Der Lehrer, der uns das Meer versprach – Kritik

Gelebte Kleinstadtsolidarität in Sepia gegen die matte Traurigkeit der Gegenwart. In Patrizia Fonts Der Lehrer, der uns das Meer versprach über einen freigeistigen Dorfpädagogen während des spanischen Bürgerkriegs sind die Gegensätze etwas arg grob gezeichnet.

Es sind eigenartige Bilder der Trauerarbeit: Menschentrauben von Hinterbliebenen stehen vor einem geöffneten Massengrab, vom Absperrband separiert von den Gruben, in denen die Archäologie waltet und die Skelette der Liebsten und Vorfahren mit fachmännischer Distanziertheit ans Tageslicht befördert. Kleine Objekte wie eine Brille, eine Uhr, ein Stoffrest geben Hinweise darauf, wer hier im Staub liegt. Manche mag die reine Neugier ans Grab gebracht haben, andere stehen dort in der Hoffnung und Erwartung darauf, dass die Ausgrabung der Leichname ihnen eine Art existenziellen Frieden bringen mag, eine Wunde in der Familienchronik und der eigenen Identitätskonstruktion schließen wird.

Es handelt sich um eines jener Massengräber des Spanischen Bürgerkriegs, wie sie seit Beginn dieses Jahrhunderts immer häufiger lokalisiert und geöffnet werden. Verwandte Szenen kennen wir aus Almodóvars Parallele Mütter. In Patricia Fonts Der Lehrer, der uns das Meer versprach erfährt eine junge Frau, Ariadne (Laia Costa), dass ihr gelähmter Großvater mit anderen zusammen eine solche Ausgrabung beauftragt hat. Etwas zieht sie hin zu dieser Grabung, ihre Mutter und Tochter lässt sie zurück, um den Geschichtsspuren ihres Großvaters zu folgen.

Die Pädagogik glückt an allen Fronten

Am Grabungsort angekommen, eröffnet Font die zweite, auf tatsächlichen Ereignissen basierende Zeitebene: Der junge Lehrer Antoni Benaiges (Enric Auquer) kommt 1935 als Ersatz für seinen geschassten Vorgänger, einen Priester, in ein kleines Dorf in Nordspanien. Säkulare Winde sollen wehen in der Zweiten Spanischen Republik und Antoni (auch die Kinder sollen ihn duzen) bringt auf vielerlei Weise Reformgeist nach Art der Freinet-Pädagogik in das etwas rückständige Nest. Er verspricht den Kindern – zunächst sind es drei, bald darauf tanzt ein gutes Dutzend um ihn herum – Zauberei und präsentiert eine Druckerpresse, mit der die Kinder in Eigenregie und unter Anleitung „Hefte“ drucken können, in denen sie ihre Texte, Gedanken, Beobachtungen, Empfindungen sammeln und publizieren. Aus ihnen sollen „Schriftsteller, Chronisten und Poeten“ werden, während sie in Lerngrüppchen und in der Natur ganz nah am Leben unterrichtet werden. Ariadnas Großvater war eines dieser Kinder.

In dieser Zeitebene, die Ariadna nach und nach mit einem ehemaligen Schüler Antonis zusammen entfaltet, herrscht lange das reine Idyll. Antonis Pädagogik glückt an allen Fronten, jedes einzelne Kind blüht zu einer Persönlichkeit auf, versöhnt sich mit dem zerrütteten Elternhaus und bei alledem lernen sie auch noch Schreiben und Rechnen. Selbst das Meer will er ihnen zeigen, das keines der Kinder je gesehen hat. Ist es warm, ist es kalt, ist es tief? In jedem Fall ist es nicht das Dorf, in dem so viele versauern. Dass der Film nicht „Der Lehrer, der uns das Meer zeigte“ heißt, lässt uns bereits ahnen, dass es so rosig nicht kommen wird.

Dass aus den Kindern etwas Individualisierteres werden soll als nur Söhne von Bauern und Töchter von Bürgermeistern, stößt der Dorfbevölkerung sauer auf, ebenso wie Antonis linke Plädoyers in der Lokalzeitung. Als 1936 mit den konservativen Putschisten unter Franco der Spanische Bürgerkrieg seinen Anfang nimmt, zählt der Lehrer zu den ersten Opfern der neuen Härte. Der Faschismus ist zum einen nur Verstärker und Vollstrecker der kleinbürgerlichen Ressentiments der Dorfbewohner, zum anderen aber auch die eiserne Zunge an der Waage. Bevor das politische Klima kippt, ist eine Aussöhnung möglich, danach ist Hass der Weg des geringsten Widerstandes, trotz oder gerade wegen der dennoch gelebten Kleinstsolidaritäten.

Zuckersüß und überdeutlich

An diese und an Antoni, diese Seele von Mensch, können wir uns klammern in den sepiafarbenen Episoden der 1930er Jahre. Die Gegenwart jedoch zeigt der Film so trostlos, als könne es hier gar keinen Antoni mehr geben, der etwas Leben und Zukunft versprechen könnte. Ariadna begibt sich in ein Labyrinth der verschlossenen Mienen und des Unwillens zum Sprechen. Aus Laia Costas Gesicht spricht nur eine matte Traurigkeit und wir müssen wirklich daran zweifeln, ob ihr die Vergegenwärtigung der vergangenen Familiengeschichten Linderung verschaffen kann.

Die leitende Archäologin ist schwanger und auch Ariadna hat ein Kind, eine kleine Tochter. Ihre Mutter wirft ihr vor, sie dürfe nicht so viel Zeit mit der Ausgrabung und der Vergangenheit verbringen, schließlich müsse sie an der Zukunft arbeiten. Doch Ariadna hat ein unbestimmtes Leiden, das ihr keine Ruhe lässt. So macht der Film die Aussöhnung (das Zu-Rande-Kommen, die Konfrontation, die Begegnung) mit dem, was man als die erweiterte eigene Vergangenheit begreift, zur Voraussetzung für eine gelingende Zukunft.

Doch wie das so ist mit Vergangenem, fällt der Zugriff darauf nicht leicht. So zuckersüß und überdeutlich GUT sind Antoni und was er an den Kindern leistet, inszeniert, dass es wirkt wie ein allzu unschuldiger Tagtraum von besseren Tagen. Diesem seinem Wunschdenken auf die Schliche kommt Der Lehrer, der uns das Meer versprach in den Momenten, in denen er uns die erwartungsvolle Verlorenheit am Massengrab zeigt.

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