Die Küken kommen – Kritik
Weg mit Anstand, Sitte und allem, was einen eingrenzt: Der Klamauk Die Küken kommen um eine Handvoll Freunde, die das Ende ihres Wehrdiensts feiern wollen, erscheint wie ein illegitimer Sohn im Werk Eckhart Schmidts.

Die Küken kommen war der zweite Film, der beim Fünften Außerordentlichen Kongress des Hofbauer-Kommandos, einem damals noch sehr kleinen, inzwischen aber schon beachtlichen Off-Filmfestival, gezeigt wurde. Wer mit dem Werk Eckhart Schmidts nicht vertraut sein sollte, so wurden die Veranstalter nicht müde zu erwähnen, solle sich von diesem Film nicht täuschen lassen. Eigentlich mache er ganz andere Filme. Mehr oder weniger implizit kam zum Ausdruck, dass er sonst künstlerisch wertvollere Filme mache. Dass im Vorspann Schmidts nom de plume Raoul Sternberg als Regisseur geführt wird, unterstrich es noch. Anscheinend ging Schmidt selbst zu seinem Werk auf Distanz.
Tohuwabohu, Klamauk, Gefühle

Anders als bei seinen anderen Filmen handelt es sich bei Die Küken kommen sichtlich um ein reines Kommerzprodukt. Eines ohne großes Ansehen noch dazu. Die nicht gut beleumundete Komödie, wie sie zu der Zeit so oft von der Lisa-Film veröffentlicht wurde, ist schnell auszumachen. Sunshine Reggae auf Ibiza (1983), Zwei Nasen tanken super (1984), oder Drei und eine halbe Portion (1985): Das sind die Referenzwerke – nur dass hier nicht einmal bundesdeutsche Starpower dem Film seinen Glorienschein verlieh. Selbst unter den Schmuddelkindern muss(te) Die Küken kommen wie ein Aussätziger wirken.
Die Geschichte eines Abschieds wird erzählt. Der Wehrdienst endet für eine Handvoll junger Männer. Sechs Freunde wollen dies in München feiern, aber der vage Plan möchte einfach nicht aufgehen. Die Freundinnen, die Liebe, der chronische Geldmangel, die unterschiedlichen Vorstellungen, alles reißt das Unternehmen beständig auseinander. Nur die Freundschaft taucht immer wieder als verbindender Moment auf, der die sechs kurzzeitig in Musketiere verwandelt, wo alle für einen da sind und einer für alle.

Jeder der sechs ist durch eine Eigenschaft bestimmt: Appetit, Prinzipientreue, Kultur, gutes Aussehen, Rebellion, Coolness. Daraus entwickelt sich aber lediglich ein Tohuwabohu an Motiven, das Träger für den Klamauk ist, das Szene auf Szene, Moment auf Moment bestimmt. Oder für die sentimentalen Gefühle („Was sich liebt, das neckt sich“), die immer wieder eingeschoben werden. Oder besser gesagt: für den Klamauk und die sentimentalen Gefühle, die vermittelt werden sollen, aber selten funktionieren. Die Intention ist zu erkennen, mehr nicht.
Manischer Anarchismus

Ein schönes Beispiel ist eine Szene am Hauptbahnhof, wo die sechs irgendetwas zwischen Improvisationstheater und Tanzchoreographie aufführen, um eine Frau zu bezirzen. Dass sie ein Lächeln als Lohn bekommen, fühlt sich ob des form- wie inspirationslosen Gehoppses wie Hohn an. Die Emotionalität (hier: Sympathie und die Möglichkeit von Liebe) lässt sich so noch ansatzweise übertragen, für Humor ist eine solche Konstellation aber das Schlimmste. Wenn wir höchstens deshalb lachen, weil die Spannung ob der beigewohnten Hilfslosigkeit sonst unerträglich wird, weil jemand neben uns hörbar leidet, weil es unglaublich ist, wie niedrig die Qualitätshürden sind, die beständig gerissen werden, dann geht etwas ordentlich schief.
Aber wenn Strategien des Populärfilms so allumfassend nicht aufgehen, wo das Erlebte dem Erwarteten Hohn spricht, da wird das Avantgardistische geradezu zwangsläufig tangiert. So ist es beispielsweise möglich, dass der unmittelbar vor Die Küken kommen von der Lisa-Film in die Kinos gebrachte Die Einsteiger (1985) vom werten Kollegen Thomas Groh stets als bundesrepublikanisches Videodrome bezeichnet wird. Und das ist dann auch der Moment, wo sich dieser scheinbar illegitime Sohn der Schmidt’schen Filmografie doch wieder wunderbar in diese einpasst. Da wo Das Wunder (1985) seine ins Jetzt verlegte christliche Passions- und Erlösungsgeschichte ohne Brüche und mit einer jeden Realitätssinn verweigernde melodramatische Attitüde erzählt, da gibt sich auch Die Küken kommen seiner raison d'être völlig hin. Manischer Anarchismus macht diesen Film des (fast) völligen Unsinns aus.
Eine Nacht völligen Rausches

