Ein Mann von Welt – Kritik

Stellan Skarsgård macht Blockbuster-Pause in Hollywood und dreht wieder in Skandinavien. Er brilliert in der Rolle eines Mörders, der nach zwölf Jahren in die Freiheit entlassen wird und seinem verpfuschten Leben einen neuen Sinn geben will.

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In der ersten Einstellung füllt Ulriks (Stellan Skarsgård) Gesicht die ganze Leinwand aus. Der Mann starrt durch ein geöffnetes Tor. Es regnet ausdauernd. Grauer Schneematsch taut an Straßenecken. Bleischwere Wolken erdrücken eine zersiedelte Landschaft mit hässlichen Neubauten und kahlen Feldern, durchschnitten von Schnellstraßen. Der riesige Mann mit dem lächerlichen Zopf zögert, steht und starrt auf diese farblose norwegische Landschaft. Er scheint sich nichts sehnlicher zu wünschen, als sich umzudrehen und dorthin zurückzukehren, wo er herkommt. Aber das geht nicht, denn hinter ihm liegt der Knast, in dem er die letzten zwölf Jahre saß. Jetzt hat Ulrik seine Strafe abgesessen. Da draußen wartet das Leben. Für den riesigen Mann offenbar die schlimmste Strafe.

Eine bedeutsame, geradezu existenzialistische Kulisse baut Regisseur Hans Petter Moland mit diesen ersten Einstellungen auf. Er nutzt dazu die Landschaft ebenso wie Gesicht und Gestalt seines Hauptdarstellers. Ein Mann von Welt lebt von der körperlichen Präsenz Skarsgårds, der mit ausgewaschenen Klamotten und verkniffen-missmutigem Gesichtsausdruck durch den Schneematsch stapft. Er spielt einen Automechaniker und Kleinkriminellen, der sich aus Eifersucht zu einem Mord hinreißen ließ. Dessen Sohn seiner schwangeren Freundin erzählt, sein Vater sei tot, und dessen einziger Freund sein krimineller Boss ist, der ihn ausnutzt. Einen Mann also, der in die Knie gegangen ist und keine Ahnung hat, was es jetzt noch von ihm will, das Leben.

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Ein Mann von Welt spielt mit einem in Kino und Literatur wohl bekannten Sujet: Mann kommt aus dem Gefängnis und will ein ehrliches Leben beginnen. Die Grundkonstellation ist also etabliert, auf die konkrete Ausformung kommt es an: Sozial-Krimi wie Endstation Schafott (Deux hommes dans la ville, 1973, mit Alain Delon)? Tragisches Mafia-Epos wie Carlito‘s Way (1993, mit Al Pacino)? Oder düsteres Sozialdrama wie Boy A (2007)? Moland inszeniert anfangs durchaus in diese Richtung, lockert die Geschichte freilich von Beginn an immer wieder durch komische Elemente auf. Für comic relief sorgen zum Beispiel die Figuren des großmäuligen Gangsterbosses Rune (Björn Floberg) und seines armen Handlangers Rolf, der sich von seinem Chef immer wieder lächerlich machen lassen muss.

Was das dramatische Geschehen spannend macht, ist die Entwicklung der Figur des Ulrik. Natürlich kann er seiner kriminellen Vergangenheit nicht entkommen. Er ist ganz auf Rune angewiesen, der ihm einen Job in einer Autowerkstatt und eine Unterkunft im Haus seiner Schwester verschafft. Die sieht aus wie die Mutter der Familie Flodder, bringt Ulrik im Abstellkeller unter und verlangt als Gegenleistung fürs Kochen seinen ganzen Einsatz im Bett. Und auch Rune will sich für seine guten Taten bezahlen lassen: Ulrik soll den Mann erschießen, der ihn damals verriet und der Rune nun im Weg ist. Schon ist der schweigsame Mann wieder mitten drin im Teufelskreis des Verbrechens. Aber dann lehnt er sich doch auf gegen sein Schicksal. Nicht nur, dass er Kontakt zum Sohn sucht – Ulrik verliebt sich auch noch gegen strikte Anweisung in die Sekretärin des Werkstattbesitzers.

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Skarsgård spielt das langsame Erwachen seiner Figur hinreißend: Plötzlich fällt die Starre von seinem Körper, die Augen bekommen Glanz, der Mann lernt sogar, in ganzen Sätzen zu sprechen. Leider verlässt Moland ausgerechnet an diesem Punkt seine inszenatorische Linie und verliert das Interesse an Ulrik. Immer mehr setzt er auf groteske Gags. Anfangs sind die Szenen der Zwangskopulation zwischen Ulrik und seiner Vermieterin noch lustig, aber bei der zweiten und dritten Wiederholung wirken sie wie ein Altherrenwitz. Später muss sogar ein Kleinwüchsiger als Zielscheibe für billige Zoten herhalten. Ganz zum Schluss macht der Regisseur es sich dann endgültig zu leicht und entscheidet sich für ein Ende mit tarantinoeskem Knalleffekt, das die anfängliche Ernsthaftigkeit der Geschichte nach Kräften zu negieren sucht. So schwankt der Film zwischen Tragik, Komik, Groteske und trivialer Genre-Unterhaltung. Und befriedigt so offenbar diffuse Zuschauererwartungen an skandinavische Lakonie: Auf der Berlinale gewann Ein Mann von Welt in diesem Jahr den Publikumspreis. Trotzdem schade, dass Moland so entschieden effekthaschende Elemente forciert und das Charakter-Drama verkümmern lässt. Die Figur  des Ulrik hätte mehr verdient.

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