Der letzte Sommer – Kritik
Neu auf DVD: Ein linker Dissident will per Attentat den Umbruch in einem fiktiven Staat erzwingen. Harald Brauns Der letzte Sommer (1954) ist ein als Heimatfilm inszenierter Wahlwerbespot für gemäßigte Kräfte, der zugleich eine Parabel vom Reichstagsbrand bis zur Adenauer-Wiederwahl schlägt.

An einem Punkt der Zucker-Abrahams-Zucker-Produktion Top Secret (1984) rekapituliert Nick Rivers (Val Kilmer) seine verworrene Liebebeziehung zu Hillary Flammond (Lucy Gutteridge) und fasst damit kurz den Plot des Films zusammen. Sie wisse selbst, dass sich ihre Situation nach einem schlechten Film anhört, erwidert Hillary. Woraufhin beide ertappt in die Kamera und damit zu den Zuschauern ihres Films blicken. Wenn Lilo Pulver in Der letzte Sommer (1954) nach einem Dialog, der offensichtlich eine Botschaft an das Publikum vermitteln sollte, ebenso unsicher in die Kamera guckt, dann ist der Effekt ein ähnlicher. Nur steht der Film, in dem Pulver die lebensfrohe Jessika spielt, beileibe nicht unter Verdacht, sonderlich witzig sein zu wollen. Oder gar den cartoonhaften Metahumor von Zucker, Abrahams und Zucker vorwegzunehmen.
Das Attentat, die Liebe, der Faschismus

Harald Brauns Film ist die Information vorangestellt, dass es sich bei ihm um eine Parabel handelt. Diese sei zwar nicht historisch verortet, gehe aber trotzdem jeden etwas an. In einem fiktiven Staat – die Namen der Personen deuten zumindest in Richtung östliches Skandinavien – steht eine Wahl an. Zwei Parteien kämpfen dabei um die Macht. Eine möchte, dass sich nichts ändert. Die andere will alles auf den Kopf stellen. Näher wird die Sache nicht definiert. Ein radikaler Dissident der linken Partei des Wandels, Hardy Krüger als Rikola Valbo, kommt nun in ein abgelegenes Waldgebiet, wo Carlo Tolemainen (Mathias Wieman), seit acht Jahren an der Macht, die Zeit vor der Wahl verbringt. Mit einem Attentat möchte Rikola die gegnerische Partei führungslos machen und dem Land damit den entscheidenden Stoß zum Umbruch geben.
Dort angekommen verliebt er sich aber nicht nur in die Tochter Tolemainens (Pulver) und wird seine Taten und Überzeugungen überdenken. Die durch das Attentat gestiftete Unruhe setzt zudem Kräfte von rechts frei. Das Militär marschiert bei der Suche nach den Tätern recht faschistisch durch den Film und der Innenminister (Werner Hinz) möchte lieber gestern als heute die demokratische Grundordnung außer Kraft setzen, um „die Ruhe im Land“ ungestört wiederherzustellen. Nur der besonnene Tolemainen behält beim extremistischen Aktionismus von beiden Seiten einen klaren Kopf.
Werbung für die ruhige Hand

Dieser Grundaufbau nähert zwei Momente der deutschen Geschichte einander an. Auf der einen Seite den Reichstagsbrand von 1933, wichtige Etappe bei der Machtergreifung der NSDAP: Die vermeintliche Tat eines linken Einzeltäters führte zur „Verordnung des Reichpräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“. Was heißt, dass der sich zunehmend mit der Hitler-Regierung arrangierende Reichspräsident Hindenburg dem Innenministerium unter Göring und damit der SA frei Hand ließ, um politische Gegner der Nazis kurz vor der Wahl zu inhaftieren. Auf der anderen Seite wurde im Jahr vor der Veröffentlichung des Films Konrad Adenauer zu seiner zweiten Amtsperiode wiedergewählt. Zuvor hatte er ein Attentat überlebt. Es war dies eine Zeit, zu der sich die SPD nach ihrem Selbstverständnis noch im Klassenkampf mit der CDU/CSU befand – also bevor sie sich gänzlich zur Volkspartei umformierte.
Die Parallelsetzung von 1933 mit der zeitgenössischen Gegenwart der jungen BRD hat dabei eine klare Aufgabe. Zuweilen wirkt es, als flehe Brauns Film den Zuschauer und zuvorderst potenzielle radikale Linke regelrecht an, es sich zwei Mal zu überlegen, ob sie Chaos hervorrufen und damit den Faschisten in die Hände spielen wollen. Nur die ruhige Hand Tolemainens/Adenauers kann laut Film den Fortbestand der Demokratie garantieren. Ziemlich unverhohlen tendiert Der letzte Sommer damit zu einer eigenwilligen Art von Wahlwerbespot, der an die Vernunft der Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten appelliert. So wie Rikola ständig in Diskussionen verstrickt ist, scheint seine Seite zumindest die zu sein, mit der man reden kann. Die Gefahr von rechts ist dumpfer und hysterischer. Dort werden nur Befehle gebellt oder die Alternativlosigkeit der sofortigen Einschränkung der Demokratie beschworen.
Läuterung im Märchenwald

Der letzte Sommer ist dabei aber als Heimatfilm inszeniert. Die Verschwörer und aufmarschierenden Polizisten in Zwielicht und dem Schatten der Nacht. Die Liebe, die zur Aussöhnung führen wird, in einem Wald, der von einer wärmenden Sonne in ein gleisendes Weiß getaucht wird. Wenn Rikola mit Auftakt des Films den Wald erstmals sieht, spricht er diesem ab, mehr als nur Holz zu sein, das nutzbar gemacht werden müsse. Schon in diesem Satz schwingt mit, dass er den Wald erkennen wird, die Heimat, das größere Ganze.
Der Film wird dafür aber die Arbeiterbaracken der Holzfäller hinter sich lassen und zuvorderst in der Villa Tolemainens spielen. Weil die Widersprüche sich eben nur auflösen können, wenn Geld und Macht die proletarische Wirklichkeit ausblenden und einem das Licht eines beruhigten Gemüts gönnen. So will es jedenfalls scheinen bei der Schönheit der Bilder, die die ziemlich simple Geschichte kontaminiert und damit konfrontiert, dass wir einem Wunschtraum beiwohnen. Rikolas Läuterung findet in einem Märchenwald statt.

Was uns schließlich zu Lilo Pulvers Blick in die Kamera zurückbringt. An diesem Punkt ist Der letzte Sommer am deutlichsten zweierlei: ein sehr nachdringlicher Propagandafilm, dessen zentrale Nebenfigur uns anblickt, um sicherzugehen, dass wir verstanden haben, dass wir gemeint sind. Aber auch eine Farce, in der eine zentrale Nebenfigur uns anblickt, als wäre sie nicht sicher, ob wir diesen wunderschönen, stimmungsvoll inszenierten Film nicht auch ein wenig blöd finden. Diese Spaltung gibt dem Zuschauer die Möglichkeit zurückzutreten, ohne sich gänzlich vom Film zu entfernen. Der Moment ist so nicht nur eine sensationelle Pointe wie bei Top Secret, sondern ein Beben, das die aufdringliche Parabel zugunsten einer Vieldeutigkeit aufbricht.
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