezahlt. Das da draußen, das ist jetzt die Räumungsklage“, meint Eva. Zu der Sightseeing-Komponente von Endzeit, die sich im Betrachten der menschenleeren Orte und Landschaften immer mehr aufdrängt, passt es, dass sich der Film mit seinen lens flares, Drohnenflügen und Kamerafahrten (Bildgestaltung: Leah Striker) mitunter anfühlt wie ein Imagefilm der thüringischen Landesregierung. Kommen Sie nach Thüringen. Hier gibt es Zombies, aber ansonsten ist es eigentlich ganz schön hier!
Als gäbe es noch Natur

Es ist das zweite Problem von Endzeit, dass der Film für seine Kritik am gewaltigen Einwirken des Menschen in die Umwelt keine Bilder findet. Mehr noch, er verfällt der Illusion, dass es noch so etwas wie Natur gäbe, etwas Echtes, Unangetastetes, mit dem sich umgehen, in dem sich WG-artig zusammenwohnen ließe. Als Vivi und Eva unterwegs eine geheimnisvolle Gärtnerin (Trine Dyrholm) treffen, werden gar Pläne geschmiedet, wie die Menschen nach der Seuche wieder mit der Natur im Einklang leben könnten, wird ein neues Natur-Volk imaginiert. In dieser romantischen Märchenhaftigkeit ist Endzeit ziemlich versöhnlich unterwegs. Während sich Jim Jarmusch am Ende von The Dead Don’t Die fast desillusioniert in die Sozialkritik einer Post-Punk-Linken zurückzieht, hat Endzeit noch Hoffnung. Aber die ist so einfach gesetzt wie zu Beginn die Seuche per Texteinblendung.
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