Die endlose Nacht – Kritik

TV-Tipp: In einem nächtlich leeren Flughafengebäude begegnen sich gestrandete Reisende verschiedener Gesellschaftsgruppen. Das Drehbuch ist provisorisch, die Inszenierung spontan, die Kamera lebendig-energetisch: Hannelore Elsner erklärte Will Trempers Die endlose Nacht zu ihrem Lieblingsfilm. 

Der Vorhang öffnet sich zum Scope-Format – das überrascht bei einem deutschen Schwarzweißilm von 1963. Scope lässt an raumgreifende Bewegung und weite Landschaften wie im Western denken und galt als eine Maßnahme der Industrie gegen die Abwanderung des Kinopublikums zum heimischen Fernsehgerät. Verblüffend deshalb die Wahl dieses Formats für einen so „statischen“ Film mit verschiedenen Handlungssträngen am selben Ort; angesichts der damaligen Umbruchssituation zwischen Papas Kino und neuem deutschen Film scheint sie, symbolisch wie auch metaphorisch, für eine größere Öffnung und mehr Bewegungsfreiheit zu stehen.

Der deutsche Filmwissenschaftler Ulrich Gregor befand 1994, dass der deutsche Film der frühen 1960er Jahre einem alten Baumstamm glich, der, ausgedörrt, nur noch steht, weil nicht entschieden ist, auf welche Seite er fallen wird. Mittlerweile wurde diese Phase der Nachkriegsfilmproduktion, die mit Edgar-Wallace-Erfolgen und dem Oberhausener Manifest assoziiert wird, schon öfter einer Revision unterzogen. Die Filme von Will Tremper gehören dazu. Sie erlebten Retrospektiven (Locarno 2016, Filmmuseum Frankfurt und Filmmuseum München 2018), und angesichts der Endlosen Nacht spräche nichts gegen eine erneute Gelegenheit, mehrere seiner Filme zu sehen.

Die monumentale Moderne. Verwirrungen in Berlin Tempelhof

In Die endlose Nacht stranden Vertreterinnen verschiedener Gesellschaftsgruppen in Berlin Tempelhof, jenem weitläufigen Flughafengebäude der monumentalen Moderne. Aufgrund anhaltenden Nebels können Flugzeuge dort weder landen noch starten. Das führt zu Verwirrungen, Verwerfungen, Begegnungen und Konfrontationen, die das Leben der Beteiligten verändern, bei manchen schicksalshaft.

So geht für einen Unterschriftenfälscher die letzte Hoffnung auf Rettung durch einen reichen Geschäftsmann verloren; der Geschäftsmann landet nicht rechtzeitig in Frankfurt, der Betrüger landet in den Fängen der Polizei. Ein untreuer Ehemann nimmt die Gelegenheit wahr, um ein Stelldichein mit seiner Geliebten zu arrangieren. Ein Plantagenbesitzer aus Kenia flirtet so intensiv mit einer Agentin der KLM, dass sie eine gemeinsame Zukunft planen, doch bei Morgengrauen bekommt er einen Platz in einer der ersten Maschinen zugewiesen; er kann sich nicht einmal mehr von ihr verabschieden. Ein alternder Schauspieler verliert seine Chance, King Lear zu spielen – eine Gelegenheit, auf die er ein Leben gewartet hatte. Ost-West Verbrüderung findet statt, als eine polnische Jazzband überredet wird, die Gestrandeten in einer Jamsession zu unterhalten.

Hinreißende Hannelore Elsner. Und zwei souveräne alte Frauen mit Flachmann

Im Zentrum steht die junge Hannelore Elsner, als Modell, das von einem Fotoshooting kommt, und sich nun im kleinen Schwarzen mittellos die Nacht um die Ohren schlagen muss, vergeblich auf eine Essenseinladung durch ältere Herren hoffend. Sie verlässt die Flughafenhalle am Ende des Films mit zwei sogenannten „Halbstarken“ in deren Schlitten. Sie spielt die Rolle hinreißend! Kein Wunder, zählt sie den Film zu ihren Lieblingsfilmen. Sie ist die einzige Figur, die die weiten Räume des Flughafengebäudes durchmisst, ihr schwarzes Kleid ein Fixpunkt in den grau-gläsernen Hallen. Sie bekommt viele Nahaufnahmen, die ihr souveränes Mienenspiel zeigen: immer erotisch provozierend, gleichzeitig verhalten-verspielt, selbstsicher kokett oder durchaus auch einmal verzweifelt und den Tränen nahe.

Die meisten anderen weiblichen Figuren – bis auf die kompetente, sachlich-kühle Angestellte der KLM (Alexandra Stewart) – bleiben nicht verschont von misogyn-klischeehaften Inszenierungen, sei es die (fast) betrogene Ehefrau im biederen Nachthemd oder zwei alte Frauen, die als komische Knallchargen gezeichnet werden. Allerdings haben sie in ihrer Unangefochtenheit, mit der sie dem Flachmann zusprechen und sich durch die Umstände nicht aus der Ruhe bringen lassen, eine gewisse Souveränität. Dieser Effekt ist eher ungewollt, die Inszenierung meinte es nicht gut mit ihnen; es ist eine den Schauspielerinnen inneliegende Kraft. Diese besitzt die Figur des alternden Schauspielers verkörpert von Fritz Remond nicht. Er deklamiert lange und in frontaler Nahaufnahme, der Film beschützt ihn nicht, stellt ihn in dieser Szene eher bloß: Theater im Film.

Die Lust der Kamera an Freiräumen. Der Bildraum expandiert gegen die fehlende Bewegung

Trempers Werdegang als Kriegsreporter und Sensationsjournalist erinnert ein wenig an Samuel Fuller. Dieser Hintergrund erklärt das Plakative auch in Die endlose Nacht. Doch wie bei Fuller spielt auch hier eine stark dokumentarische Neigung eine große Rolle für die Lust der Kamera an den „Freiräumen“, die die Gestrandeten im nächtlichen, leeren Flughafengebäude erleben. Durch das Breitwandformat wird die Flughafenhalle zum szenischen Raum, in der die Horizontale regiert. Scheinbar fehlende dynamische Bewegung – die Flugzeuge verharren still auf dem Rollfeld, die Passagiere sind in Warteposition – kompensiert der expandierende Bildrahmen. Das scheint nicht nur ein filmästhetisches, sondern auch ein filmpolitisches Motiv in der Unklarheit, wohin es mit dem deutschen Film gehen sollte. Was für den Betrüger im Film nicht gilt, läßt sich umso mehr für den Film und seinen Regisseur behaupten: wer wagt, gewinnt.

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