Eden – Kritik

In der narrativen Zersplitterung zur Wahrhaftigkeit finden. Mia Hansen-Løve erzählt von einem jungen DJ, der in der Blütezeit der französischen House-Musik ein besseres Leben sucht.

Eden 13

Der vierte Langfilm von Mia Hansen-Løve wäre beinah an den hohen Ansprüchen der Regisseurin gescheitert. In Eden widmet sie sich einer fast zwei Jahrzehnte umspannenden Geschichte, die auf den persönlichen Erfahrungen ihres Bruders basiert. Vordergründig handelt der Film von Paul (Félix de Givry), einem jungen DJ, Produzenten und Partyveranstalter, der seine Leidenschaft zu Geld machen will. Doch eigentlich geht es um noch viel mehr: um eine bestimmte Generation, die in den frühen 1990er Jahren von House infiziert wurde, von dem Wunsch, ein Leben abseits der bürgerlichen Gesellschaft zu führen, in der man aufgewachsen ist, und letztlich auch von den vielen Enttäuschungen, die sich bei der Realisierung einer solchen Utopie in den Weg stellen. Doch das Wagnis für Hansen-Løve lag darin, dass sie am Rande noch die Entwicklung jener Musikrichtung nachzeichnen wollte, die heute als French House bekannt ist, und dabei auch nicht auf die Hits verzichten wollte, die das Genre formten. Und da es mit Musikrechten bekanntlich ein Kreuz ist, hätte Eden um ein Haar nicht so ausgesehen, wie er es heute tut.

Daft Punk sei Dank

Eden 10

Paul und sein Partner Quentin (Hugo Bienvenu) haben es sich in den frühen 1990er Jahren unter dem Namen Cheers zur Aufgabe gemacht, den Musikstil Garage – einen von Disco beeinflussten House-Sound, der nach der berühmten Paradise Garage benannt ist – unters Volk zu bringen. Und so wie es in Hansen-Løves letztem Film Un amour de jeunesse (2011) die Architektur war, die das Erwachsenwerden ihrer Hauptfigur prägte, ist es diesmal eben die Musik. Im Wohnzimmer dreht sich Frankie Knuckles’ „The Whistle Song“ auf dem Plattenteller, im Club reißen die Tanzenden zu Joe Smooths „Promised Land“ ihre Hände in die Höhe, und eine seiner Freundinnen beauftragt Paul damit, die Akkorde aus Ce Ce Rogers’ „Someday“ auf dem Klavier nachzuspielen. Dass diese Songs nun alle im Film zu hören sind, ist dem französischen House-Duo Daft Punk zu verdanken, das auch einige Male kurz im Film auftaucht und gewissermaßen die erfolgreiche Variante von Cheers ist. Denn erst nachdem Daft Punk für ihre im Film verwendete Musik ungewöhnlich niedrige Tantiemen verlangten, haben es ihnen ihre amerikanischen Vorbilder gleichgetan.

Eden 09

Die Musikauswahl ist tatsächlich sehr wichtig für Eden: Die Begeisterung des Protagonisten könnte man wohl kaum nachvollziehen, wenn nur schlechte Imitate zu hören wären. Und dass es um Feinheiten geht, das wird schon in einer sehr schönen Szene deutlich, in der sich Paul fünfzig verschiedene Bassdrums anhört und jede mit einem passenden Schlagwort versieht. Das Besondere an dem Film ist, dass er solchen Details genauso viel Bedeutung beimisst wie seiner äußeren Handlung. Die erzählt etwa davon, wie Cheers langsam erfolgreich werden, wobei der große Durchbruch jedoch ausbleibt. Leicht hätte man daraus eine dramatische Abstiegsgeschichte machen können. Doch Hansen-Løve hat sich stattdessen für eine Ansammlung von Fragmenten entschieden, die sich nicht immer auf die Hauptfigur konzentrieren müssen und auch nicht immer eine dramaturgische Funktion haben. Gerade in der narrativen Zersplitterung findet der Film zur Wahrhaftigkeit.

Die ewige Jugend

Eden 11

Der Hauptdarsteller Félix de Givry, den man zu kennen glaubt, obwohl es seine erste größere Filmrolle ist, muss niemanden etwas beweisen. Er wirkt immer ein wenig bekifft, redet nicht viel, bewegt sich konsequent zu langsam und lächelt dann wieder verlegen. Doch gerade mit diesem Understatement entwickelt er vor der Kamera eine sehr starke Präsenz. Pauls melancholische Anflüge erinnern wieder an Camille aus Und amour de jeunesse. Nachdem eine Beziehung nach der anderen scheitert, die Geldprobleme einfach weggekokst werden und sich die selbst gesteckten Ziele nicht verwirklichen lassen, wird er von einer überwältigenden Traurigkeit eingeholt. Wenn er zusammengekrümmt auf seinem Bett liegt, hat das etwas von der Trotzigkeit eines Jugendlichen. Überhaupt wirkt Eden wie eine verspätete Coming-of-Age-Geschichte. Als ihn seine Freunde einmal sturzbesoffen nach Hause tragen, faucht ihn eine alte Nachbarin an: „Ah, die schöne Jugend“. Der verdutzte Paul antwortet darauf nur, dass er bereits 34 sei.

Eden 12

Eden findet eine schöne Balance zwischen Anteilnahme und Zurückhaltung. Die Kamera von Denis Lenoir misst die Räume präzise und auch ein bisschen mechanisch aus, was den Zuschauer auf Distanz hält. Besonders zahlt sich diese ästhetische Entscheidung bei den Partys aus. Die Welt der Clubs und DJs wird in der Regel entweder völlig falsch dargestellt oder mystifiziert. Hansen-Løve dagegen versucht, das Milieu authentisch darzustellen, ohne sich viel darauf einzubilden. Sie zeigt Momente, die man schon oft gesehen hat, wie einen Drogenrausch oder die Euphorie auf dem Dancefloor, aber sie muss diese Zustände nicht filmisch nachvollziehen. Stattdessen bleibt sie als Beobachterin außen vor (ähnlich wie Pauls Partner Quentin, der den ganzen Film über in keiner Weise eine Rolle spielt und sich immer wieder wie ein Geist am Bildrand aufhält). Das ist ein wenig nüchtern, aber keineswegs kühl. Im Prinzip verhält es sich mit Eden wie mit der House-Musik: Hinter einem eigentlich recht statischen 4/4-Takt können sich überraschend tiefe Gefühlswelten verbergen.


Neue Kritiken

Trailer zu „Eden“


Trailer ansehen (2)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.