Dream Scenario – Kritik
Nicolas Cage nicht nur auf allen Bildschirmen, sondern im neuen Film von Kristoffer Borgli auch in unseren Träumen. Dream Scenario ist eine Parabel über unsere Aufmerksamkeitsökonomie zwischen Medienhype und Shitstorm – und funktioniert selbst wie ein Meme.

Wahrscheinlich hätte niemand außer Nicolas Cage die Hauptrolle in Dream Scenario spielen können. Cage ist zum lebendigen Meme geworden: Sein Gesicht auf fremde Schultern zu setzen ist ein Photoshop-Sport, seine angebliche Omnipräsenz im Kino legendär und sein irrer Blick aus Vampire’s Kiss (1988) ging in mehr Versionen viral als es Einträge in seiner in der Tat erstaunlichen Filmografie gibt. Im Grunde denkt Dream Scenario die Cage’sche Viralität nur zu Ende – denn als Biologie-Professor taucht er hier nicht nur auf allen Bildschirmen, sondern auch in allen Träumen auf.
Vom Meme zum Shitstorm

Paul Matthews ist das Abziehbild eines amerikanischen Universitätsprofessors: Er hat eine Tonsur, trägt nichtssagende Pullover und Parka, brennt für sein Fach, interessiert sich wenig für Dinge außerhalb davon und wirkt gehemmt und verschroben. Hervorstechend scheint einzig sein Geltungsdrang – Paul fühlt sich von einer Kollegin abgehängt und plagiiert, er bezieht Dinge gerne auf sich, und irgendwie wäre er schon gerne berühmt.

Dann beginnt ein unerklärliches Phänomen. Laub rechend, erst durch den Wald und dann unbeteiligt durch die Universität spazierend beginnt Paul, die Träume anderer Menschen zu bevölkern. Der Film folgt seinen Studierenden, seiner Tochter und immer mehr fremden Menschen episodenhaft in ihre (Alp)träume, in denen Objekte zu schweben und eigenartige Pflanzen zu wachsen pflegen. Paul wird zu dem, was Nicolas Cage längst ist – ein weltweites Meme. Er wird zu Nachrichtensendungen und Agenturen eingeladen, soll Werbung für Sprite machen. Denn wo könnte ein Werbeblock wirksamer sein als direkt im Unterbewusstsein?

Das ist nicht ganz die Art Fame, die sich der Biologieprofessor erhofft hat, aber Paul genießt ihn trotzdem. Bis sein Traum-Ich beginnt, aktiv zu werden. Es verängstigt seine Tochter, stranguliert seine Studentinnen, mordet schließlich ungehemmt mit Hammer und Armbrust, bis das Blut spritzt. Dass diese Träume inszenatorisch nicht immer vom wachen Erleben seiner Figuren getrennt sind, gehört zu den aufregenderen Eigenschaften von Dream Scenario. Als Paul zum Traumbösewicht wird, wendet sich der Medienzirkus von ihm ab, seine Mitmenschen begegnen ihm immer mehr mit Abscheu, er wird verfolgt und gemobbt.
Star-Präsenz im Unterbewussten

Regisseur Kristoffer Borgli beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit der Frage, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, um anerkannt zu werden: In Sick of Myself (2022) war es eine junge Frau, die sich ein Medikament mit schweren Nebenwirkungen einflößt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Jetzt ist es Paul, der nicht genug davon kriegt, eine Art Star-Präsenz im Unterbewussten vieler Menschen zu haben. Borgli wurde nicht nur von Cages Meme-Status, sondern auch von einem scheinbar parapsychologischen Phänomen namens „This Man“ inspiriert: Das kam in den Nullerjahren auf und handelt eben von einem Mann, der unabhängig in zahlreichen Träumen aufgetaucht sein soll.

Anhand dieses Szenarios erzählt Borgli eine zeitgenössische Parabel über Ruhm und seine Schattenseiten. Pauls Geschicke zeigen, wie schwer es ist, das eigene Bild in der Öffentlichkeit in Zeiten von Social Media zu kontrollieren. Wie schnell sich die breite Masse gegen das Individuum richten kann, wenn ein Shitstorm entsteht. Dream Scenario versucht sich dabei nacheinander in slapstickhaften Komödientönen, Michael-Cera-inspirierter Awkwardness (inklusive Michael Cera in einer Nebenrolle als abgebrühter PR-Typ), tragischen, rührigen Szenen und sogar einer Art Happy End.
Film wie ein Meme

Was bleibt, ist ein Film, der selbst ein Meme ist. Er ist unterhaltsam, snackable, empfehlenswert – es gelingt ihm aber nicht, etwas Substanzielles zu seinen zahlreichen Themen (Viralität und Aufmerksamkeitsökonomie, spätkapitalistische Medien, Werbung, Jung’sche Theorien, Sexualität im Alter) beizutragen, vielmehr buchstabiert er einen Trick aus, der von Anfang an gesetzt ist. Das heißt nicht, dass es nichts zu staunen gäbe: Nicht zuletzt Cage selbst ist so gekonnt zittrig und unsympathisch, dass man kaum wegsehen kann.
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