Dovlatov – Kritik
Aleksei German Jr. zeigt uns ein paar Tage aus dem Leben von Sergei Dovlatov und künstlerischer Intelligenzija in der Sowjetunion Anfang der 1970er Jahre – und will uns mit viel Kunstwillen erzählen, dass ein wahrer Künstler verkannt sein müsse.

1971 herrscht in der Sowjetunion die Kälte der politischen Stagnation, und die Zensur ist entsprechend unerbittlich. Das Prinzip des sozialistischen Realismus verlangt von der Kunst Klares und Positives, Helden und Antihelden muss es geben, dafür keine Ironie, keinen Gott und schon gar nicht Lager und Baracken. Die ungedruckten Manuskripte – in dieser Zeit stapeln sie sich in großer Zahl – geben die Literaturzeitschriften an Schulkinder als Altpapier weiter. Menschliche Schicksale werden zu unpersönlichem Müll – das ist eine Metapher in Dovlatov von Aleksei German Jr. In der rekonstruierten Vergangenheit von Leningrad schwebt die Kamera in langen Einstellungen durch Kommunalwohnungen, Zeitschriftenredaktionen und Restaurants. Draußen auf der Straße fährt einmal ein offener Lastwagen mit zwei riesigen Gipshänden von rechts nach links – offenbar die Teile eines heroischen Monuments. Es schneit. Dovlatov (Milan Marić), groß, breite Schultern, schwarzer Mantel und Schal, sehr sympathisch, durchschreitet die set pieces, als wäre er nicht ganz von dieser Welt. Ein Dichter, ohne jemals publiziert zu werden, bekommt er nur Aufträge, die ihm zuwider sind, denen er aber nachgeht, stets zur Unzufriedenheit der Vorgesetzten. Lyrik oder doch ein Roman – darüber, was ihm selbst liegt, ist er auch nicht frei von Zaudern.
Dichter, die nicht veröffentlichen, Maler, die nicht ausstellen

Seine Freunde – die Intelligenzija, allesamt Unangepasste, sind von der Zeit und dem Regime, in dem sie leben, gekränkt und erniedrigt. Dichter, die ebenfalls nicht veröffentlichen, Maler, die nicht ausstellen – es ist schwer, sich selbst treu zu bleiben, wenn man ein Niemand ist. In einer Szene liest Joseph Brodsky seine Gedichte vor, viele sind begeistert, einige offenbar neidisch. Bitter ist der Ton, in dem trotz Witz und Kameradschaft meist gesprochen wird. Die Figuren treffen sich wie Billardkugeln im Bild, die Gruppen entstehen und lösen sich genauso schnell auf. Man redet viel, umso mehr aneinander vorbei und vor sich hin. Artifizielles Chaos – alles sitzt, aber auf eine falsche Art. Typisches Merkmal jener Zeit: Jeans, Bücher, Nylonstrümpfe gibt es nur auf dem Schwarzmarkt. Wo, bei wem besorgt man Dinge, alles Fragen ohne Antworten, Geld hat ohnehin niemand. Überwiegend jedoch scheint es in ziemlich jeder Szene um ein und dasselbe zu gehen: Wer ist begabter als wer, wer ist von irgendeiner Redaktion schon wieder abgelehnt worden, und wird man es jemals zu etwas bringen? Für einen dieser Dichter reimt sich Elektrifizierung noch auf Deflorierung, aber die anderen retten sich in Alkohol und lästiges Namedropping: Ossip Mandelstam, Alexander Blok, Rothko, Pollack et cetera. War sie das schon, die Pointe, und wann hören die lästigen Redundanzen endlich auf?
Das hagiografische Schema

Wer nach dem Schriftsteller Dovlatov sucht, findet im Film nur das Selbstbildnis eines Regisseurs, seine egomanischen Träume und bedenklichen Selbstvergewisserungsmanöver. Dovlatov steckt trotz des bildtechnischen Aufwandes tief in Klischees und schafft es an keiner Stelle, über sich selbst hinauszugelangen. Der wahre Künstler, wie ihn German denkt, muss verkannt werden, zwar mittendrin, aber zu allen anderen doch auf stolzer Distanz. Angesichts der üppigen staatlichen Förderung, von der diese Produktion laut langem Vorspann profitiert haben müsste (aber nicht nur deshalb), habe ich das Gefühl, einem Fall von double standard beizuwohnen. Vor drei Jahren erzählte German im Interview der taz, dass ein Talent sich um so mehr zeigt, wenn es von der Regierung unterdrückt wird. Die These ist falsch und gefährlich, und nun lässt German Jr. in seinem neuen Film einen Schriftsteller sich aus Verzweiflung die Pulsadern aufschneiden und einen Maler sich aus demselben Grund vor ein fahrendes Auto werfen. Germans filmische Reflexion über das Verhältnis von Regime und Kultur ist lediglich von Gemeinplätzen und ermüdendem Kunstwillen markiert. Das steht im Gegensatz zu Dovlatovs Prosa, die sich durch Bündigkeit und Pointiertheit des Stils, guten Humor und persönlichen Ton auszeichnet. Er arbeitete in der Tat auch als journalistischer Tagelöhner, verfasste Literaturkritiken, auf die er im Nachhinein nicht stolz war. Jeder von uns, egal wie alt, hat bereits etwas getan, was er den anderen gegenüber am liebsten geheim halten würde. Aber ins hagiografische Schema des Films passt so ein Leben wohl nicht.
Am Ende sinkt Dovlatov zu Boden, er ist sehr müde. Eine von dem Film, den sie durchschreitet, bis aufs Letzte entkräftete Figur. Kurz darauf emigrierte der echte Dovlatov nach New York, gibt dort eine Zeitung heraus, schreibt viel, wird auch viel publiziert. Er stirbt früh, in der russischen Heimat und darüber hinaus liest und liebt man ihn bis heute. Das legt uns der Film nahe, aber seinen Helden, ihn hat er uns leider verleidet.
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