Thematisch und atmosphärisch ähnlich gelagerte Filme, in denen eine Gruppe das Setting verliert, das sie formte (oft ist es das Ende der Schulzeit), erzählen von der Ungewissheit einer weitläufigen Zukunft. Abenteuer einer melancholischen Nacht am Rande einer unvermeidlichen Veränderung. Die hier ebenso in Zwang entstandene Freundschaft steht aber vor einer sehr bestimmten Freiheit. Nach dem Leben im Doppeldenk, dass einem durch die gleichzeitige Existenz in einer hedonistischen, konsumorientierten, irgendwie auch egalitären Moderne und im pflichtschuldigen, weltfremden, streng reglementierten Paralleluniversum des Militärs aufgezwungen wird, fallen alle Schranken. Das Wegfallen der Reglementierungen verspricht eine Nacht völligen Rausches im Münchner Nachtleben.
„Ich kann dich zerstören, wie du uns zerstören wolltest. Aber je mehr wir gehasst haben, was ihr mit uns gemacht habt, umso größer ist unsere Freundschaft geworden.“ Es ist die einzige Szene, wo es direkt aus dem Film herausbricht. Anarcho Kid (Max Tidof) geht den im Pool eines Bordells der Lächerlichkeit preisgegebenen Bundeswehroffizier an. (Ludwig Hass, bekannt als Dr. Dressler aus der Lindenstraße bzw. international gern als Hitler besetzter Schauspieler, spielt diese womöglich infernalischste Rolle des Films, in der ohne Schmerzgrenze Macht mit Debilität gleichgesetzt wird.) Das, was sonst als Spaß verkauft wird, ist hier Wut, Rache und Schmerz. Soviel Kontext bietet Die Küken kommen dann doch dafür, dass die Agenten von Regeln die ganze Spielzeit über angegangen werden, dass Anstand, Sitte, Sinn und Verstand, dass alles, was einen eingrenzt, fahren gelassen wird.
Dramaturgie Fehlanzeige

Die zwischen Gefühlsbetonung und Stilbewusstsein angesiedelte Ästhetik Schmidts sieht hier grob aus und offenbart ihren naiven Kern mehr als sonst. Manchmal kommt die Zärtlichkeit durch, wenn beispielsweise drei Paare in einer Disco einen gemeinsamen Tanz fern des Rests der Welt versinken, aber Tenor sind krude Einstellungen und Schnitte, die bestenfalls improvisiert wirken und wie in der Eröffnungssequenz, in der fast alles durch Talking Heads aufgelöst wird, eine punkige Energie aus ihrer herkömmlichen Hässlichkeit ziehen.
Es herrscht, von sehr weitschweifigen Intentionen abgesehen, Fehlanzeige bezüglich Dramaturgie und klaren Handlungslinien. Einer eigenen Logik folgt alles. Einschüchternde Figuren wie muskulöse Zuhälter tauchen als Bedrohung auf, werden aber ohne jegliche Anstrengung in Lachnummern verwandelt, Geschäftsleute werden vom Film selbst wie von dessen Hauptdarstellern schikaniert und es wird einem als sympathisches Meistern des Lebens durch den Underdog verkauft, intime Momente werden, sobald sie doch aufgebaut wurden, unmittelbar wieder zerstört, ohne dass es Konsequenzen geben würde, und die Ziele der unterschiedlichen Figuren wechseln wie Fahnen im Wind.
Zur Liebe wie eine Motte zum Licht

Am Ende gleicht alles einem anderen Monolithen schmerzhaften Witzes. Tabakstraße (Tobacco Road, 1941), von Marcos Ewert einst sehr stimmig zu John Fords Texas Chainsaw Massacre erklärt, stellt quasi eine Warnung in der Filmografie seines Regisseurs dar. Handeln Fords Filme oft vom Konflikt zwischen Gefühlen und Regeln, zwischen Menschlichkeit und festen Strukturen, wobei Ersterem der Vorzug gegeben wird, da zeigt diese rastlose Ansammlung von Verantwortungslosigkeiten und Selbstüberschätzungen ein schwer erträgliches Bild des völligen Fehlens von Regeln und Strukturen. Und am qualvollsten ist es, weil es im Gewand einer Komödie steckt.
Die Küken kommen funktioniert sehr ähnlich, stellt aber kein Mahnmal im Werk des Eckhart Schmidt dar und sieht deutlich stärker nach der BRD in den 1980er Jahren aus. Den Film zu sehen ist zuweilen eine Kraftanstrengung – zu hyperaktiv und ohne direkten Ertrag ist das alles. Aber trotzdem lässt sich darin etwas zutiefst Menschliches finden, das hier ohne Zurückhaltung seinen Ausdruck erhält. Denn so zerstörerisch sich Die Küken kommen darstellt, so kommt die „Handlung“ fast zwangsläufig immer wieder zu Zuneigung und Liebe zurück, wie eine Motte zum Licht.
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